Tiefschürfende Erkenntnisse
Von Bernhard Spring
Es wäre übrigens sehr nett, wenn Sie mich bei Google bewerten würden.« Mein Urologe hat bereits das Wattestäbchen für den Abstrich gezückt. Was soll man da sagen außer »natürlich, klar«. Mehr bekommt man gleich eh nicht mehr heraus.
Inzwischen sind Google-Bewertungen allgegenwärtig. Wenn Susanne ein neues Restaurant ausprobieren möchte oder ein Hotel für ein verlängertes Wochenende sucht, wird immer auch nach den Sternen bei Google geschaut. Seltener fragt sie sich, wer da überhaupt seine Meinung zum besten gibt.
Ich verkneife mir solche sozialkritischen Denkanstöße, weil mich Urlaubsplanung eh nicht interessiert. Aber so ganz kann ich mich doch nicht herausnehmen. »Zugspitze oder Watzmann, auf welchen wollen wir rauf?« fragt sie. »Beide haben 4,8 Sterne bei Google.«
Nun ist es ja egal, ob man von einem tollen Stück Natur oder von Gottes wunderbarer Schöpfung spricht: Seltsam ist in jedem Fall, dass die Menschen den Drang haben, sogar die Landschaft zu bewerten. 4,8 Sterne für die Zugspitze, ganze 4,6 für den Großen Wannsee und nur 4,5 für den Thüringer Wald: Was sind die Kriterien für eine gute oder schlechte Bewertung? Ist der Pfälzerwald (4,5) nicht lauschig genug, hoppeln zu wenige Hasen über die Lüneburger Heide (4,7)? Und was hat der Große Jasmunder Bodden, dass er als eines der wenigen Naturschauspiele eine glatte 5,0-Bewertung bekommt?
Vielleicht geht es hier um eine Vorliebe für das Ordnen, das Katalogisieren. Wir machen uns die Erde untertan, indem wir sie analysieren. Vielleicht stehen wir alle in der Tradition des Naturforschers Carl von Linné, der die Natur systematisiert hat. Nun setzen wir einen drauf und bewerten sie auch noch.
Vielleicht sind wir auch einfach nur – im Heimdialekt gesprochen – deppert, wie diese, einer 1-Sterne-Bewertung der Zugspitze beigefügte, tiefschürfende Erkenntnis vermuten lässt: »Man sieht bei mäßigem Wetter eher nichts, viel Nebel und Wolken.« Schade, dass Google noch nicht anbietet, auch das Wetter zu bewerten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Stefan K. aus Dresden (3. September 2025 um 13:31 Uhr)Schöne Beschreibung eines wesentlichen kapitalistischen Prinzips. Das Bewerten von allem und jedem ist uns in Fleisch und Blut übergegangen. Das Ranken von Sportgrößen, Landschaften oder Lieblingsspeisen fällt uns genauso leicht wie die Einordnung von psychischer Belastung (auf einer Skala von 1 bis 10), Schmerzerfahrung oder erbrachter schulischer Leistung (Noten). Dabei ist es keinesfalls selbstverständlich, qualitativ höchst unterschiedliche Phänomene auf eine abstrakte Vergleichsgröße in Form einer reinen Zahl zu beziehen. Woher kennen wir das? Wir machen es tagtäglich beim Kauf und Verkauf: Ein Stuhl, ein Kilo Kartoffeln und der Friseurbesuch werden auf das reine Tauschmittel Geld bezogen. Und wir sind gezwungen, dies zu tun, denn nur mit und durch Geld kommen wir an die nötigen und gewünschten Gebrauchsgüter, die denn auch folgerichtig einen rein quantitativen (Tauschwert) repräsentieren. Erst mit dem Geld kommt auch historisch erst die (Denk)Möglichkeit in die Welt, unterschiedlichsten Dingen einen Zahlenwert zuzuordnen und damit die Indifferenz bzgl. der Qualität eines Dings. An dieser Stelle sei wärmstens die Folge »Indifferenz« des podcasts »Die Moneyprofiler« empfohlen (https://youtu.be/yBzePqM8gDs), welcher dem Phänomen Geld dicht auf den Fersen ist und dessen kapitale Verbrechensliste minutiös nachzeichnet und detailliert erklärt. Stefan Köpke, Dresden
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (2. September 2025 um 20:52 Uhr)Wie sieht es mit der statistischen Masse der BerwerterInnen bei google aus? Wenn ich mich überhaupt um Bewertungen bei google kümmere, dann schaue ich zuerst nach, wieviele Leutchen etwas gesagt haben und dann vielleicht was.
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