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Aus: Ausgabe vom 28.07.2025, Seite 4 / Inland
Repression

Entscheidend eingewirkt

Berlin: »Internationalist Queer Pride for Liberation« nach Angriffen auf Palästina-Block polizeilich aufgelöst
Von Kristian Stemmler
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Eine Teilnehmerin der Demonstration wird am Sonnabend in Berlin abgeführt

Polizeiliche Angriffe auf palästinasolidarische Demonstrationen sind in Berlin inzwischen beinahe Normalität. Die blieben auch dem Palästina-Block der »Internationalist Queer Pride for Liberation« nicht erspart, die am Sonnabend mit rund 10.000 Teilnehmern durch Kreuzberg zog – als linke Alternative zu der vollständig in den Mainstream integrierten »Christopher Street Day«-Demo. Der Aufzug wurde mehrfach gestoppt und von der Polizei attackiert, wie unter anderem die Veranstalter bei Telegram mitteilten. Greiftrupps entrissen Demonstranten Spruchbänder und führten Teilnehmer im Würgegriff ab, wie Videos beim Kurznachrichtendienst X zeigen. Gegen 20 Uhr wurde die Demonstration in der Nähe des Kottbusser Tors aufgelöst.

Während der Demonstration hatten die Veranstalter mehrfach die Teilnehmer aus anderen Blocks dazu aufgerufen, sich schützend vor die »palästinensischen Genossen« zu stellen, die »bevorzugtes Ziel« der Einsatzkräfte seien.

Aus Sicht der Polizei ging die Gewalt wie stets allein und zuerst von den Demonstranten aus, und natürlich fehlte auch der von den Behörden längst routiniert erhobene Vorwurf des Antisemitismus nicht. Bei X teilte die Polizei mit, ausschlaggebend für die Auflösung seien »anhaltende Unfriedlichkeiten in Form von wiederholten Angriffen auf Einsatzkräfte und das Rufen antisemitischer Parolen« gewesen. So seien die Beamten mit Flaschen und Fahnenstangen attackiert worden. Trotz mehrmaliger Aufforderungen habe die Versammlungsleitung nicht entscheidend auf die Teilnehmenden einwirken können. Es habe 57 Festnahmen gegeben, unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. 17 Einsatzkräfte seien verletzt worden, so die Polizei.

Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner hatte die Polizei bereits im Vorfeld der Demonstration – auch dies nicht zum ersten Mal – angefeuert. Bei Welt TV erklärte der CDU-Politiker, »wo Antisemitismus, wo Gewalt gegen Polizeikräfte angewendet wird«, da werde die Polizei »robust und konsequent mit ganzer Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters einschreiten«. Die wachsende, inzwischen auch internationale Kritik an Senat und Polizei beeindruckt Wegner offensichtlich nicht. Erst im Juni hatte sich der Menschenrechtskommissar des Europarats, Michael O’Flaherty, in einem Brief an Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) besorgt gezeigt über das Vorgehen deutscher Behörden gegen palästinasolidarische Demonstranten.

Gar kein Problem hatte Wegner mit der Hauptveranstaltung zum »Christopher Street Day« (CSD), die unter dem Motto »Nie wieder still!« stand. Arm in Arm mit seiner Senatskollegin und Partnerin, Bildungssenatorin Katharina Günther-Wünsch (CDU), gehörte er zu den Hunderttausenden, die vom Leipziger Platz über den Potsdamer Platz zum Brandenburger Tor zogen. Die Veranstalter teilten gegenüber dpa mit, die Veranstaltung sei »so groß wie lange nicht mehr« gewesen.

Eine Randnotiz blieben am Sonnabend Aktionen von Neonazis, die zuletzt immer wieder gegen Veranstaltungen wie den CSD mobilisiert hatten. An einer Neonazikundgebung am Schöneberger Ufer beteiligten sich nach Polizeiangaben weniger als 50 Personen. Sie wurden durch Gitter und Polizeiwagen von der CSD-Demo getrennt. Auf dem Weg zu der Kundgebung der Neonazis waren sechs Personen am Alexanderplatz festgenommen worden. Sie seien im Rahmen der sogenannten Messer- und Waffenverbotszone kontrolliert worden, wie die Polizei auf X mitteilte. Unter ihnen befand sich demnach auch die Anmelderin der Gegenversammlung. Die Personen seien in polizeilichen Gewahrsam gekommen.

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