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Aus: Ausgabe vom 26.08.2025, Seite 4 / Inland
Kriegsvorbereitungen der BRD

Koalition für Wehrpflicht

CDU-Funktionäre und Ex-Amtsträger aus SPD drängen auf Zwang zum Dienst an der Waffe. Pistorius soll Kabinett am Mittwoch neue Pläne vorlegen
Von Kristian Stemmler
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War früher mehr los? Bewerber beim Einführungsgespräch (Berlin-Grünau, 5.5.2009)

Bald kommen die Russen. Deshalb braucht Deutschland dringend wieder die Wehrpflicht. So lautet die Kernthese der Befürworter eines verpflichtenden Dienstes in der Bundeswehr in der Union und in Teilen der SPD. Am Montag meldeten sie sich auf breiter Front zu Wort, um die Bundesregierung unter Druck zu setzen. Die trifft sich am Mittwoch zur ersten Kabinettssitzung nach der Sommerpause ausnahmsweise im Verteidigungsministerium. Dort sollen die Pläne für den »neuen Wehrdienst« beschlossen werden, mit denen Hausherr Boris Pistorius (SPD) pro Jahr mehrere zehntausend Rekruten für die Truppe gewinnen will – allerdings erst mal auf freiwilliger Basis.

Das alarmiert die Fans der Wehrpflicht. Der Wehrbeauftragte des Bundestags, Henning Otte (CDU), dessen Aufgabe offiziell die Wahrung der Grundrechte der Soldaten ist, ging Pistorius am Montag hart an. Mit seinem Gesetzentwurf bleibe der Minister bei Ankündigungen, anstatt »die dringend erforderlichen Strukturreformen anzustoßen und die materielle sowie vor allem personelle Stärkung der Truppe prioritär voranzutreiben«, schrieb Otte in einem Gastbeitrag in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Für den Kommentar hatte er sich mit dem Potsdamer Militärhistoriker Sönke Neitzel zusammengetan, der im Frühjahr bekundete, Russland könne die NATO schon nächstes Jahr angreifen.

Dieser Linie folgt das Duo auch in der FAZ. Pistorius’ Entwurf werde den Anforderungen angesichts der Bedrohung durch Russland nicht gerecht. Mancher scheine zu hoffen, »dass es zum Äußersten schon nicht kommen werde«. Dies aber sei ein »Vabanquespiel, auf das man sich nicht einlassen sollte«, belehrten Otte und Neitzel. Mehr als die Hälfte der Soldaten arbeitete in Stäben, Ämtern oder Behörden. Wenn die Truppe nicht »von einer Verwaltungsbehörde in eine kriegstüchtige Armee umgebaut werde«, könne im Ernstfall »das Schlimmste drohen, weil die Politik im Frieden zauderte und zögerte«. Die Stärkung der Bundeswehr sei eine »Herkulesaufgabe, bei der es viele Widerstände in Parteien, Gewerkschaften, aber auch innerhalb der Streitkräfte« zu überwinden gelte.

Auch Thomas Röwekamp (CDU), Vorsitzender des Verteidigungsausschusses, zeigte sich unzufrieden mit dem Entwurf aus dem Bendlerblock. Dieser genüge nicht »den gegenwärtigen sicherheitspolitischen Herausforderungen«, befand er gegenüber der Rheinischen Post (Montag). Der Bundeswehr fehlten »für unsere eigene Verteidigungsfähigkeit und unsere Zusagen an die NATO« mehr als 80.000 Berufs- und Zeitsoldaten und 140.000 Reservisten, rechnete Röwekamp vor. Er habe erhebliche Zweifel, »dass dies nur mit Freiwilligkeit gelingt«. Die Union werde deshalb dafür sorgen, dass in das Gesetz ein »Automatismus hin zu einer verpflichtenden Heranziehung« eingefügt wird, für den Fall, dass die angestrebten Zahlen nicht erreicht würden.

Gegenüber dem Tagesspiegel hatten sich am Sonnabend bereits zwei SPD-Politiker, der frühere Bundesaußenminister Sigmar Gabriel und der frühere Wehrbeauftragte Hans-Peter Bartels, für eine schnelle Rückkehr zur Wehrpflicht ausgesprochen. Anders werde es nicht gelingen, »die Bundeswehr wieder zu einer Territorialarmee zu machen, die auch über ausreichend Reservisten verfügt«, erklärte Gabriel. Bartels sagte, egal, in welche Richtung sich Russlands Ukraine-Krieg entwickele, die Bundeswehr müsse »schnell zu ihrer geplanten neuen Stärke aufwachsen«.

Passend zur Debatte über die Wehrpflicht soll am Mittwoch der Rüstungskonzern Rheinmetall, einer der großen Profiteure der Aufrüstung, im niedersächsischen Unterlüß eine neue Munitionsfabrik einweihen. Mitfeiern wollen neben Pistorius noch Vizekanzler Lars Klingbeil, der in der Region seinen Wahlkreis hat, und NATO-Generalsekretär Mark Rutte. Dass die Landesregierung »dieses PR-Spektakel kritiklos begleitet, ist ein Armutszeugnis«, urteilte dazu Thorben Peters, Landesvorsitzender der niedersächsischen Linkspartei, am Montag. Statt Arbeitsplätze in zukunftsfähigen Branchen wie erneuerbare Energieträger, Bildung oder Gesundheit zu fördern, setze Niedersachsen auf Kriegsindustrie und Aufrüstung.

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