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Aus: Ausgabe vom 05.09.2025, Seite 11 / Feuilleton
Raubkunst

Die Sache mit dem Bild

Naziraubgut: Streit um Giuseppe Ghislandis »Porträt einer Dame«geht weiter
Von Gerrit Hoekman
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So sieht es aus: Giuseppe Ghislandis »Porträt einer Dame« aus dem frühen 18. Jahrhundert

Das Raubkunstgemälde »Porträt einer Dame« des italienischen Malers Giuseppe Ghislandi (1655–1743) ist wieder aufgetaucht. Die Polizei hatte danach gesucht. Es befindet sich immer noch in den Händen der Tochter des 1978 in Argentinien verstorbenen deutschen Nazibeamten Friedrich Kadgien. Sie sei bereit, das Gemälde an die argentinische Justiz zu übergeben, erfuhr die niederländische Tageszeitung AD am Dienstag von ihrem Anwalt.

Die Tochter und ihr Mann wurden wegen Behinderung der Ermittlungen für 72 Stunden unter Hausarrest gestellt. Am Donnerstag (nach Redaktionsschluss) sollen sie vor Gericht erscheinen. »Die Familie Kadgien will die Angelegenheit vor Gericht bringen, sie wird behaupten, das Gemälde gehöre ihr, da die Verjährungsfrist abgelaufen sei«, so der in Argentinien lebende AD-Korrespondent Peter Schouten. Die argentinische Tageszeitung Buenos Aires Herald zitierte am Dienstag mit den Ermittlungen befasste Quellen, wonach die Tochter und ihr Mann wegen »Vertuschung von Diebstahl im Zusammenhang mit Völkermord« angeklagt werden sollen. Damit sei die Verjährungsfrist hinfällig.

Schouten hatte das verschollene Gemälde auf der Internetseite eines Immobilienmaklers entdeckt; die Tochter wollte ihr Haus verkaufen. Auf einem der Fotos ist das »Porträt einer Dame« zu sehen, es hängt über dem Sofa. Als die Polizei einen Tag später das Haus durchsuchte, war das Bild verschwunden.

Das Gemälde stammt aus der umfangreichen Sammlung des jüdisch-niederländischen Kunsthändlers Jacques Goudstikker. Er starb im Mai 1940 durch einen tragischen Unfall auf einem Schiff, das ihn und seine Familie nach England in Sicherheit bringen sollte. Hermann Göring »kaufte« einen Großteil der weit über 1.000 Kunstwerke umfassenden Goudstikker-Sammlung – für einen lächerlichen Preis. Die Goudstikkers sahen nie etwas von dem Geld. Wie Kadgien, verantwortlich seinerzeit für die »Verwertung jüdischen Besitzes«, an das Gemälde kam, ist bisher nicht geklärt.

Die legitimen Erbinnen und Erben Jacques Goudstikkers wollen das Bild zurück. Unter ihnen die 81jährige Marei von Saher. Dass Kadgiens Tochter Anspruch auf das Gemälde erhebt, finde von Saher, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des Holocaust, entsetzlich, schrieb AD. Ob es sich bei dem Gemälde tatsächlich um das Original handelt, wird die Expertise zeigen.

Bei der Durchsuchung am Montag beschlagnahmte die Polizei zwei weitere Kunstwerke. »Die Werke werden analysiert, um festzustellen, ob sie mit im Zweiten Weltkrieg gestohlenen Gemälden in Verbindung stehen«, so die Staatsanwaltschaft. Der Buenos Aires Times zufolge schließt die argentinische Justiz nicht aus, dass sich weitere Raubkunstwerke im Land befinden. Bekanntlich tauchten zahlreiche hohe Nazifunktionäre nach dem Zweiten Weltkrieg in Argentinien unter.

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