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Aus: Ausgabe vom 12.07.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

In allen Tonlagen

Von Reinhard Lauterbach
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Diese Woche bekam in Berlin ein Chinese den Kopf gewaschen. Der Friseursalon am Werderschen Markt trägt den Namen »Auswärtiges Amt« und hat sich unter seiner vorherigen Chefin ein weltweites Renommee als Fachbetrieb für Heuchelei in allen Tonlagen erarbeitet, unter dem Slogan »Wir kommen vom Völkerrecht« – soll heißen: da sind wir drüber hinaus.

In Annalenas Pumps stieg also jetzt Johann Wadephul. Botschafter Deng Hongbo musste sich anhören, es sei unerhört, was ein chinesisches Kriegsschiff im Roten Meer mit einem im Auftrag der Bundeswehr die Gegend kontrollierenden Flugzeug gemacht habe: Seinen Bordlaser auf die anfliegende Maschine zu richten und sie zum Abdrehen zu nötigen. Die Süddeutsche machte soviel chinesische Dreistigkeit am Mittwoch zu ihrem Aufmacher, wobei sie sich nicht recht entscheiden konnte, warum eigentlich: Einerseits zitierte sie das Bundesverteidigungsministerium mit der Aussage, die »Gefährdung deutschen Personals und die Behinderung des Einsatzes seien völlig inakzeptabel«, andererseits schrieb sie, China sei Trittbrettfahrer der westlichen Militärpräsenz im Roten Meer – schließlich seien die »internationalen Handelswege«, die die EU zu schützen beansprucht, ja auch die des chinesischen Exports. Die FAZ machte eine feine Differenzierung auf: Eine offene Kriegshandlung sei das zwar nicht gewesen, aber »auch nicht so weit davon entfernt, wie man das eigentlich in Friedenszeiten und fernab der chinesischen Küste erwarten darf«. Also: China darf vielleicht mal gerade seine Küste schützen, solange da nicht gerade Taiwan im Weg liegt – »wir« hingegen verteidigen vor der Küste des Sudan die »Freiheit der internationalen Schiffahrt«.

Wir haben auch schon mal die Freiheit am Hindukusch verteidigt. Daraus ist nichts geworden, und es hat Folgeprobleme hinterlassen. Zum Beispiel afghanische »Ortskräfte«, die sich in den Augen der Taliban durch ihre Zusammenarbeit mit den westlichen Besatzern kompromittiert haben und nach Pakistan fliehen mussten. Da sitzen sie jetzt, mit einer deutschen »Aufnahmezusage« in der Tasche, und eine Frau hat jetzt mit Erfolg auf Erteilung eines Visums geklagt. Eine afghanische Wissenschaftlerin überdies, also eine Person, die es nach dem Willen der Taliban gar nicht geben dürfte. Eine von denen, mit denen noch vor kurzem »rot-grüne« Hinterbänkler den Kriegsgrund »Förderung von Frauen und Mädchen« illustriert hätten. Doch die Union betrieb Justizschelte: Der Gerichtsbeschluss entspreche nicht dem Wählerwillen, moserte ihr Abgeordneter Jürgen Hardt. (FAZ, Mittwoch, Seite eins). Ein interessantes Kriterium. Bisher sollte man glauben, dass sich Gerichte an Recht und Gesetz zu orientieren hätten, blind wie die symbolische Justitia. Und jetzt der Wählerwille als Rechtsquelle? Hatten wir das nicht schon einmal? Ja, aber damals hieß dieses Rechtsinstitut »Gesundes Volksempfinden«.

Ansonsten diese Woche viel Geschrei über die Frage, ob die Bundesrepublik die Wehrpflicht wieder einführen solle. Ja, so die praktisch einhellige Meinung der Qualitätsmedien: und zwar besser jetzt als morgen. Der unersetzliche Berthold Kohler schrieb am Mittwoch in der FAZ, Wehrpflicht komme zu spät, wenn »Putin an der Grenze der baltischen Republiken« stehe. Steht er zwar jetzt auch schon. Aber der Witz ist ein anderer: »Baltische Republiken« ist ein Terminus aus Sowjetzeiten. Getroffen, versenkt.

Ach ja, und das Hamburger Nachrichtenmagazin beschreibt, wie »die Deutschen« sich der »wachsenden Kriegsgefahr« stellen: Hauptsache individuell. Der eine, indem er unter seinem Häusle einen Bunker baut, eine andere, indem sie Zivilschutzkurse besucht und Notfallvorräte anlegt, eine dritte, indem sie mit ihrer Tochter in die Karibik emigriert. Das empfiehlt der Spiegel nicht zur Nachahmung: Wo sollten denn die Soldaten herkommen, wenn die Leute abhauten? Schlimm genug, wenn dänische Soldatinnen sich über »scheuernde BHs« beklagen (FAZ, Mittwoch). Mit so welchen gewinnt man keinen Krieg.

Der unersetzliche Berthold Kohler schrieb am Mittwoch in der FAZ, Wehrpflicht komme zu spät, wenn »Putin an der Grenze der baltischen Republiken« stehe. Steht er zwar jetzt auch schon. Aber der Witz ist ein anderer: »Baltische Republiken« ist ein Terminus aus Sowjetzeiten. Getroffen, versenkt.

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  • Leserbrief von Uwe Kohlhoff aus Berlin (16. Juli 2025 um 11:19 Uhr)
    Sehr geehrter Herr Lauterbach, auf Ihren »Schwarzen Kanal« vom 5. Juni in der jungen Welt mit dem Titel »Die Verrücktbaren« habe ich eine kritische Sicht. In allen Medien wird immer berichtet, dass ein Politiker eine Rede hielt, wobei er dies und das sagte oder meinte. Sie schreiben, dass Steinmeier »den Gedanken fortführte«. Diese Darstellung ist eine Fehlinformation. In der Regel ist es so, dass Politiker zwar Reden halten, diese aber nicht von ihnen sind. Die meisten Reden werden von professionellen Redenschreibern verfasst. Ich habe Kontakt in die Szene der Redenschreiber. Man berichtete mir, dass eine Rede so zwischen dreitausend und fünfzehntausend Euro kostet. Die letzte Rede von Merkel kostete fünfzehntausend Euro. Ich fragte nach, ob so eine Rede im Dialog Redenschreiber und Politiker gemacht wird. Antwort: Nein. Der Redenschreiber bekommt den Auftrag über Thema und Zeit usw. Er verfasst die Rede und fertig. Die angelieferten Reden werden zumeist übernommen, manchmal wird minimal etwas geändert. Weil es unterschiedliche Redenschreiber für die Politiker gibt, entstehen dann im Stil unterschiedliche Produkte. Das ist der Hintergrund, warum die Reden von Merz, Steinmeier, Klingbeil, Pistorius mal so und dann anders sind. Ich meine, dass die junge Welt als linke Zeitung mal diese Problematik bei großen Reden thematisieren muss. In der Tat haben Politiker oft keine eigene Meinung. Sie sind willfährige Diener des Systems, und sie funktionieren auch so. Sie bringen das, was erwünscht ist. Politiker sind auch in der Regel nicht so gebildet, dass sie fachkundig über alles reden können. Und da sind wir bei der Fragwürdigkeit der sogenannten westlichen Demokratien. Alles ist ziemlich verlogen und von Propaganda durchwirkt.
  • Leserbrief von Istvan Hidy aus Stuttgart (11. Juli 2025 um 21:33 Uhr)
    Die chinesische Stellungnahme lautet: »Die vorgelegten Informationen seitens der Bundesregierung stehen nicht im Einklang mit den uns bekannten Fakten. Die chinesische Marine führt zurzeit Eskort‑ und Sicherheitsoperationen im Golf von Aden und vor der Küste Somalias durch, um die Sicherheit internationaler Wasserstraßen zu gewährleisten. Es gab keine Vorfälle mit Laseranwendungen gegen Flugzeuge. Wir bedauern den Vorfall und betonen die hohe Qualität der bisherigen Kommunikation mit Deutschland und der EU. Beide Seiten sollten den Dialog ausbauen, um Missverständnisse in einem sensiblen geopolitischen Umfeld zukünftig zu vermeiden.« Aus ingenieurwissenschaftlicher Sicht ist der Einsatz von Lasern zur Zielerfassung bei Luftabwehrsystemen derzeit unüblich. Klassische Luftabwehrsysteme basieren überwiegend auf Radar-Technologie zur Erkennung, Verfolgung und Bekämpfung von Luftzielen. Der Einsatz von Laserstrahlen zur Zielerfassung ist vor allem aus bodengestützten Bereichen bekannt – beispielsweise zur Entfernungsmessung bei Panzerzielsystemen oder als Teil von Optik- oder Zielerkennungssystemen für Scharfschützen. In der Luftabwehr werden Lasertechnologien erst seit Kurzem und vorrangig zur Drohnenabwehr erprobt oder eingesetzt. Dabei dienen Hochenergielaser dem Zweck, kleine unbemannte Luftfahrzeuge direkt physikalisch zu zerstören, nicht der bloßen Zielverfolgung. Die technische Nutzung eines Lasers zur Verfolgung oder Bedrohung eines bemannten Flugzeugs – wie im vorliegenden Fall behauptet – wäre daher untypisch und technisch nicht im Einklang mit bekannten militärischen Einsatzprofilen von Lasersystemen auf See. Tatsächlich scheint in Annalenas Pumps also jetzt Johann Wadephul einzusteigen! Glückwunsch!
  • Leserbrief von Onlineabonnent/in Heinrich H. aus Stadum (11. Juli 2025 um 21:17 Uhr)
    Ist Wadephul des Baerbocks Kern?

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