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Aus: Ausgabe vom 12.07.2025, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
Journalismus als Aktivismus

»Objektivität existiert nicht. Jeder hat eine Position«

Über Medien als Stütze der Macht zwischen Ethik, strukturellem Rassismus und dem Schweigen zum Völkermord. Ein Gespräch mit Fréderike Geerdink
Interview: Carmela Negrete
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Italienische Journalisten im Gedenken an ihre in Gaza getöteten palästinensischen Kollegen (Rom, 22.6.2025)

Warum sind Sie ursprünglich Journalistin geworden, und was hat Sie dazu inspiriert, über Journalismus und Aktivismus ein Buch zu schreiben?

Mein neues Buch richtet sich an Journalisten und an Menschen, die Nachrichten konsumieren. Es ist sowohl ein Manifest als auch eine journalistische Autobiographie. Ihre Frage, warum ich Journalistin geworden bin, passt also sehr gut. Ich habe mit der Journalistenschule ein paar Wochen vor meinem 18. Geburtstag angefangen – ich war sehr jung. Aber ich war ein rebellischer Teenager, der das Schreiben liebte. Schon als Kind habe ich Bücher geschrieben. Diese rebellische Jugendliche wollte mit dem Schreiben die Welt verbessern – durch Journalismus. Und nach 30 Jahren im Beruf bin ich zu genau diesem Punkt zurückgekehrt. Ich will die Welt besser machen.

Damit setzt man sich oft dem Vorwurf aus, naiv zu sein.

Das ist nicht naiv. Genau das sollte Journalismus nämlich in Wahrheit anstreben. Der westlich-weiße Journalismus hat das völlig aus den Augen verloren, weil er vorgibt, über den Dingen zu stehen, über die er berichtet. Aber ihr weißen Menschen – und ich selbst bin ja auch weiß – müsst euch bewusst machen, dass auch ihr von Faschismus betroffen sein werdet. Andere Gruppen trifft es nur früher. All das wurzelt im Kolonialismus, auf dem unsere Gesellschaften errichtet sind. Das habe ich in meiner Zeit in der Türkei und in Kurdistan gelernt.

Wie hat sich das »Über-den-Dingen-stehen« bei Ihnen in der Anfangszeit dargestellt?

In der Journalistenausbildung und später im Job – anfangs im öffentlich-rechtlichen Bereich und bei Frauenzeitschriften über Gesundheitsthemen – wird man in ein »objektives« Arbeiten hineingepresst. Ich habe das mit mir machen lassen, denn ich bin Teil einer dominanten gesellschaftlichen Gruppe. Nicht als Frau, aber als weiße Person aus einer bürgerlichen Familie. Damals habe ich nicht erkannt, wie privilegiert meine Position war. Dann ging ich in die Türkei und ehrlich gesagt, das ist mir heute fast peinlich. Ich wusste es damals einfach nicht besser. Ich ging ins Ausland, weil ich dachte, in den Niederlanden gäbe es keine wirklich wichtigen Geschichten mehr. Wir leben hier in einer Art fertiger Gesellschaft, und das ist ja auch okay. Aber ich war geblendet – von meinem eigenen Weißsein. Ich konnte vieles einfach nicht sehen.

Aktivismus kann manchmal aber problematisch für objektiven und guten Journalismus sein, oder?

Objektivität existiert nicht. Jeder Mensch hat eine Position. Mein Buch heißt »All Journalism is Activism« (»Jeder Journalismus ist Aktivismus«, jW), weil jeder Journalismus eine Veränderung bewirken will – oder sollte. Wenn das nicht das Ziel ist, dann ist es kein Journalismus. Ich habe damals bei einer Lokalzeitung im Osten der Niederlande angefangen, nahe der deutschen Grenze. Wenn eine Lokaljournalistin über eine gefährliche Kreuzung schreibt, an der Kinder auf dem Fahrrad von Autos angefahren werden, dann nicht, weil man den Autos sagen will: »Fahrt ruhig weiter«, sondern weil man den Stadtrat auffordern will: »Tut etwas!« Das ist Journalismus im öffentlichen Interesse. Aber oft sieht es heute so aus, als würden Journalisten eher im Interesse der Macht arbeiten.

Viele etablierte, weiße Journalisten weisen das zurück und sagen: Wir sind unabhängig. Nein, ihr seid nicht unabhängig. Ihr seid Teil der Gesellschaft. Und die meisten im etablierten Journalismus gehören zur dominanten Gruppe: weiß, heterosexuell, cis, nicht behindert, männlich. Das wird dann als objektiv verkauft, ist aber nur ein Blickwinkel: der der Macht. Und wenn man sich dessen nicht bewusst ist, unterstützt man die Macht, anstatt sie kritisch zu hinterfragen.

Es gibt also aus Ihrer Sicht nichts dazwischen?

Es gibt im Grunde zwei Haltungen: Entweder du unterstützt Macht oder du setzt dich für sozialen Wandel ein. In autoritären Ländern wie der Türkei oder Ägypten definieren sich viele Journalistinnen ganz bewusst entweder als Unterstützerinnen der Macht oder als Aktivistinnen für Veränderung. In westlichen Gesellschaften übernehmen vor allem Menschen aus marginalisierten Gruppen die Rolle der Veränderungstreiberinnen, so wie ich, als ich zur Journalistenschule ging. Doch ich wurde darin ausgebildet, eine »neutrale Wächterin« zu sein. Erst als ich aus der Türkei auf die Niederlande schaute, veränderte sich mein Blick.

2011 gab es einen Bombenangriff auf kurdische Zivilisten. Ich begann zu recherchieren, zog nach Kurdistan, schaute auf die Türkei durch kurdische Augen – und sah ein ganz anderes Land. Menschen ohne institutionelle Macht sehen die Macht viel klarer. Zur gleichen Zeit begann in den Niederlanden die Bewegung gegen »Zwarte Piet« – eine rassistische Karikatur. Von außen betrachtet dachte ich: Wenn ich die Türkei besser verstehe, indem ich sie durch kurdische Augen sehe, kann ich vielleicht auch mein eigenes Land besser verstehen, wenn ich es durch die Augen schwarzer Menschen betrachte. Und plötzlich erkannte ich: Mein Gott, die Niederlande sind voller wichtiger Geschichten – ich war einfach blind dafür. Ich dachte, »Zwarte Piet« sei harmlos – das ist er nicht. Es ist offener Rassismus.

2018 machte ich dann meinen Master in Journalismus. Das ist eine Voraussetzung, um in den Niederlanden unterrichten zu dürfen. Ich lernte dort viel über wissenschaftliche Perspektiven auf Journalismus und erkannte: Ich hatte mich in den Jahren in Kurdistan vom »neutralen Wachhund« zur »Fürsprecherin für sozialen Wandel« entwickelt. Nicht, weil ich die journalistischen Methoden hinter mir gelassen hätte, im Gegenteil. In der Türkei konnte man keine Behörden interviewen, keine Dokumente einsehen. Ich war auf den Bergen unterwegs, auf Schmugglerpfaden, beobachtete Polizeiposten und das war Hardcore-Journalismus. Und doch sagten manche: Du wirst zu aktivistisch. Sie sagten das, weil ich die Perspektive der Machtlosen einnahm.

Formt die Sprache, die wir als Journalisten verwenden, auch die Realität? Die PKK wird von westlichen Regierungen als Terrororganisation eingestuft, die israelische Armee nicht. Letztere begeht unablässig schlimmste Verbrechen an den Palästinensern.

Das ist genau der Punkt. Die israelische Armee oder auch die türkische Armee etwa als terroristisch einzustufen – das wird niemals passieren. Staaten schützen einander. Aber Staaten haben die Macht, Gruppen, die sich gegen sie richten, als Terroristen zu bezeichnen. Das geschieht auch aus geopolitischen Gründen. Die PKK wurde beispielsweise von vielen Ländern nach dem 11. September auf die Terrorliste gesetzt, weil westliche Staaten die Türkei für ihren Krieg gegen den Terror gewinnen wollten.

Aber all diese unbewaffneten Widerstandsbewegungen – sie haben keinerlei internationales Instrument, um etwa die israelische Armee als terroristisch einzustufen. Oder die türkische Armee. Oder die syrische Armee. Es gibt dafür keinen internationalen Mechanismus. Die Gruppen, die so etwas fordern könnten, sitzen gar nicht mit am Tisch, etwa bei den Vereinten Nationen. Es geht also immer um Macht, die sich selbst schützt. Und dann übernehmen Journalisten das einfach. Sie sagen: Ja, die PKK steht auf der Terrorliste der EU. Indien zum Beispiel tut das nicht. Es ist ja nicht so, dass die ganze Welt das so sieht.

Die Türkei begeht Menschenrechtsverletzungen – praktisch jeden Tag. Zivilistinnen werden in Kurdistan, im Irak, in Syrien und auch in der Türkei selbst getötet. Und es ist schon eine ganze Weile her, dass man sagen konnte, die PKK hätte einen Anschlag verübt, der sich überhaupt als Terroranschlag einstufen ließe. Wenn eine Zivilistin getötet wird, ist das nicht automatisch Terrorismus. Nur wenn Zivilistinnen gezielt als Ziel angegriffen werden, könnte man von Terrorismus sprechen.

Was bedeutet das für die Journalisten, die Sie kritisieren?

Die Macht wird keine Mechanismen schaffen, durch die sie selbst als Terrorgruppe bezeichnet werden kann. Journalistinnen sollten das anerkennen und fragen: Was, wenn ich eine Kurdin wäre? Oder eine Palästinenserin? Würde ich dann sagen, dass meine Widerstandsgruppe terroristisch ist? Wenn wir als Journalisten nicht reflektieren, wessen Sprache wir verwenden, dann übernehmen wir einfach die Logik der Macht und machen uns zu deren Sprachrohr.

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Fréderike Geerdink

Kollegen der spanischen Nachrichtenagentur Efe, die im Nahen Osten arbeiten, haben einen Brief veröffentlicht, in dem sie sagen, dass sie nur ein monatliches Honorar von 1.000 Euro netto bekommen. Keine Spesen, keine Versicherung für Reisen. Und das ist eine gefährliche Region. Denken Sie, dass solche Arbeitsbedingungen beeinflussen, wie wir berichten?

Ich finde das absolut skandalös und halte das für eine völlige Verantwortungslosigkeit gegenüber den Kollegen. Auch niederländische Freelancerinnen im Ausland haben es schwer. Dass man keine Erstattung für Reisen bekommt, die man unternimmt, und dass Versicherungen ein echtes Problem sind – die kann man sich als freie Journalistin gar nicht leisten, besonders nicht im Nahen Osten. Das ist einfach unbezahlbar.

Die Betroffenen sollten sich definitiv dafür einsetzen, dass sich etwas ändert. Die Medien sind zunehmend in immer weniger Händen konzentriert. Und es gibt Aktionäre, die zufriedengestellt werden müssen. Das ist ein großes Problem. Der Umstand, dass die Freelancer nur schwer finanziell über die Runden kommen und nach Verletzungen ohne Einkommen sind – keine Versicherung springt ein –, ist ein großes Problem für die Pressefreiheit.

Weshalb haben Sie in dem Buch dem Komplex »Gaza und die Medien« ein eigenes Kapitel gewidmet?

Ich habe auch Texte über den Völkermord geschrieben. Und ich wusste schon am Tag nach der Abgabe, dass das Telefon klingeln wird. Die Leute vom Magazin sagten mir: Du hast das Wort Völkermord verwendet, das können wir nicht bringen, weil das noch nicht von einem Gericht festgestellt wurde und bla bla bla. Selbstredend war ich nicht einverstanden. Ich habe heftige Diskussionen mit verschiedenen Medien in den Niederlanden darüber geführt. Meiner Auffassung nach stimmt es einfach nicht, dass man es erst Völkermord nennen darf, wenn ein internationales Gericht das festgestellt hat. Die Völkermordkonvention ist seit 1951 in Kraft. War der Holocaust also kein Völkermord, weil er davor stattfand? Oder der Völkermord an den Armeniern, war das dann keiner? – Das ist doch völliger Unsinn.

Nun ist es tatsächlich keine Frage der persönlichen Einschätzung mehr, da UN-Beauftragte in ihren Berichten bereits von Völkermord sprechen.

Das stimmt, es gibt bereits solche Berichte der UN, zum Beispiel den vom 24. Januar von Francesca Albanese (UN-Sonderberichterstatterin für die besetzten Gebiete Palästinas, jW), in denen gesagt wird, dass es sich um einen Völkermord handelt. Und dass die niederländischen Medien das nicht so benennen konnten oder entsprechend berichtet haben, hat meiner Meinung nach mehr mit ihrer eigenen Position zu tun. Wir sind historisch mit Israel befreundet, und wir haben eine historische Schuld gegenüber jüdischen Menschen. Die Palästinenserinnen leiden unter der Zerstörung jüdischer Gemeinschaften in Europa, die wir angerichtet haben. Und jetzt müssen wir uns der Tatsache stellen, dass das Land, das wir mit unserer kolonialen Denkweise mitgegründet haben, tatsächlich einen Völkermord an den Palästinenserinnen verübt. Und unsere Regierungen sind daran mitschuldig – was wiederum bedeutet, dass wir als Bürger mitschuldig sind. Deshalb müssen wir protestieren, und wir müssen unsere journalistische Aufgabe erfüllen. Aber für die dominierende Gesellschaftsgruppe, zu der die meisten Journalisten gehören, ist es sehr schwer, anzuerkennen, dass wir Teil dieses Völkermords sind, der gerade stattfindet. Dass sie sich weigern, dieses Wort zu benutzen, und es nicht als Grundlage ihrer Berichterstattung nehmen, sagt mehr über sie selbst aus als über das, was tatsächlich vor Ort passiert. Denn alle können sehen, dass es sich um einen Völkermord handelt.

Und dann, nach eineinhalb oder zwei Jahren, schreiben einige große Zeitungen plötzlich in Kommentaren: Okay, es ist Völkermord, vielleicht müssen wir das anerkennen. Aber es ist nicht erst dann ein Völkermord, wenn eine große Zeitung es in einem Kommentar schreibt. Nein, es ist ein Völkermord, wenn es ein Völkermord ist. Und wir müssen Wahrheiten benennen. Ich habe das mal mit folgendem Beispiel verglichen: In den Niederlanden wird gerade viel über die Rückkehr der Wölfe diskutiert, viele Menschen haben Angst davor. Aber wenn in einem Dorf ein Wolf auftaucht, schreibt man doch nicht: Da ist ein Hund, nur weil das Wort Wolf zu beunruhigend ist. Man muss doch schreiben, was wirklich passiert. Dass Journalisten sich also weigern, von Völkermord zu sprechen, sagt mehr über ihre persönliche Entwicklung aus als über die Lage vor Ort. Und genau darum geht es mir im Buch – deshalb habe ich es auch gleich zu Beginn angesprochen. Das ist genau das Plädoyer, das ich mit diesem Buch halte: Wir müssen reflektieren. Die etablierten Medien sind im Grunde ein Safe Space für weiße Menschen.

Wenn sie wirklich korrekt berichten würden, und wenn sie von Anfang an gesagt hätten: Das ist Völkermord – weil sie auf die Palästinenser gehört hätten. Wenn man auf Menschen hört, die keine institutionelle Macht haben, und ich sage ausdrücklich institutionelle Macht, weil ich glaube, wenn sich all diese Menschen vereinen, dann haben sie sehr wohl Macht, aber sie haben eben keine institutionelle Macht. Wenn wir also auf sie hören und sie ernst nehmen würden, dann hätten wir anders gehandelt.

Palästinenser wissen genau, was mit ihnen passiert. Und wenn sie sagen: Das ist ein Völkermord, dann sollten wir nicht sagen: Ja, aber das sind Palästinenserinnen, die übertreiben vielleicht. Nein. Dann müssen wir sagen: Okay, die Leute, die das gerade am eigenen Leib erfahren, sagen, das ist ein Völkermord – vielleicht sollten wir das verdammt ernst nehmen. Dann muss man auf die Mechanismen zur Verhinderung von Völkermord schauen. Und man muss sich die Wissenschaftler anschauen, die darüber schreiben. Da war zum Beispiel ein israelischer Wissenschaftler, der im November 2023 einen Artikel im Magazin Jewish Currents veröffentlicht hat unter dem Titel »A Textbook Case of Genocide« (»Ein Schulbeispiel für Völkermord«, jW). Das war also alles längst bekannt.

Dass die Medien das nicht gesagt haben, liegt einfach daran, dass sie selbst nicht bereit waren, sich mit diesem Spiegelbild zu konfrontieren. Man muss seine eigene Position reflektieren und erkennen, dass man selbst in einer Machtposition ist. Und dann sollte man nicht den Journalistinnen aus marginalisierten Communitys, die oft die eigentlichen Fürsprecherinnen für gesellschaftlichen Wandel sind, sagen: Sei objektiver. Man sollte sich vielmehr fragen: Vielleicht kennen sie die Gesellschaft und die Machtverhältnisse besser als ich – als weiße Frau oder als weißer Mann. Vielleicht sollte ich anerkennen, dass ich kein neutraler »Watchdog« bin. Ich bin in Wahrheit ein Unterstützer der Macht. Also sollte ich von ihnen lernen und selbst mehr zu einer Fürsprecherin für gesellschaftlichen Wandel werden – denn das ist die Aufgabe von Journalisten.

Sollten wir mehr an unserer eigenen journalistischen Ethik arbeiten oder brauchen wir neue Gesetze, die regeln, was wir tun oder nicht tun?

Nein, wir brauchen keine neuen Regeln, denn es gibt bereits den »Code de Bordeaux«, den ethischen Kodex für den Journalismus. Und wir sollten uns einfach besser an diese Regeln halten. Denn Objektivität wird darin gar nicht erwähnt. Es geht um Ehrlichkeit und es geht um Wahrheit.

Welche Wahrheit meinen Sie?

Wahrheit heißt nicht, wie etwa bei Reuters: »Erdoğan: Kein europäisches Land hat mehr Pressefreiheit als die Türkei.« Was daran stimmt, ist, dass er das gesagt hat. Man müsste wenigstens dazuschreiben, dass die Aussage nicht wahr ist. Aber Reuters hat nicht einmal das gemacht. Eine der Regeln im Kodex besagt auch, dass Journalismus nicht zu Rassismus und Diskriminierung beitragen darf. Aber sehr viele Journalisten tun genau das, etwa im derzeitigen Klima mit antipalästinensischem Rassismus. In unseren Gesellschaften gibt es generell viel antimuslimischen und antischwarzen Rassismus. Und die Medien tragen maßgeblich dazu bei. Man sollte sich bei allem, was man berichtet, ernsthaft fragen: Trägt das zu diesen Machtverhältnissen bei? Denn Rassismus ist genau wie Sexismus auch ein Machtsystem.

Die großen Medienkonzerne haben wirtschaftliche Interessen und sind mit Unternehmen oder ganzen Industrien verflochten. Sollte man das nicht regulieren?

Wir sollten das Patriarchat beenden, aber ich glaube nicht, dass es dafür jemals Gesetze geben wird. Gesetze würden wenig ändern, denn Medien sind weiterhin abhängig von Werbung und Abonnements – also vom Kapitalismus. Die Idee der »Objektivität« im Journalismus entstand überhaupt erst im frühen 20. Jahrhundert, als sich Zeitungen von politischen Parteien lösten und neue Geschäftsmodelle brauchten. Ab da richteten sie sich an eine ganz bestimmte Zielgruppe: weiße, wohlhabende Männer – die einzigen, die damals wählen durften und Kaufkraft hatten. Frauen und schwarze Menschen wurden ausgeschlossen.

So entstand ein System, ein Kreislauf, der Macht und Kapitalismus stabilisierte. Später erhielten Frauen und schwarze Menschen das Wahlrecht, aber die Definition von Objektivität blieb dieselbe: Nachrichten, die den Interessen der dominierenden Gruppe dienen. Als Frauen für ihr Wahlrecht kämpften, fragte in den Redaktionen niemand nach ihrer Sichtweise. Heute hört man oft: Schwarze Menschen oder Muslime wollen nicht in den Journalismus. Aber das stimmt nicht. Sie wollen nur nicht Teil eines Journalismus sein, der Macht nicht wirklich hinterfragt. Solange sich daran nichts ändert, bleiben sie dem Beruf fern oder kehren ihm den Rücken. Wie ein bekannter muslimischer Fotograf aus den Niederlanden einmal sagte: »Wenn das Journalismus ist, will ich nichts damit zu tun haben.« Genau das muss sich ändern.

Fréderike Geerdink (1970) ist unabhängige Journalistin und Autorin aus den Niederlanden. Von 2006 bis 2020 war sie Korrespondentin in der Türkei und Kurdistan. Dabei war sie ein Jahr lang eingebettet in die Arbeiterpartei Kurdistans PKK. Sie veröffentlicht unter anderem in De Groene Amsterdammer, Vrij Nederland, Wordt Vervolgd, NRC, OneWorld, New Lines Magazine und Index on Censorship.

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