Trommelfeuer auf Rentner
Von Ralf Wurzbacher
Länger arbeiten, am besten bis zum Ableben, »Rente mit 63« abschaffen, Leistungen eindampfen – mit diesen Kahlschlagsrezepten wollen Neoliberale den »Generationenvertrag retten« und dabei auch noch den »Wohlstand steigern«. Ökonomen des kapitalnahen Instituts für Wirtschaftsforschung (Ifo) Dresden haben vor einer »dramatischen demographischen Herausforderung« gewarnt und eine »umfassende Reform« des deutschen Rentensystems als »unausweichlich« angemahnt. Sonst drohten »einseitige Belastungen« für junge Menschen, steigende Arbeitskosten und ein »Verlust an wirtschaftlicher Wettbewerbsfähigkeit«, heißt es in einer am Freitag veröffentlichten Studie im Auftrag der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung.
Alarmismus ist das tägliche Brot derer, die Opa Alfred auch noch den letzten Rest seines wohlverdienten Ruhestands streitig machen wollen. Die »demographische Zeitbombe« ticke unaufhörlich, und ein »Weiter so« treibe die Ausgaben für die staatliche Altersvorsorge von 9,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) auf 11,1 Prozent im Jahr 2050, schreibt das Autorenteam um Ifo-Direktor Marcel Thum und um den »Wirtschaftsweisen« Martin Werding. Ferner prognostizieren sie steigende Bundeszuschüsse auf 157 Milliarden Euro und einen Beitragssatz von 22 Prozent. Wäre das so schlimm? In Österreich sind es schon heute 22,8 Prozent, und die öffentlichen Zulagen erreichen in Relation fast das Vierfache des hiesigen Levels. Resultat: Bei einem Renteneintrittsalter von 65 Jahren bei Männern (langfristig auch Frauen) erhielten Pensionäre in der Alpenrepublik im Schnitt 1.751 Euro pro Monat, in Deutschland waren es 1.177 Euro. Dabei werden auch unsere Nachbarn älter. Hörte man deshalb eine Bombe platzen?
Der entscheidende Unterschied: Österreicher lassen es sich etwas kosten, dass sie es im Alter gut haben. Und sie lassen sich Bewährtes nicht einfach kaputtreden und -machen. Das Kontrastprogramm der Ifo-Forscher geht so: »Koppelung des Renteneintrittsalters an die Lebenserwartung«, »Verstärkung des Nachhaltigkeitsfaktors«, mehr Frauen in Arbeit, »qualifizierte Zuwanderung« und weg mit allen Modellen von Frühverrentung. Die zuletzt auch in der Politik diskutierte Möglichkeit, mehr Beschäftigtengruppen wie etwa Selbständige und Politiker ins System zu holen – wie in Österreich –, findet sich erwartbar nicht auf der Liste der »Experten«. Das wäre schließlich ein Schlag gegen die private Versicherungswirtschaft, um deren Interessen es in erster Linie geht. Aber das behält man für sich und betreibt lieber eifrig Augenwischerei. Setzt die Politik die vielen Grausamkeiten nur mutig um, wird angeblich alles gut. »Denn geringere Beitragssätze bedeuten mehr Investitionen, mehr Beschäftigung, mehr Wachstum. Und davon profitieren am Ende alle«, behaupten die Ifo-Auguren.
Am Ende steht der Tod, und der soll künftig schneller nach getaner Arbeit kommen – wegen »Generationengerechtigkeit«. Erst am Donnerstag bekräftigte Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) nach einem Unternehmensbesuch in Essen ihr Verdikt für längeres Ackern. Die Sozialsysteme stünden kurz vor dem »Kippunkt« und würden alsbald »einbrechen«. Deshalb gehörten sie dringend überarbeitet, um das zu »liefern, was die Bürgerinnen und Bürger von ihnen erwarten: Sicherheit und Verlässlichkeit«. Ach ja? 2024 waren 3,5 Millionen Menschen über 65 Jahre offiziell von Altersarmut betroffen. Aber zum Glück gibt es die SPD. Finanzminister Lars Klingbeil will am Renteneintrittsalter nicht rütteln lassen, äußerte er am Mittwoch.
Reiner Heyse von der Initiative »Rentenzukunft« gibt darauf so wenig wie auf das Gerede von der demographischen Katastrophe. »Was man bis jetzt feststellen kann, ist, dass die Explosionen eher die Auswirkungen von Knallbonbons hatten. Und es wird nach Faktenlage auch in Zukunft nicht viel heftiger werden«, befand er am Freitag im jW-Gespräch. »Um eine Dramatik zu erzeugen, werden Fakten und Zusammenhänge systematisch manipuliert. Hauptsache es knallt im Blätterwald«. Was unterm Strich bleibe, sei ein beherrschbares Problem, »und alles andere als eine Bombe«.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (2. August 2025 um 21:01 Uhr)Vielleicht wird ja schon bald ein Teil der Renten in Form von Lebensmittelkarten entrichtet werden. Das wäre ganz nebenbei dann ja auch gleich eine schon früher mehrfach bewährte Methode der Kriegsertüchtigung. Und da wären ja auch noch die raffinierten Kochrezepte von Thilo Sarrazin mit den fantastischen Ernährungs- und Spartipps. Und was für Hartz-IV-Bezieher damals schon mehr als nur ausreichend war, kann doch für Rentner heute nicht zu wenig sein – oder?
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