In allen Tonlagen
Von Reinhard Lauterbach
Diese Woche bekam in Berlin ein Chinese den Kopf gewaschen. Der Friseursalon am Werderschen Markt trägt den Namen »Auswärtiges Amt« und hat sich unter seiner vorherigen Chefin ein weltweites Renommee als Fachbetrieb für Heuchelei in allen Tonlagen erarbeitet, unter dem Slogan »Wir kommen vom Völkerrecht« – soll heißen: da sind wir drüber hinaus.
In Annalenas Pumps stieg also jetzt Johann Wadephul. Botschafter Deng Hongbo musste sich anhören, es sei unerhört, was ein chinesisches Kriegsschiff im Roten Meer mit einem im Auftrag der Bundeswehr die Gegend kontrollierenden Flugzeug gemacht habe: Seinen Bordlaser auf die anfliegende Maschine zu richten und sie zum Abdrehen zu nötigen. Die Süddeutsche machte soviel chinesische Dreistigkeit am Mittwoch zu ihrem Aufmacher, wobei sie sich nicht recht entscheiden konnte, warum eigentlich: Einerseits zitierte sie das Bundesverteidigungsministerium mit der Aussage, die »Gefährdung deutschen Personals und die Behinderung des Einsatzes seien völlig inakzeptabel«, andererseits schrieb sie, China sei Trittbrettfahrer der westlichen Militärpräsenz im Roten Meer – schließlich seien die »internationalen Handelswege«, die die EU zu schützen beansprucht, ja auch die des chinesischen Exports. Die FAZ machte eine feine Differenzierung auf: Eine offene Kriegshandlung sei das zwar nicht gewesen, aber »auch nicht so weit davon entfernt, wie man das eigentlich in Friedenszeiten und fernab der chinesischen Küste erwarten darf«. Also: China darf vielleicht mal gerade seine Küste schützen, solange da nicht gerade Taiwan im Weg liegt – »wir« hingegen verteidigen vor der Küste des Sudan die »Freiheit der internationalen Schiffahrt«.
Wir haben auch schon mal die Freiheit am Hindukusch verteidigt. Daraus ist nichts geworden, und es hat Folgeprobleme hinterlassen. Zum Beispiel afghanische »Ortskräfte«, die sich in den Augen der Taliban durch ihre Zusammenarbeit mit den westlichen Besatzern kompromittiert haben und nach Pakistan fliehen mussten. Da sitzen sie jetzt, mit einer deutschen »Aufnahmezusage« in der Tasche, und eine Frau hat jetzt mit Erfolg auf Erteilung eines Visums geklagt. Eine afghanische Wissenschaftlerin überdies, also eine Person, die es nach dem Willen der Taliban gar nicht geben dürfte. Eine von denen, mit denen noch vor kurzem »rot-grüne« Hinterbänkler den Kriegsgrund »Förderung von Frauen und Mädchen« illustriert hätten. Doch die Union betrieb Justizschelte: Der Gerichtsbeschluss entspreche nicht dem Wählerwillen, moserte ihr Abgeordneter Jürgen Hardt. (FAZ, Mittwoch, Seite eins). Ein interessantes Kriterium. Bisher sollte man glauben, dass sich Gerichte an Recht und Gesetz zu orientieren hätten, blind wie die symbolische Justitia. Und jetzt der Wählerwille als Rechtsquelle? Hatten wir das nicht schon einmal? Ja, aber damals hieß dieses Rechtsinstitut »Gesundes Volksempfinden«.
Ansonsten diese Woche viel Geschrei über die Frage, ob die Bundesrepublik die Wehrpflicht wieder einführen solle. Ja, so die praktisch einhellige Meinung der Qualitätsmedien: und zwar besser jetzt als morgen. Der unersetzliche Berthold Kohler schrieb am Mittwoch in der FAZ, Wehrpflicht komme zu spät, wenn »Putin an der Grenze der baltischen Republiken« stehe. Steht er zwar jetzt auch schon. Aber der Witz ist ein anderer: »Baltische Republiken« ist ein Terminus aus Sowjetzeiten. Getroffen, versenkt.
Ach ja, und das Hamburger Nachrichtenmagazin beschreibt, wie »die Deutschen« sich der »wachsenden Kriegsgefahr« stellen: Hauptsache individuell. Der eine, indem er unter seinem Häusle einen Bunker baut, eine andere, indem sie Zivilschutzkurse besucht und Notfallvorräte anlegt, eine dritte, indem sie mit ihrer Tochter in die Karibik emigriert. Das empfiehlt der Spiegel nicht zur Nachahmung: Wo sollten denn die Soldaten herkommen, wenn die Leute abhauten? Schlimm genug, wenn dänische Soldatinnen sich über »scheuernde BHs« beklagen (FAZ, Mittwoch). Mit so welchen gewinnt man keinen Krieg.
Der unersetzliche Berthold Kohler schrieb am Mittwoch in der FAZ, Wehrpflicht komme zu spät, wenn »Putin an der Grenze der baltischen Republiken« stehe. Steht er zwar jetzt auch schon. Aber der Witz ist ein anderer: »Baltische Republiken« ist ein Terminus aus Sowjetzeiten. Getroffen, versenkt.
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