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Aus: Ausgabe vom 02.08.2025, Seite 2 / Inland
Repression

»Das ist ein altbekanntes Muster«

Rosenheim: Verfahren gegen Antifaschisten führt zu Anzeigen gegen Beamte. Ein Gespräch mit Jakob S.
Interview: Fabian Linder
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Rosenheim-Cops der etwas anderen Sorte: Bereitschaftspolizei geht gegen Anti-AfD-Protest vor (Rosenheim, 28.1.2023)

Sie standen in Rosenheim wegen des Vorwurfs vor Gericht, im Zusammenhang mit Protesten gegen die AfD Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben. Was genau ist passiert?

Im Juli 2024 fand der erste CSD in Wasserburg am Inn statt. Die Rosenheimer AfD-Politikerin Leyla Bilge organisierte dazu eine, wie sie es nannte, ergänzende Veranstaltung. Bekannt wurde Bilge nach ihrer Rede auf dem Bundesparteitag der AfD 2023, in der sie queere Menschen unter anderem als »Satansbrut« bezeichnete. Nachdem ich mich mit anderen von der angemeldeten Gegenkundgebung entfernt hatte, wurden wir durch eine Polizeikette aufgehalten. Dort soll ich laut einem Polizeibeamten mehrmals auf ihn zugegangen und seinen Schlagstockstößen ausgewichen sein. Außerdem habe ich mich im November an Protesten gegen eine AfD-Veranstaltung in Grassau beteiligt. Dabei überschritt ich eine nicht mal kniehohe Hecke und bewegte mich mit einem Transparent in Richtung der Eingangstür. Ohne Ansprache der Polizisten wurde ich zu Boden gebracht, mein Kopf schlug gegen die Hauswand. Ich gehe davon aus, dass ich ohnmächtig zu Boden gegangen bin. Ich wurde dann auf die Polizeistation gebracht und dort bis zum Ende der Veranstaltung festgehalten. Als ich nach der Rechtsgrundlage dieser Festnahme fragte, wurde mir gesagt, ich befände mich nun in »Schutzhaft«. Von dem Widerstandsvorwurf habe ich aus den Medien erfahren.

Ihr Verteidiger hat im Zuge des Verfahrens Strafanzeige gegen Beamte erstattet. Weswegen?

Dabei geht es um die Festnahme in Grassau. Am ersten Verhandlungstag behaupteten zwei der Polizisten unter anderem, ich sei von selbst zu Boden gegangen und hätte am Boden liegend meine Arme vor dem Körper verschränkt, um somit Widerstand gegen das Anlegen der Handfesseln zu leisten. Am zweiten Verhandlungstag wurde ein Polizeivideo gezeigt, das zeigt, dass sich die Hand eines der Beamten in meinem Nackenbereich befindet, während ich zu Boden gehe, und nahe der Hauswand erst mal regungslos liegen bleibe. Nach wenigen Sekunden brachten die Beamten meine Hände auf meinen Rücken. Weiter ist zu sehen, wie ich durch die Beamten aufgerichtet werde und ohne wirkliche Körperspannung stolpernd abgeführt werde. Wir haben die Beamten wegen »uneidlicher Falschaussage«, »Verfolgung Unschuldiger« und einen der Beamten wegen »Körperverletzung im Amt« angezeigt.

Wie lief die Hauptverhandlung?

Ich wurde für den angeblichen Widerstand in Wasserburg zu einer Geldstrafe von fast 2.500 Euro verurteilt, wogegen wir selbstverständlich in Berufung gehen. Für Grassau wurde ich freigesprochen. Die Verurteilung für Wasserburg kommt aber wenig überraschend. Bereits zu Beginn des Verfahrens war deutlich, dass der Richter mich um jeden Preis verurteilen möchte. In einer früheren Verhandlung nannte er mich einen »linksextremistischen Führungskader«. Der Befangenheitsantrag gegen ihn dürfte seine Sympathie mir gegenüber nicht erhöht haben.

Das Video hatten die Beamten scheinbar nicht als relevant angesehen.

Ich denke, dass die Staatsanwältin dieses Video nie angeschaut hat. Der die Ermittlung führende Beamte sagte als Zeuge aus, dass er das Video nicht für geeignet halte, den Tatnachweis zu führen. Was ja nur logisch ist, da dieses Video meine Unschuld beweist.

Wie erklären Sie sich die offensichtlichen Falschaussagen?

Bereits auf der Wache kündigte ich an, diese Festnahme so nicht auf mir sitzen zu lassen. Es ist davon auszugehen, dass die Falschaussagen dazu dienen sollten, die eigene Gewaltanwendung zu verschleiern bzw. zu legitimieren. Es ist ein altbekanntes Muster, Kritik an Einsätzen mit Gegenanzeigen zu beantworten. Es ist einfach nur Zufall, dass die paar Sekunden meiner Festnahme auf dem Video zu sehen sind. Sonst wäre ich wohl verurteilt worden.

Ist nun mit Konsequenzen für die Polizisten zu rechnen?

Ich bin gespannt, ob die Staatsanwaltschaft auch gegen die Beamten ermittelt. Meiner Meinung nach belegt das Video unsere Vorwürfe gegen die beiden eindeutig. Im aktuellen Prozess machten Staatsanwältin und Richter aber bereits deutlich, dass sie keine Zweifel an den Aussagen der Polizisten hätten.

Wie bewertest du dieses Verfahren insgesamt?

Die Kriminalisierung von linkem und antifaschistischem Aktivismus hier in Rosenheim und Region hat eine lange Geschichte. Aktivisten sollen durch Verfahren und Anzeigen eingeschüchtert werden. Während die Repression bisher primär einzelne Aktive getroffen hat, können wir hier in letzter Zeit eine Entwicklung hin zu »Massenverfahren« erkennen.

Jakob S. ist im Süden Bayerns in antifaschistischen Zusammenschlüssen aktiv

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