Treue zum Tarif
Von Gudrun Giese
Die Ampelregierung hatte es bereits geplant; die Koalition aus CDU/CSU und SPD will es in abgespeckter Form auf den Weg bringen: Über den Entwurf eines Tariftreuegesetzes soll an diesem Mittwoch das Bundeskabinett entscheiden.
Tatsächlich lautet der Titel des Entwurfs »Gesetz zur Stärkung der Tarifautonomie durch die Sicherung von Tariftreue bei der Vergabe öffentlicher Aufträge des Bundes«. So sperrig wie der Name könnte sich der weitere Weg dieses von den Bundesministerien für Arbeit und Soziales sowie für Wirtschaft und Energie in gemeinsamer Federführung gestaltete Werk entwickeln. Denn die Kritik an dem Entwurf ebbt nicht ab. Dabei hört sich das Anliegen plausibel an: Die Nachteile tarifgebundener Unternehmen sollten im Wettbewerb um öffentliche Aufträge und Konzessionen des Bundes beseitigt werden, heißt es auf der Website des Bundesarbeitsministeriums. So würde der Verdrängungswettbewerb über die Lohn- und Personalkosten eingeschränkt, weil alle Unternehmen, die öffentliche Aufträge des Bundes ausführten, tarifvertragliche Arbeitsbedingungen gewähren müssten, ohne zur formalen Übernahme der Tarifbindung gezwungen zu werden. Gelten soll das Gesetz bei Aufträgen ab einem geschätzten Vertragswert von 50.000 Euro, bei Startups ab 100.000 Euro. Die Einhaltung der Vorgaben soll von einer eigens dafür eingerichteten Prüfstelle kontrolliert werden.
Kritik am vorliegenden Entwurf kommt etwa vom Normenkontrollrat, der ein Mehr an Bürokratie befürchtet. Auch tarifgebundene Unternehmen könnten durch die neuen Regelungen belastet werden, zitierte dpa aus einer Stellungnahme des Rates, der als ehrenamtliches Gremium die Bundesregierung beim Thema Bürokratieabbau und -vermeidung berät. Der Schwellenwert von 50.000 Euro sei viel zu niedrig. Außerdem hält es der Rat für verkehrt, dass die Einrichtung einer Kontrollstelle bei der Rentenversicherung vorgesehen ist, die die Einhaltung der Vorgaben überprüft. Aus Sicht des Normenkontrollrates könne der Zoll auch diese Aufgabe übernehmen. Zudem sei der Aufwand zur Erfüllung der Gesetzesvorgaben höher als im Entwurf des Bundesarbeitsministeriums dargestellt.
Die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) sprach von einem »Etikettenschwindel«, wie der Deutschlandfunk vorletzte Woche meldete. Das Gesetz zwinge Unternehmen in ein fremdes Tarifwerk. Das belaste vor allem kleine Firmen, erklärte BDA-Geschäftsführer Steffen Kampeter. Zudem verstehe er echte Tariftreue als freiwillige Entscheidung, während das angestrebte Gesetz der Bundesregierung für staatlichen Zwang stehe. Zur Wahrheit sollte dann allerdings der Hinweis gehören, dass sich seit gut 25 Jahren immer mehr Unternehmen aus der Tarifbindung verabschieden. So wurde beispielsweise im Handel zu der Zeit die sogenannte OT-Mitgliedschaft im Einzelhandelsverband HDE eingeführt; OT steht für »ohne Tarifbindung«. Seitdem schwindet die Zahl der tarifgebundenen Firmen in der Branche rasant. Die Gewerkschaft Verdi fordert seit langem eine Allgemeinverbindlichkeit der Tarifverträge, wogegen sich der Verband ebenso wehrt.
In der Baubranche sieht man beim Entwurf für das angestrebte Tariftreuegesetz deutlichen Optimierungsbedarf. »Die Stärkung der Tarifbindung ist ein Ziel, das wir ausdrücklich unterstützen«, sagte Felix Pakleppa, Hauptgeschäftsführer des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe, laut einer Pressemitteilung. Tariftreue Unternehmen benötigten im Wettbewerb um öffentliche Aufträge eine faire Chance und nicht mehr Bürokratie. In die gleiche Kerbe schlägt der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga), der in einer Stellungnahme erhebliche zusätzliche Bürokratie und Überregulierung befürchtet. Vor allem kleine und mittelständische Betriebe würden sich absehbar seltener an öffentlichen Ausschreibungen beteiligen, wenn das Gesetz so verabschiedet werde. Bleibt der Deutsche Gewerkschaftsbund, der »vorbehaltlos die Zielsetzung des Entwurfs, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern bei Ausführung öffentlicher Aufträge und Konzessionen des Bundes tarifvertragliche Arbeitsbedingungen zu gewähren«, unterstützt.
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