Geist von Shanghai lebt
Von Jörg Kronauer
An dringlichen Themen mangelte es nicht beim Treffen der Außenminister der Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit (SCO) am Dienstag in der nordchinesischen Hafenstadt Tianjin. Ursprünglich sollte die Zusammenkunft vor allem der Vorbereitung des diesjährigen SCO-Gipfels dienen, der für den 30. August und den 1. September angekündigt ist und gleichfalls in Tianjin stattfinden soll. Kurzfristig aber hatte sich anderes in den Vordergrund gedrängt: der israelisch-US-amerikanische Angriff auf das SCO-Mitglied Iran; der kurze, aber bedrohliche Waffengang zwischen den SCO-Mitgliedern Indien und Pakistan; der Versuch der USA, mit Blick auf den Ukraine-Krieg einen Keil zwischen die SCO-Gründungsmitglieder Russland und China zu treiben. Im Hinblick auf all die Verwerfungen hob Chinas Präsident Xi Jinping bei einem Treffen mit den SCO-Außenministern den »Shanghai Spirit« hervor: die Grundprinzipien der Organisation, darunter besonders den Willen, mit Respekt für andere zum gegenseitigen Nutzen zusammenzuarbeiten.
Erhebliche Bedeutung hatten die zahlreichen bilateralen Gespräche am Rande des SCO-Treffens. Bereits am Sonntag waren die Außenminister Chinas und Russlands, Wang Yi und Sergej Lawrow, zum Austausch zusammengekommen. Wang lobte das Verhältnis zwischen beiden Ländern als »eine der stabilsten, reifsten und strategisch wertvollsten Beziehungen zwischen Großmächten in der heutigen Welt«. Er erklärte, man bereite zur Zeit »die nächste Phase« einer »umfassenden strategischen Koordination« zwischen beiden Hauptstädten vor. Das ließ sich als klare Ansage gegenüber dem Versuch aus dem US-Kapitol verstehen, mit der Androhung von Zöllen von nun 100 Prozent auf Importe aus Ländern, die mit Russland kooperieren, Beijing gegen Moskau aufzubringen. Die Botschaft aus Tianjin: Russland und China mögen viele Differenzen haben – sich in den aktuellen historischen Umbrüchen eng zusammenzutun hat für sie trotz allem Priorität.
Ein wenig zuversichtlich stimmten die Gespräche, die Indiens Außenminister Subrahmanyam Jaishankar in Tianjin mit Wang und Xi führte. Wie angespannt das Verhältnis zwischen Indien und China nach wie vor ist, zeigte schon die Tatsache, dass sich Jaishankar zum ersten Mal seit den indisch-chinesischen Grenzscharmützeln von 2020 in der Volksrepublik aufhielt. Der indische Minister verlieh jedoch der Hoffnung Ausdruck, die Verbesserung in den bilateralen Beziehungen, die seit der Zusammenkunft von Xi und Indiens Ministerpräsident Narendra Modi am Rande des BRICS-Gipfels im Oktober 2024 festzustellen sei, werde sich fortsetzen. Der kurze Krieg zwischen Indien und Pakistan wird in Jaishankars Gesprächen eher keine größere Rolle gespielt haben – Neu-Delhi betrachtet seinen Konflikt mit Islamabad als rein bilaterale Angelegenheit. Gut möglich allerdings, dass er bei Xis Treffen mit dem pakistanischen Außenminister Ishaq Dar zur Sprache kam: China und Pakistan sind eng verbündet. Das schließt Waffenlieferungen und Militärkooperation ein.
Nichts Näheres war bis Redaktionsschluss über den Verlauf der Gespräche bekannt, die Irans Außenminister Abbas Araghtschi jeweils mit Wang und Lawrow führen wollte. Vorab hieß es, von Beijing erhoffe sich Teheran vor allem eine Ausweitung des Handels und insbesondere der iranischen Öllieferungen ungeachtet aller US-Sanktionen. Zudem setze Iran darauf, dass die Volksrepublik künftig eine aktivere Rolle im Mittleren Osten spielen und Teheran größeren Schutz bieten könne. Mit Lawrow werde Araghtschi eventuell über den »Internationalen Nord-Süd-Korridor« sprechen, spekulierten manche. Dieser soll Indien auf dem Seeweg mit Iran und weiter auf dem Land mit Aserbaidschan und Russland verbinden. Ein Widerspruch besteht nach wie vor darin, dass China und Russland gleichermaßen kein Interesse an einer iranischen Atombombe haben, die aber für Teheran unter den aktuellen Bedingungen die einzige Garantie gegen künftige Regime-Change-Operationen und militärische Überfälle böte. Ob sich unter den Bedingungen tiefer Kräfteverschiebungen in der Welt alternative Garantien abzeichnen könnten, mag ein Gegenstand von Araghtschis Gesprächen gewesen sein.
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