Rotlicht: Remigration
Von Barbara Eder
Listen sollen ordnen, was sich der Kategorisierbarkeit entzieht – auch in der Migrationsforschung: Fluchtursachen werden in diesem Zusammenhang oft nach Faktoren wie Klima, Krieg oder Arbeitsmarktchancen sortiert. Idealiter folgen transnationale Wanderbewegungen bestimmten Mustern: zirkulär, temporär, irregulär oder normativ. Im erzählenden Genre ist das lineare Modell besonders beliebt: Einer geht und kommt nie zurück. Es ist die klassische Auswandererzählung aus dem 19. Jahrhundert, welche dem Herkunftsort nichts mehr, dem Ziel aber alles zutraut – Arbeit, Aufstieg, Einwandererkarriere: vom Tellerwäscher zum Millionär.
Migration ist realiter nur selten ein punktuelles Ereignis, statt dessen eine durch Erwerbszwang bestimmte Pendelbewegung – zwischen Arbeitsorten, national verschiedenen Mindestlöhnen und unsicheren Aufenthaltstiteln: Eine putzt für eine, die anderswo geputzt hat. Die »Zwei-Drittel-Putzfrau« (Elisabeth Beck-Gernsheim) arbeitet zwei Drittel ihrer Zeit in anderen Staaten, das verbleibende Drittel verbringt sie in ihrem Herkunftsland – im Versuch, durch temporäre Migration lokaler Armut zu entkommen, ohne dabei der Ausbeutung in informellen Sektoren des globalisierten Weltmarktes zu entgehen. Die klassische Push-Pull-Typologie unterstellt hingegen, dass Migration aus dem Zusammenspiel individueller Anreize und struktureller Defizite entstehe. Doch wer zieht dabei wen – und warum? Und wer kontrolliert die Vektoren der Bewegung?
Als wissenschaftlicher Terminus bezeichnet »Remigration« die Rückkehr von Ausgewanderten in ihr Herkunftsland – freiwillig, unfreiwillig, temporär oder endgültig. Dabei kann es sich um ein Zurückkehren nach dem Fall einer Diktatur ebenso handeln wie um ein Verweilen in der »diasporischen Schwebe«, wie Stuart Hall es nannte. Seit dem 25. November 2023 hat sich der Inhalt des Begriffs »Remigration« fundamental verändert. Am Tag des Treffens von extrem rechten Vertretern von AfD und »Identitärer Bewegung« in einer Potsdamer Privatvilla wurde die »Remigration« von in Deutschland lebenden Menschen mit Migrationshintergrund informell beschlossen. Seither ist dieses Wort ein Euphemismus für Deportation, Abschiebung und Vertreibung, in-strumentalisiert als Kampfbegriff der Neuen Rechten.
Die Sprache lügt nicht. Wer eine Vokabel mit derartigem Bedeutungsinhalt versieht, betreibt bewusst Begriffsverschiebung. Migrationsforscher, die sich den Grenzregimen der Festung Europa andienen, haben dies bislang subtil getan. Wer von Push und Pull spricht, meint individuelle Ursachen – als gäbe es keine Politik, keine Kriege, keine ursprüngliche Akkumulation, als würde das Kapital die geographischen Vektoren für das »lebende Kapital« nicht gezielt vorgeben. Ankommen oder Rückkehr hat es nie gegeben – nur Zwischenzustände, Passagen und temporäre Duldungen inmitten von rigiden Kontrollstrukturen.
Seit dem identitären Manöver ist »Remigration« jedoch nicht bloß ein unscharfer Terminus, sondern eine semantische Drohgebärde – gerichtet gegen alle, deren Existenzen auf diese Weise prekarisiert werden. Dass der Begriff bereits davor gezielt eingesetzt wurde, um zu düpieren, zeigt sich in einer Publikation des EU-Abschiebeunternehmens Frontex aus dem Jahr 2023: Mit »You will return home« hat diese ein Comic für Kinder zwischen sechs und elf Jahren herausgegeben, das Abschiebung als Abenteuer inszeniert – vom Flughafentransfer mit lustigen »Begleitpersonen in bunten Westen« bis hin zu Handschellen »zum Schutz aller«. Kinder, die abgeschoben werden, sollen sich auf die »Heimreise« in eine Fremde freuen, die ihre neue »Heimat« sein soll – mit einem Abschiebeblatt zum Ausmalen. Als wissenschaftlicher Begriff war »Remigration« bereits in Verruf gebracht worden, als politischer ist er es dieser Tage ein für allemal.
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