Herbst der Kürzungen
Von Max Grigutsch
Bloßes Parteitagsgelaber oder Vorbereitungen eines »Herbstes der Reformen«, in dem vor allem den Arbeitern und Armen in die Taschen gegriffen werden soll? Die Aussagen von Bundeskanzler Friedrich Merz auf dem CDU-Landesparteitag in Osnabrück am Sonnabend – gemäß denen der Sozialstaat in aktueller Form »nicht mehr finanzierbar« sei – wollen Vertreter der SPD jedenfalls nicht ganz so ernst nehmen. In Wirklichkeit wisse auch Merz, dass der Sozialstaat »eine zentrale Errungenschaft unserer Demokratie« sei und »das Fundament jener sozialen Marktwirtschaft, die Deutschland stark gemacht hat«. Das erklärte SPD-Generalsekretär Tim Klüssendorf der Stuttgarter Zeitung am Montag und tat die Ankündigung des Kanzlers als »Pflichtelement einer CDU-Parteitagsrede« ab.
Die auf solchen Parteitagen mitunter vertretenen Unionspolitiker scheinen indessen eben jenen Kahlschlag vorzubereiten, den ihr Parteichef angekündigt hatte. Am Montag traf Merz dafür den Fraktionsvorsitzenden Jens Spahn, Generalsekretär Carsten Linnemann und alle Unionsminister im Kanzleramt, um über die Regierungspolitik in der zweiten Jahreshälfte zu beraten. Ein »völlig normales Routinetreffen«, betonte Regierungssprecher Stefan Cornelius. Aber »die Herausforderungen sind gewaltig«, so Kanzleramtschef Thorsten Frei im RTL/NTV-»Frühstart«, und zwar »außenpolitisch genauso wie wirtschafts- und sozialpolitisch«. Über Ergebnisse des Treffens sollte nicht informiert werden.
Einen konkreten Aufschlag lieferte Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gleichentags gegenüber Bild. Von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) fordert er Kürzungen: beim Bürgergeld, bei der Wärmepumpenförderung, bei Sozialleistungen für Asylsuchende und bei der Entwicklungshilfe. »Das Bürgergeld muss weg, zumutbare Arbeit zur Pflicht und das Wohngeld dabei deutlich gekürzt werden«, so Söders Vorstellungen. Er verlangte eine »strikte Migrationspolitik« und Leistungskürzungen bei »Ausreisepflichtigen ohne Duldung«. Mit Blick auf Länder wie Syrien, Irak oder Afghanistan fügte er hinzu: »Wer seine ausreisepflichtigen Bürger nicht zurücknimmt, braucht auch kein deutsches Geld.«
Der parlamentarische Geschäftsführer der Union, Steffen Bilger, attestierte der Koalition am Montag gegenüber Politico ein »gemeinsames Verständnis, dass wir Reformbedarf haben« – trotz »Problemen«, etwa in der Steuer- und Sozialpolitik. Außenminister Johann Wadephul (CDU) ermahnte die Regierung zu »Teamspiel«. In Sachen Bürgergeld vermutete Kanzleramtschef Frei aber keinen Widerspruch aus der SPD, »ganz im Gegenteil«, schließlich arbeite Bundessozialministerin Bärbel Bas (SPD) an den entsprechenden Vorschlägen. Aus ihrem Hause sind mehrere Kommissionen für den Herbst angekündigt, die sich mit Sozialreformen befassen sollen.
Ist die SPD bereit, im Team der Union zu spielen? Es scheint so. Dirk Wiese, erster parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Fraktion, erkannte am Montag gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland große »außen- und innenpolitische Aufgaben«, an denen die Koalition im Herbst mit noch höherer »Taktzahl« arbeiten wolle. Die stellvertretende SPD-Vorsitzende Petra Köpping warnte gegenüber Bild davor, »Ängste vor Kahlschlag und Sozialabbau« zu schüren, pochte aber darauf, »miteinander Vorschläge zu erarbeiten«.
Und SPD-Chef Klingbeil? Der hatte gerade noch links geblinkt und in seinem ZDF-»Sommerinterview« Steuererhöhungen für Bürger, die »viel verdienen oder superhohe Vermögen haben«, ins Spiel gebracht. Merz hatte seinen Vizekanzler diesbezüglich bereits am Sonnabend zurückgepfiffen. Klingbeil sagte daraufhin am Sonntag nur noch: »Natürlich müssen wir ran an die sozialen Sicherungssysteme.« Dass Klingbeil damit ausreichend eingenordet ist, dürfte zumindest CSU-Chef Söder erwarten. Dem Vorschlag der Steuererhöhungen für Reiche begegnete er am Sonntag im ARD-»Sommerinterview« mit den Worten: »No way, no chance.« Er forderte statt dessen Steuersenkungen, etwa bei Erbschaften.
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