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Aus: Ausgabe vom 26.08.2025, Seite 11 / Feuilleton
Literatur

Die Rückkehr der Wölfe

In der Einsamkeit der Lüneburger Heide: Markus Thielemanns Heimatschauerroman »Von Norden rollt ein Donner«
Von Norman Philippen
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Auf den Spuren nicht nur von Theodor Storm: Markus Thielemann

Alles ist bedroht. Das Land, der Hof, die Erinnerung. Markus Thielemanns Antiheimat­roman »Von Norden rollt ein Donner« erzählt von einer Schäferfamilie in der Lüneburger Heide. Drei Generationen, Großvater Wilhelm, Vater Friedrich und Sohn Jannes, verbringen ihre Tage damit, zu beschützen. Die Herde, die Heide, die Heimat. Die Arbeit ist schwer. Noch schwerer wird sie dadurch, dass Vater Friedrich Anzeichen von Demenz zeigt. Und umher streift der Wolf.

Gesehen hat ihn freilich noch niemand. Er ist eine diffuse Gefahr. Ein Schatten am Waldrand, ein Tierkadaver, ein Hundebellen in den dunklen Kiefernwald hinein. Genauso verhält es sich mit Friedrichs Demenz. Hier und da ein leerer Blick, ein offen gelassenes Scheunentor, eine Schusseligkeit. Und doch vielleicht die Vorboten des Zerfalls? So war es doch schon mit Oma Erika. Die ist nun im Heim.

Von fern grollen Detonationen auf dem benachbarten Truppenübungsplatz. Jannes leiblicher Vater war auch Soldat und starb irgendwo im Kosovo unter ungeklärten Umständen. Es ist nicht das einzige Geheimnis aus der Vergangenheit, das seinen Schatten auf die ohnehin angsterfüllte, verstockte Gegenwart wirft. Die Landstraßen, auf denen Jannes fährt, wurden vor Jahrzehnten angelegt, um ein Konzentrationslager mit einer Rheinmetall-Fabrik zu verbinden. Der ganze Ort wurde einst von den Nazis aus dem Heidesand gestampft, um in der Abgeschiedenheit zu rüsten. Und jetzt sind sie wieder da. Die Rechten, die verlassene Höfe in der Heide aufkaufen, die Deutschland-Fahne hissen und von Blut und Boden schwatzen. Und irgendwo dazwischen wabert ein Hermann-Löns-Zitat.

Die Erzählung stellt keine expliziten Verbindungen zwischen den Motiven her. Die Rückkehr der Wölfe vollzieht sich parallel zum Wiedererstarken der Rechten. Das Verdrängen der dunklen Vergangenheit korrespondiert mit dem Schweigen in der Familie über Friedrichs Ausfälle, dem Absondern der alten Erika ins Heim. Denn die hat in ihrer Demenz angefangen zu reden, auch über die Verbrechen von einst, die auch in der eigenen Familie begangen wurden. Doch im Laufe der Erzählung verdichten sich die Motive, werden zu einem einzigen Nebel, der den Hauptprotagonisten Jannes immer mehr umschließt und schließlich verschlingt.

Thielemann greift dafür auf eine schmucklose Sprache zurück, enthält sich ausufernder Landschaftsbeschreibungen und setzt an ihre Stelle eine treffende Schilderung des Milieus. Schützenvereine, in denen Fanta-Korn getrunken wird. Fünf-Euro-Scheine als Geburtstagsgeschenk von Oma um eine Tafel Schokolade gewickelt. Lauwarmer Kaffee, der nach Schafstall schmeckt.

Und dazwischen dann harte, analytische Sätze wie: »Im Krieg sterben die Verlierer, und die Gewinner sind Mörder.« Oder Jannes beim Betrachten eines alten Fotoalbums: »Es gibt kaum Schnappschüsse, immer wurde sich brav aufgestellt, und in jeder Miene ist jene steinerne Traurigkeit gestellten Frohsinns zu finden.«

Packend wird die Erzählung auch deswegen, weil Thielemann sie über weite Strecken zu einem regelrechten Schauerroman macht. Jannes begegnet in der Einsamkeit der Heide einer hexenartigen Gestalt, totgeborene Schafe verkünden ein nahendes Unheil, Knochen tauchen auf, wo sie nicht hingehören. Die Landschaft selbst ändert ihre Erscheinung, wird unheimlich. Die Heide »blüht und strahlt lieblich in Rot und Violett, den Farben des Hämatoms, der nie verheilten Wunde«.

Thielemann, Jahrgang 1992, hat einen absolut stimmigen Roman über transgenerationale Traumata geschrieben, weniger über die Heide als über Deutschland insgesamt. Die Handlung spielt nicht zufällig in den Jahren 2013 und 2014, der Zeit, als Deutschland Fußballweltmeister wird und die AfD sich gründet. Das kleine Figurenarsenal reicht ihm dabei aus, die Verfasstheit einer zutiefst verunsicherten Gesellschaft darzustellen. Immer wieder ist in der Schäferfamilie die Rede davon, dass man sich allein gelassen fühle mit den Problemen vor Ort, mit dem Fremden, das eindringt in das vermeintliche Idyll. Dieses Idyll sind sie bereit zu verteidigen, mit Zäunen und mit Gewalt. Tatsächlich ist es aber viel stärker bedroht von der Wahrheit, die sich nicht auf Dauer verdrängen lässt.

Markus Thielemann: Von Norden rollt ein Donner. Verlag C. H. Beck, München 2024, 287 Seiten, 23 Euro

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