Schuld sei die Hamas
Von Kristian Stemmler
Von einer klaren Haltung in Sachen Gaza ist die Bundesregierung nach wie vor weit entfernt. Die katastrophale Lage dort wird zwar nicht mehr geleugnet, die Kritik an Israel bleibt aber verhalten. Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) sprach nach seinem Besuch in Israel und dem Westjordanland gegenüber dem Deutschlandfunk von einer Hungersnot in Gaza. In dem Interview, das am Freitag auf dem Rückflug nach Berlin geführt und am Sonntag gesendet wurde, erklärte Wadephul wörtlich, »dass die Blockade, die Israel praktisch ausgebracht hat für den Gazastreifen, zu einer Hungersnot geführt hat, dazu geführt hat, dass Menschen sterben, leiden, dürsten«.
Internationale Experten für Ernährungssicherheit sehen die formalen Kriterien für eine Hungersnot in Gaza bisher noch nicht erfüllt. Allerdings zeichne sich eine solche ab. Wadephul betonte, dass die UN mit all ihren Hilfsorganisationen, das Internationale Rote Kreuz sowie kirchliche und karitative Organisationen freien Zugang zum Gazastreifen bekommen müssten, um dort zu helfen. »Das kann morgen anfangen«. In dieser Woche hätten bereits mehr Lastwagen mit Hilfsgütern Zugang bekommen.
Regierungssprecher Stefan Kornelius erklärte am Sonnabend, die Bundesregierung sehe bei der humanitären Hilfe für Gaza leichte Fortschritte. Diese reichten aber bei weitem nicht aus. Israel stehe weiter in der Pflicht, »eine umfassende Versorgung auch mit Unterstützung der Vereinten Nationen und anderer humanitärer Organisationen sicherzustellen«. Zugleich schob der Sprecher die Schuld an der Lage in Gaza, der Hamas und anderen Gruppen zu: Die Bundesregierung zeige sich »besorgt über Informationen, wonach große Mengen an Hilfsgütern von der Hamas und kriminellen Organisationen zurückgehalten werden«.
Sehr gelegen dürften Kornelius und der Bundesregierung Informationen aus »deutschen Sicherheitskreisen« kommen, von denen die dpa berichtet hatte. Diesen zufolge würden 50 bis 100 Prozent der Hilfsgüter, die in den Gazastreifen gelangten, von der Hamas oder anderen kriminellen Organisationen abgezweigt. Diese Darstellung steht allerdings im Widerspruch zu Untersuchungen, über die Medien vor einer Woche berichtet hatten. Demnach haben weder US-Behörden noch israelische Stellen Belege dafür gefunden, dass die Hamas in Gaza systematisch Lebensmittelspenden unterschlägt.
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) hat unterdessen der Bundeswehr für ihre am Freitag begonnene Beteiligung an einer Luftbrücke für Hilfsgüter für den Gazastreifen gedankt. Die sogenannten Airdrops seien »nur ein kleiner Beitrag, um das Leid der Menschen in Gaza zu lindern«, schrieb er am Freitagabend auf der Onlineplattform X. Daher arbeite die Regierung »weiter intensiv daran, Hilfe über den Landweg zu ermöglichen«. Damit reagierte Merz offenbar auf Kritik von Hilfsorganisation, die solche Luftbrücken als ineffizient und gefährlich bezeichnet hatten. Bei den ersten beiden Flügen der Luftbrücke wurden laut Auswärtigem Amt 34 Paletten mit insgesamt knapp 14 Tonnen Nahrungsmitteln und medizinischen Hilfsgütern abgeworfen.
Helfen wollen zudem zwei deutsche Städte. Nach Hannover erklärte auch Düsseldorf, Kinder aus dem Gazastreifen und Israel aufnehmen zu wollen, die besonders schutzbedürftig oder traumatisiert sind. Mit Blick auf die Ankündigung der niedersächsischen Landeshauptstadt sagte der Düsseldorfer Oberbürgermeister Stephan Keller (CDU): »Diese starke und zutiefst menschliche Geste wollen wir auch in Düsseldorf aufgreifen.« Hannover hatte am Donnerstag angekündigt, bis zu 20 Kinder aufzunehmen. Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne) sagte, aktuell stünden bis zu 20 Inobhutnahmeplätze bereit. Das kann getrost als Tropfen auf dem heißen Stein bewertet werden, zumal der israelischen Regierung solche Gesten mit Blick auf die geplante Vertreibung der Palästinenser nur recht sein dürften.
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