»Ich befürchte, dass es dabei nicht bleiben wird«
Interview: Kristian Stemmler
Der Hamburger Senat will offenbar die Verwendung der vielfach kritisierten Bezahlkarte, die seit 2024 für Asylbewerberleistungen eingesetzt wird, auch auf andere Bereiche ausweiten. Was ist dazu bekannt?
Geplant ist zunächst, das in der Jugendhilfe einzusetzen. Es sollen also Jugendliche, die bei Jugendhilfeträgern untergebracht sind, ihr persönliches Taschengeld über die Bezahlkarte erhalten. Ich befürchte aber, dass es dabei nicht bleiben wird. Zumindest für Leistungen, die die Kommunen vergeben, wie eben auch die Grundsicherungsleistungen für Rentner und Rentnerinnen, liegt es nahe, dass das auch darauf ausgedehnt werden soll. Und dann ist der Schritt nicht mehr weit, auch das Bürgergeld über die Bezahlkarte auszuzahlen.
Wie funktioniert die Bezahlkarte konkret und zu welchem Zweck wird sie bei Asylsuchenden eingesetzt? Wie sind die ersten Erfahrungen?
Die Bezahlkarte funktioniert wie ein virtuelles Konto. Es wird also Geld darauf eingezahlt und die Karte kann dann ähnlich wie eine Kreditkarte genutzt werden. Das klingt erst mal toll. Aber es können in diese Karte eben jede Menge Restriktionen eingebaut werden. Asylsuchende können zum Beispiel nur 50 Euro pro Person in bar abheben. Damit sind sie von Second-Hand-Käufen oder Einkäufen bei Lebensmittelhändlern, wie es sie etwa auf dem Steindamm in Hamburg-St. Georg gibt, ausgeschlossen.
Es wird immer gesagt, dass es um Verwaltungsvereinfachung und Digitalisierung geht, aber in Wirklichkeit geht es um Repression. Die Erfahrungen sind so, dass das Bargeld nicht reicht. Deshalb gibt es ja auch eine Initiative in Hamburg, die Bargeld gegen Gutscheine von Drogerie- oder Lebensmittelketten eintauscht. Und es funktioniert technisch längst nicht alles. So ist die Teilnahme am Onlinehandel, die es eigentlich mit der neuen Bezahlkarte geben soll, immer noch nicht möglich.
Sie sprechen von Schikane und von Kontrollmöglichkeiten, die eine Ausweitung der Kartenpflicht bringen könnte. Können Sie das konkretisieren?
Für Asylsuchende ist das definitiv Schikane. Bei der Ausweitung soll es angeblich in erster Linie um Menschen ohne Konto gehen. Aber warum setzt man sich dann nicht dafür ein, dass die Banken endlich das Basiskonto für alle Menschen ordentlich umsetzen? Ich denke, mit der Ausweitung der Bezahlkarte könnten perspektivisch auch Einschränkungen für weitere Personenkreise verbunden werden.
Hamburgs SPD-Finanzsenator Andreas Dressel stellt die Pläne als Beitrag zur Modernisierung der Verwaltung und als ein Vorteil für Menschen, die sonst keine bargeldlose Zahlungsmöglichkeit erhalten. Was sagen Sie dazu?
Wie gesagt, die Lösung Nummer eins ist das Basiskonto für alle. Solange es das nicht gibt, wären Barcodes zur Auszahlung von Geld etwa an Supermarktkassen, wie es sie auch für Bürgergeldempfänger ohne Konto gibt, die weniger einschneidende Lösung. Und sie bergen nicht die Gefahr von Restriktionen.
Dass es ausgerechnet wieder der Hamburger Senat ist, der mit der damit vorangeht, die Nutzung der Bezahlkarte auszuweiten, ist ein Armutszeugnis für »Rot-Grün« in Hamburg. Die Lippenbekenntnisse der Grünen, dass sie gegen Restriktionen bei der Bezahlkarte seien, helfen da nicht weiter. Bislang ist es ihnen nicht gelungen, sich durchzusetzen. Im übrigen wird für diese sogenannte Verwaltungsvereinfachung auch noch der Preis gezahlt, dass man sich an den US-Anbieter Visa bindet. Das ist auch aus datenschutzrechtlichen Gründen bedenklich.
Aus der Fachwelt wird darauf hingewiesen, es sei bei Sozialleistungen gesetzlich nicht vorgesehen, dass sie ausschließlich als Sachleistungen erbracht werden. Beruhigt Sie das?
Nein, gar nicht. Bislang gibt es das beim Bürgergeld oder bei der Grundsicherung für Rentner und Rentnerinnen zwar nicht. Aber wie lange noch? Es scheint mir nur eine Frage der Zeit, bis die Bundesregierung das Sachleistungsprinzip in die Diskussion bringt. Und die Frage ist, ob sich die SPD dann dagegen wehren wird.
Carola Ensslen ist Bürgerschaftsabgeordnete der Partei Die Linke in Hamburg und Sprecherin für Flucht und Migration
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