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Aus: Ausgabe vom 11.08.2025, Seite 15 / Politisches Buch
Imperialismus

Das Kapital der Wüste

Die aktuelle Ausgabe der Review of African Political Economy ist der Westsahara gewidmet
Von Jörg Tiedjen
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Protest in Berlin gegen die Ausplünderung der Westsahara (25.2.2017)

Es war eine Sensation. Im Herbst 2024 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in letzter Instanz, dass die Handels- und Fischereiverträge der EU mit Marokko ungültig sind, insofern sie sich auch auf die von dem nordafrikanischen Königreich zu zwei Dritteln besetzte Westsahara erstrecken. Damit machte der EuGH jenen EU-Staaten einen Strich durch die Rechnung, die sich hinter die Ansprüche Marokkos auf die ehemalige spanische Kolonie gestellt haben. Das sind vor allem Spanien selbst, dann Frankreich und zuletzt Portugal, die mit Blick auf die Sahrauis vom Recht auf Selbstbestimmung abgerückt sind und statt dessen erklärt haben, den marokkanischen sogenannten Autonomieplan zu unterstützen.

Die in London herausgegebene wissenschaftliche Zeitschrift Review of African Political Economy (ROAPE) hat die Entscheidung des EuGH zum Anlass genommen, eine thematische Ausgabe unter der Überschrift »Ausgeraubte Gewässer, gestohlener Fisch: Ausbeutung, Widerstand und die natürlichen Ressourcen der Westsahara« herauszubringen. Aus einer materialistischen Perspektive heraus erläutern überwiegend aus dem spanischen Sprachraum stammende Autoren, wie die gegenwärtige Situation entstanden ist und wie »Ressourcenausbeutung sich von der spanischen Kolonialisierung bis zur gegenwärtigen marokkanischen Besetzung entwickelt und die politische, ökonomische und kulturelle Dynamik der Region bestimmt hat«.

Allerdings rückten die Bodenschätze und der Fisch vor der Küste erst mit der Zeit ins Zentrum des Interesses. Zunächst war Spanien vor allem daran gelegen, den Teil der afrikanischen Küste zu kontrollieren, der den Kanarischen Inseln gegenüberlag, wie Francesco Correale in einem geschichtlichen Rückblick beschreibt. Bis in die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts kontrollierte Spanien indes nur einige Stützpunkte in der Westsahara, deren Sicherheit es sogar mit Zahlungen an die Stämme erkaufen mussten. Für die Stämme war die Anwesenheit der Spanier selbst eine »Ressource«, wie Correale hervorhebt. Denn sie schützte sie vor der Eingliederung in das französische Kolonialreich in Nordafrika. Nur einmal, 1913, drangen französische Truppen auf das von Spanien beanspruchte, aber noch nicht kontrollierte Gebiet vor: als sie die vom sahrauischen Anführer Ma Al-Ainaine gegründete und rechtzeitig verlassene »heilige Stadt« Smara zerstörten. Die Westsahara wurde »ein Rückzugsort und ein geschützter Bereich, wo der Widerstand gegen den französischen Kolonialismus organisiert wurde«.

Correale verpasst ein wenig die Pointe, wenn er zwar erwähnt, dass die Westsahara Ende der 1950er Jahre eine »Wiederkehr des antikolonialen Dschihad sowohl gegen Spanien als auch Frankreich erlebte«, und dabei auf das damals verbreitete Paradigma von »Eurafrika« hinweist, das heute – etwa als Giorgia Melonis »Mattei-Plan« – in leicht verwandelter Form angesichts der Rohstoffkrise wiederkehrt, wonach die Sahara ein weitgehend unbelebter Ort voller Ressourcen ist, der von den europäischen Staaten, in diesem Fall Spanien und Frankreich, industriell zu erschließen ist. Denn die von Correale als Beispiel angeführte »Armee der Befreiung«, in der vor allem Sahrauis kämpften, wurde nicht nur von Spanien und Frankreich mit stillschweigender Duldung Marokkos niedergemacht. Auch wurden im Zuge der »Operation Écouvillon« die Herden der Sahrauis vernichtet, um den Nomaden so die Lebensgrundlage zu entziehen.

Wirft Correale ein Schlaglicht auf die Bedeutung des Westsahara-Konflikts, so verdeutlichen Victoria Veguilla und Blanca Camps-Febrer in einem Beitrag über den Fischfang, wie dieser die Kolonisierung dynamisiert. Zahllose Beschäftigte kommen aus Marokko und verdrängen die Sahrauis. Fangflotten und weiterverarbeitende Betriebe gehören Marokkanern und reichen Sahrauis, die mit der Besatzungsmacht kollaborieren. Die Unternehmen sind international verflochten. Das an ihnen beteiligte Kapital kommt aus Ländern bis hin nach Ostasien. So wichtig daher das erwähnte Urteil, das der EU den Fischfang vor der Westsahara verbieten soll, für den Kampf der Sahrauis um Selbstbestimmung ist – der Gegner ist noch wesentlich größer.

Beiträge aus Nummer 184 der Review of African Political Economy sind unter www.roape.net frei zugänglich

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