»Es kann Menschen durch Bildung überzeugen«
Interview: Gitta Düperthal
In dem kleinen Ort Jamel in Mecklenburg-Vorpommern hat am Wochenende das diesjährige Konzert gegen rechts »Jamel rockt den Förster« stattgefunden. Dieses Jahr traten unter anderen die »Toten Hosen« auf, etwa 3.500 Besucherinnen und Besucher waren angereist. Welchen Stellenwert hat das Event?
Das Festival gibt es seit knapp 20 Jahren. 2004 zogen Birgit und Horst Lohmeyer aus Hamburg aufs Land nach Jamel – ohne vom extrem rechten Umfeld dort etwas zu ahnen. Nach und nach siedelten sich im Dorf ständig mehr Neonazis an, um ihre völkischen Gedanken auszuleben. Wir haben das Engagement der Lohmeyers, die dort ausharren, auch mit unserem Infostand beim Festival unterstützt. Als Gewerkschaft sind uns Vielfalt und Demokratie in Betrieben sowie in unserer Gesellschaft wichtig. Schon in der Woche zuvor boten wir deshalb Workshops an. Wir wollen Menschen durch Bildung überzeugen, damit sie nicht für extremistische Propaganda und Symbole empfänglich sind.
Schirmherrinnen sind Ministerpräsidentin Manuela Schwesig und Landtagspräsidentin Birgit Hesse, beide SPD. Wie kritisch, auch gegenüber gesellschaftlichen Verhältnissen, kann eine Veranstaltung bei dieser Regierungsnähe überhaupt sein?
Es ist gut, dass die Landesregierung uns unterstützt. Von anderen Parteien würde ich mir das mehr wünschen. CDU-Landrat Tino Schomann, in dessen Landkreis Jamel liegt, versuchte statt dessen im Vorfeld des Festivals, Auflagen dagegen durchzusetzen. Das Festival will Demokratie verteidigen und breit wirken. Sicher gibt es kapitalismuskritische Strömungen, ohne dass wir uns nur auf diese Tendenz beschränken wollen.
Der ländliche Raum bietet jungen Menschen oft kaum Perspektiven. Neonazis nutzen dies oft aus, um mit rassistischen, queer- und frauenfeindlichen Weltbildern Nachwuchs zu rekrutieren. Wie drückt sich das in Jamel aus?
Genau deshalb machen wir Angebote von Workshops im ländlichen Bereich, um solche Menschen abzuholen. Meiner Meinung nach sind diese toxischen Männlichkeitsbilder Ausdruck von Unzufriedenheit. Social-Media-Kanäle von Faschisten um den extrem rechten Sven Krüger in Jamel feiern etwa in ihrer Reihe »White Boys Summer« das Ideal des starken deutschen Mannes. Deutsch und nationalistisch soll er sein. Wir sollten nicht aufhören, dagegen zu kämpfen und niemanden aufgeben. Es ist nie zu spät.
Wo sehen Sie als Gewerkschaftssekretär die Beweggründe für Menschen auf dem Land, sich Neonazistrukturen oder der AfD anzuschließen?
Ob Menschen die als gesichert rechtsextrem eingeschätzte AfD aus ökonomischen Gründen wählen, ist schwer zu sagen. Unter deren Wählern gibt es Gebildete und Vermögende. Und Gewerkschaften haben ein breites Spektrum an Mitgliedern, das sich als Querschnitt der Gesellschaft widerspiegelt. Sie wählen rechts oder auch links.
Staatliche Stellen betonen, »Linksextremismus« und »Rechtsextremismus« gleichermaßen bekämpfen zu müssen. Der Verfassungsschutz setzt beides gleich. Wie verhalten Sie sich dazu?
Auch Menschen, die sich selber als links einordnen, etwa beim BSW Organisierte, wünschen sich teils eine strikter gegen Migranten gerichtete Politik. Eine solche müssen wir bekämpfen, wenn sie ihre Inhalte mit Gewalt durchsetzen will. Nach unserem Verständnis hat dies im Zusammenleben der Gesellschaft überhaupt nichts verloren. Die Antifa richtet sich gegen Faschismus, ist also nicht als extremistisch einzuordnen, sofern sie nicht gewalttätig ist.
Wie kann so ein Festival Menschen überzeugen, die rechte Kräfte stärken?
Das Festival kann Menschen durch Bildung überzeugen. In unseren Workshops klären wir zum Beispiel über faschistische Codes und Symbole auf: dass die »8« für den achten Buchstaben im Alphabet steht, und »88« für Heil Hitler steht. Wir müssen im Bildungssystem insgesamt viel stärker aufklären, was droht, wenn faschistische Organisationen an die Macht gelangen.
Markus Ameln ist Gewerkschaftssekretär der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft, Landesbezirk Nord
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