Feuerprobe bestanden
Von Gisela Sonnenburg
Am Ende tanzte das Ensem-ble munter und fast chaotisch durcheinander, zum Finale der »Fünften Sinfonie von Gustav Mahler«, so auch der Stücktitel. Der Vorhang der Hamburgischen Staatsoper senkte und hob sich wieder, ein zusätzlicher Gag. Mit Symbolwert: Es wird immer weitergehen. Somit endete am Sonntag nach fast sechs Stunden die diesjährige Ausgabe eines weltweit einmaligen Mammutformats, der Nijinsky-Gala beim Hamburg-Ballett. Es war die 50. Gala, ein ehrwürdiges Jubiläum. Der aktuelle Ballettchef Lloyd Riggins, der sie erstmals moderierte, wird danach erleichtert aufgeatmet haben. Feuerprobe bestanden.
Stars aus Beijing, London, Genua und New York waren da, um Spitzenleistungen zu zeigen. Auch die einheimischen Künstler vom Hamburg-Ballett gaben ihr Bestes. Überwiegend wurden moderne Tanzstücke gezeigt, nur die festlichen »Diamonds« von George Balanchine vom New York City Ballet frönten zu Musik von Tschaikowski der historischen Neoklassik. Simon Hewett dirigierte live das Philharmonische Staatsorchester Hamburg mit exzellenter Nuancenvielfalt und emotional beglückenden Tempi.
Ein weiterer Höhepunkt: die »Lieder eines fahrenden Gesellen« von Maurice Béjart. Er verband die Liederreihe von Gustav Mahler zu einem intensiven Pas de deux. Jacopo Bellussi, bis vor kurzem Startänzer beim Hamburg-Ballett, und Matthew Ball vom Royal Ballet aus London interpretierten den Paartanz konzentriert und pointiert. Ein Mann (Bellussi) wird darin vom Tod (Ball) wie von einem Freund erkannt, umgarnt, verführt und schließlich ins dunkle Nichts abgeführt.
Auch aus Beijing kam ein Pas de deux, von Frau und Mann getanzt und choreographiert von Chen Zihao. Durchwirkt von dramatischen Gesten, bot er ein Loblied auf die Liebe als Salz des Lebens. »Shadows of Life« (Schatten des Lebens) heißt tiefgründig das Stück, dem er entstammt. Die Chinesen bewiesen, dass sie Weltklasse sind.
Mit einem weiteren Pas de deux wies das Hamburg-Ballett auf seine eigene Zukunft hin: »Die Möwe« von John Neumeier, frei nach Anton Tschechow, kommt im September auf den Spielplan. Caspar Sasse als Kostja und Ana Torrequebrada als Nina brillieren als lebenshungriges, sehnsüchtiges Künstlerpaar. Schostakowitschs zweites Klavierkonzert scheint dafür wie gemacht.
Auch der »Valse Triste« von Alexei Ratmansky mit Mira Nadon und Davide Riccardo aus New York war ein Vorgriff, denn Ratmansky wird in Hamburg eine Uraufführung erarbeiten. Er ist als ehemaliger Chef des Bolschoi-Balletts in Moskau ein Abtrünniger, der heute der Ukraine den Rücken stärkt – insofern ist Ratmansky nicht ganz so weltoffen, wie man es in der Kunst sein sollte. Auch sein Pas de deux entbehrt der Entwicklung.
Ein absoluter Höhepunkt dagegen: Madoka Sugai und Alexandr Trusch in »Sylvia« von John Neumeier. Witz, Poesie, Erotik, Akrobatik vereinen sich zu einem Feuerwerk der Liebeslust. Bittersüß war die Show deshalb, weil beide Stars beim Hamburg-Ballett wegen Exchef Demis Volpi kündigten. Sugai geht als Primaballerina nach Boston in die USA, wo sie überwiegend Klassik tanzen wird. Trusch hingegen hofft auf ein Zeichen vom Hamburg-Ballett, dort wieder mehr als nur ein Gast zu sein. Er hat maßgeblich die Missstände unter Volpi mit aufgedeckt. Es gibt Menschen, die behaupten, Hamburgs Kultursenator Carsten Brosda (SPD) habe persönlich dafür gesorgt, dass Trusch noch nicht wieder fest in Lohn und Brot für die kommende Spielzeit steht. Brosda dementierte das auf Anfrage.
Ein Nachgeschmack bleibt. Denn gerade Trusch steht am Hamburg-Ballett für Hoffnung. Sugai und er galten als Bühnentraumpaar, »himmlisch« nannte Lloyd Riggins sie in seiner Moderation, die er übrigens den ganzen Abend vom Blatt ablas, allerdings mit freundlichem Humor und Schalk in den Augen.
Beim letzten Stück handelte es sich um eine Kreation von John Neumeier aus dem Jahr 1989. Die Zeitlosigkeit seiner Werke wird das Hamburg-Ballett weiterhin prägen – das ist wichtig und richtig so. Genies fallen nicht vom Himmel.
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