Alles unter Kontrolle
Von Marc Hairapetian
»Thank you! Danke schön! Arigato gozaimasu!«, verabschiedet sich J-Pop-Sängerin ChouCho am zweiten Tag der Anime-Messe 2025 (4.–6.7.) vom Publikum im überfüllten Festsaal des Filmparks Babelsberg: »I love you all!« Ihre deutschen Fans, nicht wenige von Ihnen tragen phantasievolle Cosplaygewänder, fordern kollektiv auf Japanisch eine Zugabe: »Ankōru, ankōru!«
Um ihren wirklichen Namen macht ChouCho (»Schmetterling«) ein Geheimnis. Man weiß nur, dass sie an einem 21. Juni geboren wurde und 2007 ihre Karriere als Sängerin der Anime-Song-Band Lotus startete. Man wäre dem Mysterium gerne auf den Grund gegangen, doch zu einem Gesprächstermin in einem Potsdamer Hotel erschien sie nicht. Er wurde nicht einmal abgesagt.
Die bunte, heile Anime-Welt mit ihren Japanese Idols – von denen viele strenge Verträge unterzeichnen müssen, die ihnen etwa teils untersagen, während ihrer aktiven Zeit Liebesbeziehungen einzugehen – ist vor allem ein lukratives Geschäft. Was offenbar nicht hinterfragt werden soll. »Es ist in diesem Jahr überhaupt schwierig mit den Managements der japanischen Ehrengäste«, bedauert Michael Klement, der Leiter der Anime-Messe, im Gespräch mit jW. Auch bei Synchronsprecherin Manami Tanaka (»Keijo«) und der US-amerikanisch-japanischen Singer-Songwriterin Nano (eigentlich Hana Ishiyama Ohara) mussten alle Interviewfragen vorab eingereicht werden. Hier wurden die Gespräche immerhin abgesagt, wenn auch äußerst kurzfristig. Selbst die Besucher leiden: Die beliebten »Meet and Greet«-Treffen, wo die Fans ihren Stars näher kommen, Selfies machen und Fragen stellen können, mussten nach einer Intervention der japanischen Ehrengäste ausfallen.
Eine löbliche Ausnahme war da die neue Japanese-Idol-Girl-Band Your Advisory Board, die sich viel Zeit für die Besucher nahm. Auch die Prog-Pop-Gruppe KOIAI aus Tokio, die mit virtuosen Metal-Jazz (!) die Vulkanarena des Filmparks rockte, zeigte sich spontan: Die vier jungen Frauen waren ohne vorab eingereichten Fragenkatalog zu einem ausführlichen Interview bereit. Li-sa-X ist eine Art Wunderkind: Seit ihrem fünften Lebensjahr spielt sie E- Gitarre, heute, mit 20, ist sie eine Virtuosin. Und erstaunlich offen: »Wir haben mit Anime nicht viel am Hut, freuen uns aber, dass wir im Rahmen unserer Europa-Tour hier auftreten dürfen. Die Fans in Deutschland gehen viel mehr aus sich heraus als bei uns in Japan!«
Den Besuchern wurde für die durchaus stolzen Eintrittspreise (bis zu 109 Euro für ein Kombiticket) einiges geboten: »Dragon Ball« traf auf »Die unendliche Geschichte«. Neben dem obligatorischen Cosplaywettbewerb gab es unter anderem die Weltpremiere des Fantasy-Anime-Films »Apocalypse Bringer Mynoghra« zu sehen, der Meisterwerken des Genres wie dem Cyberpunk-Klassiker »Akira« (1988) oder dem Berlinale-Erfolg »Suzume« (2022) inhaltlich wie formal in nichts nachsteht.
Charakterdesignerin Eri Kojima vom Studio Maho Film gab ein Live-Drawing-Panel. In Workshops der Deutsch-Japanischen Gesellschaft Berlin konnte man Grundtechniken des Manga- und Kanji-Zeichnens lernen. Wer weiß? Vielleicht war unter den Teilnehmern auch das eine oder andere junge Talent, das sich irgendwann selbst in der Anime-Welt einen Namen machen wird. Hoffentlich dann mit einem Management, das den Kontakt zu Publikum und Presse nicht unterbindet.
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