Sozial finanzieren geht nicht
Von David Maiwald
Krankenversorgung wird teurer, die Pflege für die meisten unbezahlbar. Und die Bundesregierung? Plant Kürzungen. Auch die Chefin des Deutschen Roten Kreuzes, Gerda Hasselfeldt, sieht in der Pflege mittlerweile eine »Armutsfalle« für Pflegebedürftige und deren Angehörige. Die von ihnen zu zahlende Eigenbeteiligung sei zu »fixieren«, erklärte sie im Gespräch mit den Funke-Medien (Montagausgabe). Wie hoch ein solcher Selbstbetrag ausfallen sollte, dazu wollte sich Hasselfeldt entsprechenden Vorabmeldungen zufolge nicht festlegen. Nur soviel: Alle übrigen Kosten seien von der Pflegeversicherung und vom Staat zu bezahlen, erklärte sie.
Erst vergangene Woche hatte eine Datenauswertung des Verbands der Ersatzkassen (Vdek) ergeben, dass der Eigenanteil für die stationäre Pflege auf mittlerweile über 3.000 Euro monatlich angehoben worden ist. Mit 3.108 Euro bitten Einrichtungen zu pflegende Personen und ihre Angehörigen im Schnitt zur Kasse – ein Plus von rund 4,5 Prozent gegenüber den durchschnittlichen 2.871 Euro zuvor. »In manchen Regionen zahlen pflegebedürftige Menschen mehr als 4.000 Euro zu«, wusste auch DRK-Präsidentin Hasselfeldt zu berichten. Betroffene Familien können das verständlicherweise längst nicht mehr bezahlen. Und der Bund ist von einer auskömmlichen Finanzierung der Pflege weiterhin weit entfernt.
Mehr noch: Er hält aktiv Finanzmittel aus Beitragszahlungen zurück, die während der Coronapandemie für gesamtgesellschaftliche Ausgaben abgerechnet wurden, kritisiert der Sozialverband VdK, der daher eine Musterklage gegen die Regierung erwägt. Da sich der Bund einer Rückzahlung der offenen 5,2 Milliarden Euro verweigere, müsse sich die Situation der Pflegekassen durch den Haushaltsentwurf von Finanzminister Lars Klingbeil (SPD) weiter verschärfen, teilte der VdK vergangene Woche mit: Der vom Minister ausgerufene »Sparkurs« in allen Ressorts lege der geplanten »Reformkommission« der Sozialversicherungen »bereits vor Arbeitsaufnahme Fesseln an«. Es sei überdies »längst überfällig, dass alle Bürgerinnen und Bürger gleichermaßen in die gesetzliche Krankenversicherung einzahlen«, hieß es weiter.
Mit seinen Forderungen steht der VdK nicht alleine da. Bundesgesundheitsministerin Nina Warken (CDU) hat solchen Vorstellungen jedoch bereits eine Absage erteilt. Heißt: Auf die gesetzlich Versicherten hierzulande kommen höhere Beiträge zu. Denn ein sogenanntes Pflegegeld für mit der Sorge ihrer Angehörigen beschäftigte Familienmitglieder soll es laut Koalitionsvertrag von »Schwarz-Rot« erst bei volkswirtschaftlich besseren Gesamtbedingungen geben. Wann das sein soll, steht bei der aktuellen Lage völlig in den Sternen. Verschiedene Forschungsinstitute rechnen zwar mit einem Ende der Krise ab 2026 und einer spürbaren Erholung. Doch hat die Bundesregierung dies von den vergangenen Frühjahres- und Herbstprojektionen regelmäßig vorausgesagt und wieder revidiert.
Schon jetzt ist die Erwerbslosigkeit auf einem neuen Höchststand. Wie bei knapper Kasse und steigenden Kosten die Wirtschaft angekurbelt werden soll, bleibt vorerst unklar. Überhaupt: Mit dem sprunghaften Zollgebaren der aktuellen US-Regierung ist überhaupt nicht absehbar, wie sich das Geschäftsumfeld in BRD und EU in den kommenden Monaten entwickelt. Hinsichtlich der Krise der Industrie und teils drastischer Gewinneinbrüche, etwa in der Autoindustrie, dürfte für die Bosse erst einmal »Rosskur« statt Erholung anstehen. Und das heißt in der Praxis: Stellen kürzen, Beschäftigte entlassen, Produktion verlagern, Rendite erhöhen.
Machen die Pflegeeinrichtungen übrigens genauso: »Eine Kombination aus Arbeitskräftemangel und Finanzierungsproblemen der Pflege führt dazu, dass manche Häuser Betten abbauen, Abteilungen schließen und ganze Häuser insolvent gehen«, erklärte Hasselfeldt den Funke-Medien. Kommt eine jährlich steigende Zahl an Pflegebedürftigen hinzu. Warum dann keine Vollversicherung, aus Beiträgen aller finanziert, ohne Eigenanteil? »Nicht finanzierbar«, wurde die langjährige CSU-Abgeordnete zitiert. Als würde »Armutsfalle« nicht ein und dasselbe bedeuten.
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Leserbrief von Onlineabonnent/in Bernd H. aus Halle (Saale) (5. August 2025 um 21:35 Uhr)Die Pflege ist und wird nicht finanzierbar sein. Das hat José Saramago ilusionslos in seinem Roman »Eine Zeit ohne Tod« sehr eindrücklich und augenzwinkernd geschildert. Die Pflege ist auch so eine Zeit ohne Tod. Es muss etwas anders werden. Auch sollte der Mensch selbst entscheiden, ob er da mitmachen oder vorher in Würde gehen will und kann. Das könnte aussehen wie im Film »Soylent Green«, ich gehe hin und bin dann weg. Nur zum Keks möchte ich nicht verarbeitet, aber vielleicht zu geringeren Kosten als von 10 Jahre im Pflegeheim beigesetzt werden.
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Leserbrief von Peter Groß (6. August 2025 um 14:09 Uhr)So wie die Welt durch Kriege zerstört wird, damit auch Anbauflächen für Nahrungsmittelproduktion, bleibt wohl nur die Ernährungssituation durch die Umwandlung von Eiweiß und Hafer in Multivitaminkekse zu verbessern. Sehr zur Freude von Bahlsen oder Nestlé, die gefällige Verpackungen beisteuern (Die Großvatertüte für Heidi und Peter?). Wir sehen nur Eingangssituation der Heime, hören staatliche Kontrollen werden angemeldet, vermissen den Mut von Pflegepersonal Missstände aufzudecken, vernehmen nichts von dauerhaften Schmerzschreien fixierter Personen, von Menschen im dauerhaften Dämmerzustand, zwangsbeatmet in eigenständigen Wohngruppen, zu sechst im Raum. Von Mangelernährung, Hitzetoten und überlastetem Personal als Massenmörder. Man ist ja nicht einmal bemüht tatsächliche Opferzahlen zu ermitteln. Warum reicht nicht eine vierprozentige statt 15 bis 30prozentige Gewinnmarge? Selbst Heimleitungen, auch kirchlicher oder karitativer Träger, sind bei Spitzenlohn und Spendensituation (auch aus Erbschaften) immer noch in der Lage, Traumrenditen zu erwirtschaften und Profite nach Rom zu schicken, Villen an hohe Würdenträger oder Schwarzgeld an Banden zu finanzieren. Während Kassenärztliche Vereinigung, gesetzl. Krankenkassen, Apotheker, Hilfsmittelanbieter und Scharlatane in der Lage sind das System Pflege zu betrügen und nach allen Regeln der Kunst auszuplündern. Da werden selbst sterbende noch zu Operationen in Krankenhäuser gefahren, wenn sich eine »Lücke« auftut. Meine Mutter war Pflegerin und die Gespräche endeten oft an einem Punkt, der mich an den Erzählungen über den Krieg erinnerte. Das ist für Außenstehende einfach zu grausam, die Geschichten von brandigem Fleisch, von Druckgeschwüren und faulenden Wunden. Ihr Flehen war: »Nur nicht ins Heim«. Aber wie viele Angehörige liefern Betroffene an das System aus. Mit dem Vorsatz, nur nichts hören oder sehen, beispielsweise Windeln, kiloschwer, deren Fassungsvermögen deutlich überschritten für 24 Stunden reichen muss.
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Leserbrief von Knut - Michael Haase aus Heringsdorf (4. August 2025 um 20:49 Uhr)Mit gewohnter Gleichmäßigkeit ist in der jungen Welt über den bevorstehenden Kollaps in der Pflege zumeist Ähnliches zu lesen. Es dreht sich alles um den exorbitant gestiegenen Eigenanteil für die stationäre Pflege und die damit verbundene Tatsache, dass die betroffenen Familien die Eigenanteile nicht oder kaum noch stemmen können. Hier soll nun der Bund als Retter für eine auskömmliche Finanzierung der Pflege herhalten, wofür er nicht zuständig ist. Die Krankenkassen haben so zu wirtschaften, dass die Pflegekosten bezahlbar bleiben. Aber es gibt 94 gesetzliche Krankenkassen mit ebenso vielen Vorständen. Ein Vorstandsmitglied hat ein Jahressalär von 170 bis 360 Tausend Euro. Die Vorstände bestehen aus zwei, höchstens drei Mitgliedern. Ideenreich wäre es davon auszugehen, dass die DDR mit einer Krankenkasse, der staatlichen Sozialversicherung, für ca. 17 Millionen Menschen auskam, was ungefähr ein Fünftel der alten Bundesrepublik an Einwohnern entspricht. Also billigen wir der gesamten Bundesrepublik 5 gesetzliche Krankenkassen zu. Dann könnten 89 geschlossen werden. Das hieße bei nur 2 Vorstandsmitgliedern und ihres Jahressalärs eine Ersparnis von 47,17 Millionen Euro beim Mittelwert von 265 Tausend/Jahr. Darauf kommt aber auch nicht der VDK mit Frau Bentele an der Spitze, denn deren Jahressalär beträgt 115 Tausend Euro, weil eben die eine Fliege der anderen kein Auge auskratzt. Die gesamten Reformideen drehen sich entweder im Kreise, um die Bevölkerung zu beruhigen und der VDK stellt das soziale Gewissen dar, was er eigentlich nicht erfüllt. Die systematische Reform der Krankenkassen wird weder von der Politik noch vom VDK angedacht und auch nicht in der jungen Welt diskutiert.
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