Ankara funkt dazwischen
Von Tim Krüger
Nach den heftigen Kämpfen im drusisch geprägten Süden Syriens verschärfen sich auch die Spannungen zwischen der syrischen Übergangsregierung und der Selbstverwaltung im Nordosten des Landes. Noch im März hatten die beiden Parteien eine umfassende Vereinbarung getroffen, mit dem Ziel, die zivilen wie militärischen Strukturen der Selbstverwaltung in einen nach dem Sturz von Präsident Baschar Al-Assad neu geordneten syrischen Staat zu integrieren. Ziel war es damals, bis Ende 2025 zu einer tatsächlichen Einigung zu kommen, so dass das Abkommen auch in der Praxis umgesetzt werden kann.
Davon, dass dieser Zeitrahmen eingehalten wird, geht mittlerweile kaum noch jemand aus. In den vergangenen Wochen hatte sich die Situation so weit entwickelt, dass die Regierung in Damaskus Gespräche mit Mazlum Abdî, dem Generalkommandanten der kurdisch dominierten Syrischen Demokratischen Kräfte (englisch: Syrian Democratic Forces, SDF) in Paris absagte. Als Begründung zog Al-Qaida-Ableger Haiat Tahrir Al-Scham (HTS), der Assads Fall bewirkt hatte und nun in Damaskus das Sagen hat, eine Konferenz heran, die in der nordsyrischen Stadt Hasaka mit verschiedenen Minderheiten, darunter alawitische und drusische Vertreter, abgehalten worden war. Hintergrund dürften aber vor allem Bedenken der türkischen Seite sein. Der türkische Außenminister Hakan Fidan hatte sich vor der Absage wie auch danach mit hochrangigen Vertretern der Übergangsregierung getroffen und dabei wiederholt unverhohlene Drohungen gegenüber den SDF ausgesprochen. Für die Türkei seien die Entwicklungen in Nordsyrien »zunehmend untolerierbar«. Sollten ihre »Sicherheitsforderungen« von syrischer Seite nicht erfüllt werden, bleibe der Türkei keine andere Wahl, als selbst zu handeln. Konkreter wurde er nicht.
Andauernde sporadische Gefechte in dünnbesiedelten Gebieten südlich von Manbidsch, einer Stadt, die von der Türkei unterstützte Milizen im Dezember von den SDF erobert hatten, verstärkten allerdings Spekulationen über eine Eskalation der Spannungen in Nordsyrien. Die syrische Übergangsregierung hat sich dazu bislang nicht positioniert und sich zudem wenig an den Drohungen oder Gefechten beteiligt. Parallel wachsen auch die Spannungen zwischen der ursprünglich von der Türkei ins Rennen geschickten Syrische Nationale Armee (SNA) und den HTS. Diese werden aber nicht so öffentlich ausgetragen wie andere im Syrien nach Assad. Erst vor wenigen Tagen war in Aleppo ein Kommandant der SNA auf offener Straße erschossen worden.
Die Türkei will indes vor allem die mehrheitlich kurdischen Kampfverbände loswerden. Seit März erklärt die Regierung immer wieder, das Abkommen vom März zwischen Damaskus und der Selbstverwaltung sei so zu verstehen, dass die SDF sich auflösen. Die Vertreter aus Nordostsyrien halten dagegen, dass eine Integration als Block vorgesehen sei, wie es mit kleineren Milizen bereits geschehen ist. An eine Aufgabe der eigenen Kräfte sei angesichts der wiederkehrenden Massaker gegen Minderheiten in anderen Landesteilen ohnehin nicht zu denken. Die Selbstverwaltung fordert, dass an der Debatte rund um die Neuordnung Syriens alle Bevölkerungsgruppen teilhaben. Nur so könne die Einheit des Landes dauerhaft gewährleistet werden, ohne dass äußere Kräfte die Benachteiligung ganzer Bevölkerungsgruppen zum eigenen Vorteil nutzen. Dieses Modell dürfte in der Türkei trotz des laufenden Friedensprozesses mit der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) einigen missfallen. Sollten die SDF sich in Syrien behaupten, könnte dies kurdische Forderungen im innertürkischen Prozess mit der PKK stärken.
Zeitgleich ist ein offenes, militärisches Eingreifen Ankaras in Syrien unwahrscheinlich. Eine Intervention wie 2018 oder 2019 wäre kaum zu rechtfertigen und würde die seit einem Jahr andauernden Verhandlungen mit der PKK mit hoher Wahrscheinlichkeit beenden. So erklärte Ayşegül Doğan, eine Sprecherin der prokurdischen Dem-Partei, nach den Äußerungen von Hakan Fidan, dieser benutze eine Sprache, die zu einem Friedensprozess nicht passe.
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