Total antitotalitär
Von Arnold Schölzel
Anfang Oktober finden in Tschechien Parlamentswahlen statt und die Aussichten für die amtierende extrem antikommunistische und antisoziale Regierung sind schlecht. Am Sonntag berichtete die Nachrichtenagentur CTK, die Partei Ano des früheren Premiers Andrej Babiš liege weit vor der Regierungskoalition, und das von der Kommunistischen Partei Böhmens und Mährens (KSČM) geführte Bündnis Stačilo! werde ins Parlament zurückkehren. Die KSČM hat sich von ihrer Niederlage 2021 rasch erholt, errang bei den EU-Wahlen 2024 zwei Sitze und verdreifachte bei Regionalwahlen im September ihre Mandate.
Die am Donnerstag von Präsident Petr Pavel, bis 1989 Mitglied der KPTsch, unterzeichnete Änderung des Strafgesetzbuches wirkt da wie eine taktische Notbremse. Faschismus und Kommunismus werden wieder einmal auf die gleiche Stufe gestellt, ein Verbot der Kommunistischen Partei ist nicht ausgeschlossen. Seit das tschechische Parlament den Gesetzentwurf am 30. Mai verabschiedet hat, sind aber linke und rechte Oppositionsparteien im Aufwind – nicht zuletzt, weil die Regierung jüngst noch ein Rentenkürzungsgesetz durchs Parlament peitschte.
Das tschechische Gesetz, das von der üblichen antikommunistischen Hetze begleitet wurde, mag dem aktuellen Wahlkampf geschuldet sein, Teile der Bourgeoisie des Landes verstanden sich aber seit der Konterrevolution von 1989 stets als Speerspitze des antikommunistischen EU-Konsenses, der antitotalitär daherkommt. So wurde 2006 der Kommunistische Jugendverband verboten, der erst nach langwierigen juristischen Auseinandersetzungen 2010 die Legalität wiedererringen konnte. In jenem Jahr forderten die Außenminister von Litauen, Lettland, Bulgarien, Ungarn, Rumänien und Tschechien von der EU-Kommission, die Verbrechen des Kommunismus so zu behandeln wie die des NS-Regimes. Die Verharmlosung des faschistischen Völkermords an den Völkern Ost- und Südosteuropas sowie der Juden Europas diente jetzt in Prag erneut der »Begründungs«kampagne.
Der herrschenden EU-Gesinnung entspricht das seit Jahrzehnten, und die ehemals sozialistischen Staaten versuchen immer wieder, das Streben nach einer Systemalternative zum Kapitalismus per Gesinnungspolizei zu verbieten. Die EU-Mobilisierung gegen Russland gab den antikommunistischen Hexenjägern in Tschechien im 80. Jahr der Befreiung vom Faschismus durch die Rote Armee besonderen Auftrieb. Prag ist dabei stets besonders konsequent: Dort wurde jetzt folgerichtig nicht die Rote Armee, sondern die von den Nazis aufgestellte Wlassow-Truppe als »Befreier« gefeiert.
Der EU- und NATO-Ostexpansion folgen die Versuche der ideologischen Westexpansion der östlichen Staaten seit geraumer Zeit konsequent. Sie liefern die Vorlagen für die Einschränkung von Grundrechten auch hierzulande. In Tschechien scheint allerdings der politische Erfolg auszubleiben.
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