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Aus: Ausgabe vom 05.09.2025, Seite 10 / Feuilleton
Literatur

Gemischtes Doppel

Deutsche Lebensläufe: Der Verleger KD Wolff und der Heavy-Metal-Musiker Mille Petrozza legen ihre Autobiographien vor
Von Gerhard Hanloser
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Krach der Arbeiterklasse: Mille Petrozza, Matador des Thrash Metal

KD Wolff und Mille Petrozza haben sich um die Kultur in Deutschland sehr verdient gemacht. Der ältere von beiden ist ein Gewächs der 68er-Revolte, der jüngere ein Kind der 80er. Wolff gründete 1970 den Verlag Roter Stern und verlegte ab 1975 unter anderem die von D. E. Sattler herausgegebene historisch-kritische »Frankfurter Ausgabe« von Hölderlins Werken. Petrozza ist Mitgründer von Kreator, der wichtigsten deutschen Thrash-Metal-Band, die dem Ruhrpott entstammt und dennoch Anschluss an die Szene international bedeutender Bands wie Metallica oder Slayer fand.

Beide haben nun ihre Autobiographien vorgelegt. Beide haben sich dafür Hilfe geholt. Dem Alt-68er Wolff half der Schweizer Börsenjournalist Dietegen Müller beim Finden der richtigen Worte. Mille wurde von dem erfahrenen Rolling-Stone- und Spex-Musikjournalisten Torsten Groß betreut. Sowohl Wolff als auch Petrozza haben unzweifelhaft Emanzipatorisches bewirkt. Dank des Verlags Roter Stern wurde Hölderlin den reaktionären Interpretationen der älteren deutschen Germanistik entrissen und der subversive, gar revolutionäre Impuls seiner Dichtung mit Hilfe einer neuen Editionspraxis freigelegt. Auch das 1974 erschienene, von Wolff selbst herausgegebene »Räuberbuch«, speziell für linke Lehrer gedacht, klärte mit kritischen Texten, am Beispiel der Rezeptionsgeschichte von Schillers Drama »Die Räuber«, über die ideologischen Verstrickungen deutscher Literaturwissenschaft auf.

Erfolgsgeschichten

Ende der 70er erschien bei Roter Stern Klaus Theweleits bahnbrechendes Mammutwerk »Männerphantasien«, eine antipatriarchale Textcollage, die u. a. mit Hilfe psychoanalytischer Theorie die »soldatische« Literatur der Freikorps in den 1920ern untersucht. »Männerphantasien« wurde ein Standardwerk, Theweleit blieb fast drei Jahrzehnte lang einer der wichtigsten Autoren des Verlags.

Petrozza radikalisierte mit seiner Formation Kreator den »Krach der Arbeiterklasse« (Petrozza über Thrash Metal) und transformierte tendenziell rockistisch-misogynen Heavy Metal. Er sorgte zusammen mit seinen Weggefährten dafür, dass Thrash Metal nicht wie z. B. die Black- und Death-Metal-Szenen in Norwegen ins Irrational-Nazimäßige abdriftete, sondern tendenziell links und klar antifaschistisch blieb.

Die beiden Bücher sind auch Darstellungen eines Wegs nach oben. Petrozza leuchtet klugerweise nur seine frühen Jahre aus, KD Wolff hingegen quält den Leser mit seinem Erfolg, etwa der Erzählung von der Feier anlässlich seines 80. Geburtstags im Februar 2023: Sein Bruder Frank Wolff spielt Cello, jemand von der FAZ hält eine Rede, »dazu wurde Wein von den Rebhängen der Stadt Frankfurt gereicht«. Hier erscheint der »Hans im Glück« lediglich als Prahlhans. Petrozza wiederum gelingt es, alles Rumpelstilzchenhafte abzulegen. Er zerreißt sich vor Wut eben nicht, es hätte aber so kommen können.

KD Wolff präsentiert eine biedere Erfolgsgeschichte, Petrozza das eigenwillige Porträt einer speziellen Zeit. Ist »Your Heaven, My Hell. Wie Heavy Metal mich gerettet hat« Teil der modischen Klassismusliteratur? Petrozzas erste langjährige Freundin ist Fleischfachverkäuferin, ein langjähriges Bandmitglied, den Bassisten Rob, verschlägt es nach dem Rauswurf aus der Band zurück an den Hochofen. Der Kreator-Frontmann verzichtet allerdings darauf, den Ruhrpott und seine Herkunftsfamilie als prolliges Zerfallsmilieu zu schildern, um vor dem Hintergrund dieses Klischees pseudokritisch den eigenen Werdegang zu verklären.

Beide Lebenswege hatten gefährliche Momente. Sehr nahe am Abgrund standen die Protagonisten, schlugen jedoch rechtzeitig einen anderen Weg ein. Im Ruhrpott der 80er hießen die Gefahren Rockergewalt, Heroin, Suizid aus Verzweiflung. In Wolffs 70er-Jahre-Biographie war der linke Terrorismus die größte Gefahr. Wolff hatte seinen Verlag mit zwei Gründungsmitgliedern der Revolutionären Zellen aufgebaut. Seine diesbezüglichen Ausführungen zeugen weder von menschlicher Größe noch werden sie der historischen Forschung als Quelle neue Erkenntnisse offerieren. Über seine ehemaligen Genossen, die tot sind oder noch im Knast sitzen, schreibt er wie über entfernte Verwandte oder den Kassierer des Stammsupermarkts. »Seltsam« fand er einen von ihnen schon damals. Dieses recht unspezifische Urteil könnte allerdings auch auf jemanden wie Hölderlin zutreffen. Petrozzas Blick ist da ein anderer. Wenn er sich an die Leute erinnert, die auf der Strecke blieben, scheint Trauer auf.

Verwertungsdynamiken

In beiden Biographien geht es um Anerkennungsverhältnisse. Bei Petrozza ganz explizit: Zuerst galt es, die Aufmerksamkeit der extravaganten und etwas älteren Schweizer Band Celtic Frost auf sich zu ziehen, später dann: Amerika! Natürlich lockte die viel größere Thrash-Metal-Szene im Land der scheinbar unbegrenzten Möglichkeiten. Mit den Großen der Szene aufzutreten und zu touren ist Herzenswunsch des Kindes einer Republikgeflüchteten und eines türkischen Gastarbeiters, die sich im Auffanglager kennen und lieben gelernt haben. KD Wolffs Perspektive gilt dem Großbürgertum. Dort sitzt das Geld, das ein Verlag braucht. Günstige Ehen und Netzwerkerei gehören dazu – der Leser erfährt von Lichtenstein-Connection und transatlantischer Lobbyarbeit. Der ehemalige Rebell aus protestantischer Richterfamilie verbrüdert sich auch mit dem Hölderlin-Fan Helmut Kohl. Traudl Herrhausen, der Witwe des von der RAF ermordeten Deutsche-Bank-Chefs Alfred Herrhausen, legte er seinen 1985 verfassten offenen Brief an die RAF vor, der vollkommen richtig die Ermordung eines einfachen GIs, um an dessen ID-Karte zu kommen, kritisierte. Doch diese RAF-Kritik im Geiste des alten SDS-Internationalismus, der in Black-Panther-Solidaritätskomitees Deserteure unterstützte und subversiv in die Armee einwirkte, über zehn Jahre später instrumentell zu benutzen, um Geld für Verlagsprojekte zu akquirieren, kann man zumindest geschäftstüchtig nennen.

Kreator verdanken ihren Welterfolg ebenfalls der Geschäftstüchtigkeit, nämlich jener des Labelbetreibers Karl Walterbach, der als ehemaliger RAF-Sympathisant und Punk gewieft zur richtigen Zeit das einschlägige Thrash-Metal-Label Noise Records gründete und die Berufsschülergruppe, die sich der bürgerlichen Welt und ihren vorgesehenen Berufswegen verweigerte, unter Vertrag nahm. Er machte Kreator groß. Dass Walterbach offenbar ein eher schmieriger und egozentrischer Typ war, vergisst der 1969 in Altessen geborene Petrozza in seiner Biographie an keiner Stelle. Reflektiert KD Wolff die Bedingungen seines Erfolgs in ähnlicher Weise? Finden sich Überlegungen zu den sozialen und ideologischen Bedingungen des Aufstiegs eines relevanten Teils einer Generation, die doch mal als Rebellen gegen das Establishment angetreten waren? An keiner Stelle. KD Wolffs Autobiographie zeigt, dass gefeierte 68er alles können, nur nicht den Materialismus auf sich selbst anwenden. Genau das schafft Petrozza, indem er unter der Hand Glück, Eigensinn und Zufall auf Markttendenzen, Jugendmoden und kapitalistische Verwertungsdynamiken zu beziehen weiß.

KD Wolff: Bin ich nicht ein Hans im Glück? Studentenrevolte. Hölderlin. Kafka, Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 2025, 262 Seiten, 28 Euro

Mille Petrozza mit Torsten Groß: Your Heaven, My Hell. Wie Heavy Metal mich gerettet hat, Ullstein-Verlag, Berlin 2025, 336 Seiten, 22, 99 Euro

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