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Aus: Ausgabe vom 06.08.2025, Seite 8 / Inland
Massenüberwachung

»Sie kann eine Person in Millisekunden ausspähen«

Datenschützer warnen vor flächendeckendem Einsatz von Palantir-Software durch die Polizei. Ein Gespräch mit Uli Breuer
Interview: Gitta Düperthal
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Der Staat entscheidet, welche Bewegungsmuster als normal und welche als verdächtig gelten sollen. Demonstration für Videobeobachtung in Hamburg (14.7.2023)

Die CDU preist die in Hessen und anderen Bundesländern bereits genutzte Software des geheimdienstnahen US-Unternehmens Palantir als nützlich für den Schutz vor Terroranschlägen und Kriminalität. Digitalminister Karsten Wildberger, CDU, zeigt sich offen, sie künftig bundesweit polizeilich zu nutzen. Was ist das Problem dabei?

Bisher nutzen die Bundesländer Hessen, Nordrhein-Westfalen, Bayern und neuerlich Baden-Württemberg das Programm für polizeiliche Datenanalyse, die hessische Polizei bereits seit 2017 unter dem Namen Hessen-Data. Schnell und umfassend soll es unterschiedlichste Datenbanken miteinander verbinden und auswerten können. Wie genau, dazu ist nichts veröffentlicht. Es ist eine Blackbox. Welche konkreten Anschläge hatten durch diese Software bisher verhindert werden können, auf welche Weise? Dazu bleibt die CDU in Hessen die Antwort schuldig.

Was ist am Einsatz dieser Software so gefährlich?

Zum Beispiel die KI-gestützte Videoüberwachung. In Frankfurt am Main gibt es im Bahnhofsviertel solche Beobachtungskameras, auch an der Ecke Nidda-/Karlstraße. Dort wehrt sich das selbstverwaltete »Nika«-Hausprojekt dagegen. Wer dort ein- und ausgeht oder zu Besuch kommt, wird gefilmt. Alles kann miteinander verknüpft und ausgewertet werden, wie die hessische Polizei stolz bestätigt. Sie kann Zugriff auf Daten in Meldeämtern nehmen, wo Passfotos vorliegen. Sie kann eine Person in Millisekunden komplett ausspähen.

Die Bürgerrechtsgruppe »Die Datenschützer Rhein-Main« unterstützt die beim Frankfurter Verwaltungsgericht eingereichte Klage einer Bewohnerin des »Nika«-Projekts gegen die hessische Polizei. Mit welchem Ziel?

Die Polizei muss transparent machen, was beabsichtigt ist. Wir machen zudem in Frankfurt Videospaziergänge, um zu erfahren, welche Kameras sich unerlaubt in den öffentlichen Bereich hinein richten. Mit einer Beschwerde und der Hilfe des Datenbeauftragten haben wir es geschafft, dass eine Kamera an der Alten Oper nur noch den Bereich unmittelbar vor dem Gebäude abdeckt.

Hinter Palantir steckt der zum Umfeld von US-Präsident Donald Trump zählende Techmilliardär Peter Thiel. Überwachen die USA mit?

Palantir-Mitarbeiter aus den USA wirken mit, in die Technik einzuweisen und sie aktuell zu halten. Hessische Behörden sind auf den Support angewiesen. Noch Fragen?

Es gibt Menschen, die meinen, sie hätten nichts zu verbergen. Dann sei das auch egal …

Teilweise ist Menschen gar nicht bekannt, was es tatsächlich zu verbergen geben könnte und was bei der Polizei schon über sie bekannt ist. Mit Hessen-Data funktioniert die Kameraaufnahme in etwa so, als hätte man seinen Personalausweis auf der Stirn kleben. Anderes Beispiel: Jemand bewegt sich »auffällig«. Es könnte ein Autist sein!

Demokratische Kontrolle ist nahezu unmöglich, weil das Programm intransparent funktioniert. Wohin kann das noch führen?

Politisch ist das gefährlich. Es muss nur eine andere Regierungskonstellation entstehen, etwa mit der AfD. An der Historie der Volkszählung 1939 während der Nazizeit ist nachzuvollziehen, welche Gefahr das bedeuten kann. Dem faschistischen Regime diente die statistische Erfassung der Bevölkerung zur systematischen Verfolgung von Juden, Oppositionellen und Minderheiten. Auf Grundlage der Daten gelang es, sie zu identifizieren, zu deportieren und zu ermorden.

Das CSU-geführte Bundesinnenministerium prüft den bundesweiten Einsatz. Ist der noch zu verhindern?

Nur, wenn die Öffentlichkeit sich entschieden dagegen verwehrt, was angesichts der vorherrschenden Intransparenz schwer zu organisieren ist. Menschen engagieren sich, wenn sie über die dahinterstehenden Fakten informiert sind. Die Gefährlichkeit, die auf der Länderebene schon besteht, wird sich multiplizieren. Es darf nicht sein, dass das Polizeirecht Kontrollen vorsieht, um ein »Sicherheitsgefühl der Bevölkerung« zu stärken. So steht es seit Dezember 2024 im Hessischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Das können wir nicht akzeptieren.

Uli Breuer ist Mitglied der Bürgerrechtsgruppe »Die Datenschützer Rhein-Main«

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