Sozialfall Thyssen-Krupp
Von Oliver Rast
Eine Meldung, die wach macht, vor dem ersten Kaffee schon. Um sechs Uhr morgens am Sonnabend soll die Tinte trocken gewesen sein. Unter dem »Sanierungstarifvertrag«. Genauer gesagt: unter einer Sammlung tarifvertraglicher »Eckpunkte«, auf die sich die Bezirksleitung der IG Metall (IGM) NRW und der Vorstand von Thyssen-Krupp Steel Europe (TKSE) zuvor geeinigt haben. Nach drei intensiven Verhandlungstagen.
Das Ergebnis macht dann extra munter: Urlaubsgeld weg, Weihnachtsgeld halbiert, Arbeitszeit runter; von 34 Wochenstunden auf 32,5 – ohne Lohnausgleich, versteht sich. Unter dem Strich bedeutet der »harte Sparkurs« ein Einkommensminus von acht Prozent für die knapp 27.000 Beschäftigten beim größten deutschen Stahlproduzenten.
Was meint der IGM-Bezirksleiter und Verhandlungsführer Knut Giesler? »Wir haben in einer extrem angespannten wirtschaftlichen Lage Verantwortung übernommen und einen tragfähigen Kompromiss für unsere Kolleginnen und Kollegen herausgeholt«, wurde er in einer Gewerkschaftsmitteilung am Sonnabend zitiert. Gewiss, schmerzhaft sei der »Kompromiss«, gleichfalls für die Kapitalseite. Es seien aber betriebsbedingte Kündigungen bis 2030 vom Tisch, »und Garantien für Standorte und Investitionen in die Anlagen gibt es auch«. Gute Signale seien das.
Ähnlich äußerte sich gleichentags Tekin Nasikkol. »Wir sind an die Schmerzgrenze gegangen und haben Zugeständnisse nur dort gemacht, wo es wirklich nötig war, um Arbeitsplätze und Standorte zu sichern«, meinte der Vorsitzende des Gesamtbetriebsrates (GBR) der Stahlsparte bei Thyssen-Krupp. Damit seien die Voraussetzungen geschaffen, dass das Unternehmen aus eigener Kraft aus der schwierigen Situation herauskomme.
Giesler und Nasikkol behaupten ferner, der »Abschluss« schaffe Klarheit für die Beschäftigten des Unternehmens und lege den Grundstein für die Neuaufstellung der Sparte. Mit Verlaub, das dürfte voreilig sein. Dazu gleich. Zunächst: Im Vorfeld der dreitägigen Verhandlungsrunde hatten die Konzernbosse die immer gleiche Leier angestimmt – Konjunkturschwäche, hohe Energiepreise, Billigimporte aus Asien. Eine ökonomische Lage der Stahlbranche, die »tiefe Einschnitte« erfordere. Klar: für die Belegschaft.
Noch vor vierzehn Tagen klangen IGM und GBR vergleichsweise konfliktfreudig. »Sie nennen es ›Sanierung‹, wir nennen es Kahlschlag auf eure Kosten«, heißt es in einem Instagram-Post der Gewerkschaft. Zumal eine »knallharte Giftliste« auf dem Tisch läge. »Wir sagen: Jetzt ist Schluss! Wir stehen zusammen. Wir kämpfen gemeinsam.« Nur, von Auf-den-Tisch-Hauen ist nichts mehr zu spüren.
Das wäre aber geboten. Denn in der TKSE-Mitteilung steht: »Erklärtes Ziel beider Parteien ist und bleibt es, betriebsbedingte Kündigungen zu vermeiden.« Wohlgemerkt: »vermeiden«, nicht ausschließen. Erklären kann man viel. Hinzu kommt: Der finale Abschluss des Tarifvertrags steht unter einem Finanzierungsvorbehalt. Erst wenn »überschüssige Kapazitäten« abgebaut, die »Personaleffizienz« verbessert und ein »wettbewerbsfähiges Kostenniveau« erzielt seien, gebe es Perspektiven für den Stahlhersteller.
Bereits jetzt müssten »Interessenausgleich und Sozialplan« ausgearbeitet werden, sagte Dirk Schulte, Personalvorstand und Arbeitsdirektor bei TKSE. Zügig sogar. Dazu braucht der Konzernvorstand seine »Sozialpartner« und »Komanager«, die IGM und den GBR. Das sollte Stahlwerker wachrütteln.
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