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Aus: Ausgabe vom 12.07.2025, Seite 4 (Beilage) / Wochenendbeilage
Italien

Ein unbequemer Nachbar

In Panigaglia steht die einzige Onshore-LNG-Anlage Italiens. Anwohner sorgen sich um ihre Sicherheit
Von Francesco Bertolucci
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Die LNG-Tanker erhöhen den Verkehr in dem ohnehin vielbefahrenen Golf von La Spezia

»Für die Regasifizierungsanlage in Livorno, die mitten im Meer liegt, ist eine potentielle Gefahrenzone von fast zwei Kilometern berechnet worden. Für die in Panigaglia, die nur wenige Meter von zwei Dörfern entfernt liegt, sind es etwa 200 Meter. Die Staatsanwaltschaft wurde gefragt, wie das möglich ist«, erklärt der in der Gegend lebende Ingenieur Vittorio Gasparini. Die Berechnung veranlasste die Bürger der Gemeinde Portovenere an der ligurischen Küste dazu, sich mit einer Ende Dezember eingereichten Klage an das Gericht zu wenden. »Nach welchen Kriterien wurden so unterschiedliche Bewertungen für so ähnliche Anlagen vorgenommen?« heißt es in der Klage, die von Rechtsanwalt Maurizio Sergi übernommen wurde. Er weist darauf hin, dass man für die Anlage in Panigaglia »das in Livorno berücksichtigte höhere Unfallrisiko nicht beachtet hat«.

Die Regasifizierungsanlage für Flüssigerdgas bei Livorno in der Toskana, die zwölf Meilen vor der Küste liegt und zu 49 Prozent dem Eigentümer der Anlage in Panigaglia gehört, würde im Falle eines Unfalls mit einem Bruch der Pipeline zwischen den Boosterpumpen und den Verdampfern schwere Schäden anrichten. So würde ein erstes Gebiet mit einer »hohen Letalität« im Umkreis von 1.104 Metern entstehen, ein zweites mit »irreversiblen Verletzungen« von bis zu 1.970 Metern und ein drittes »potentiell gefährdetes« Gebiet im Umkreis von 3.370 Metern. Im Notfallplan auf der Webseite der Präfektur La Spezia für das Werk Panigaglia wird hingegen angegeben, dass bei einem möglichen Bruch des Verladearms in der Gasphase das gefährdete Gebiet nur einen Umkreis von 26 Metern betrage. Für einen Bruch in der Flüssigphase werden 130 Meter genannt, und bei einem Bruch des Überlaufbeckens sei es maximal ein Umkreis von 215 Metern.

»Dafür, wie diese Unterschiede zustande kommen, gibt es keine Erklärung, oder zumindest geben sie uns keine Antwort«, kommentiert Fabio Ratto vom Komitee »Panigaglia Libera«. Die lokale Initiative setzt sich für die Abschaffung des LNG-Terminals in Panigaglia ein. »Wir haben sowohl an den Umweltminister Pichetto Fratin als auch an den amtierenden Präsidenten der Region Ligurien geschrieben, aber ohne Erfolg. Das ist seltsam, und wir sind besorgt: Sollte es zu einem Unfall kommen, würde ein einziger Funke genügen, um eine Katastrophe auszulösen.«

Panigaglia ist die einzige Onshore-LNG-Anlage in Italien, d. h. eine Anlage an Land. Sie unterliegt der Seveso-Verordnung der Europäischen Union, einer Richtlinie, die nach dem Chemieunfall in der gleichnamigen italienischen Gemeinde 1976 zur Vermeidung von Unfällen mit Gefahrstoffen geschaffen wurde. Eingestuft ist das LNG-Terminal als Industrieanlage mit »großer Unfallgefahr«. Es beschäftigt etwa 100 Mitarbeiter und strahlt seit Jahren eine markante Präsenz im Golf von La Spezia aus, wo es mit seiner grünen Farbe und der Größe vor dem Hintergrund des Waldes deutlich zu sehen ist. An der Stelle, an der heute die Regasifizierungsanlage mit einer Kapazität von rund drei Milliarden Kubikmetern pro Jahr steht, befand sich früher ein Munitionslager, das bei einem Unfall explodiert ist. Ende der 60er Jahre war die Anlage zunächst ein Esso-Projekt, das später in den Besitz der Società Nazionale Metanodotti (Snam) überging und heute ihrer Tochtergesellschaft Gnl Italia gehört.

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Der Golf ist dicht besiedelt: Anlegestelle nahe ziviler Bebauung

»Ich war damals Bauleiter«, erklärt ein ehemaliger Arbeiter, der anonym bleiben möchte. »Man hätte mit der olympischen Fackel in der Hand darin herumlaufen können: Es wäre nichts passiert. Dennoch gibt es viele Risiken. Das erste ist menschliches Versagen. Bedenken Sie, dass im Laufe der Zeit vier Tanklager gebaut wurden und dass die Tanks nur etwa 50 Meter von der Straße entfernt stehen. In ihnen wird verflüssigtes Erdgas gelagert (LNG), das sein Volumen bei Erwärmung um das 622fache vergrößert. Wenn es sich entzündet, ist das wie eine Atombombe.« Die Provinzstraße führt vom touristisch bekannten Portovenere durch die Weiler Fezzano und Le Grazie und an der Regasifizierungsanlage zwischen den beiden Ortschaften – etwa 400 Meter von der ersten und 420 Meter von der zweiten entfernt – entlang bis in die Stadt La Spezia. »Es ist die einzige Straße, die auch noch sehr stark befahren ist, die die beiden Gemeinden verbindet«, sagt Gabriella Reboa, Präsidentin des Panigaglia-Komitees. Zwei Abschnitte der Straße liegen in der Gefahrenzone, so Reboa. Was die Sicherheit der Dörfer angeht, sei die Anlage durch zwei kleine Landzungen von ihnen getrennt, so der Betreiber Snam. Für die Bevölkerung bestehe also keine Gefahr, heißt es.

Die Kapazitäten der Anlage werden zudem ausgebaut: Bald wird LNG verladen, so dass das Flüssigerdgas zu Verteilerzentren transportiert werden kann und die Umfüllung von LNG aus den Fässern in Schiffe möglich sein wird, die bis nach Sardinien fahren. Auch neue Lastkähne zur Betankung von Schiffen werden angeschafft. Es werden Laderampen gebaut; am Hauptkai wurden bereits Umbauten vorgenommen, damit größere LNG-Tanker einlaufen können. Sie werden dann auf eine Ro-Ro-Fähre (eine Fähre für den Transport von Fahrzeugen mit Gummireifen) verladen und in die Nähe der Autobahnauffahrt auf der anderen Seite des Golfs gebracht, und das zwölf- bis 13mal pro Tag trotz des bestehenden Verkehrs aus Containerschiffen, Kreuzfahrtschiffen und Militärschiffen.

In der Vergangenheit hatten die Eigentümer der Anlage versucht, bei den Behörden eine Erweiterung zu beantragen, doch 2009 wurde der Vorschlag von der Region Ligurien abgelehnt. »Das gleiche Ergebnis erhielten sie, als sie das Projekt aufteilten und in drei separaten Teilen vorlegten«, sagt Marco Grondacci, ein Umweltanwalt, der das Thema seit Jahren verfolgt. »Durch die jetzigen Pläne wird der Verkehr in dem bereits verstopften Golf noch zunehmen. Und das Risiko von Naturkatastrophen wird überhaupt nicht berücksichtigt. Im Sommer 2023 schlug ein Blitz in die Anlage ein, und es kam zu einer Detonation mit einer Stichflamme, die den halben Golf erhellte. Es handelt sich um eine Anlage, die heute, mit der Seveso-Verordnung der EU, die Richtlinien nicht erfüllt.«

Jüngst erhielt die Anlage von der Provinz eine neue Umweltbewilligung mit strengeren Emissionsvorschriften. Doch in der bei der Staatsanwaltschaft eingegangenen Beschwerde steht, dass »der territoriale Koordinierungsplan vorsah, dass die Regasifizierungsanlage bis zum 21. Mai 2013 stillgelegt werden musste«. Ein Vorhaben, das bereits 1994 unter dem damaligen christdemokratischen Bürgermeister Luigi Guida in einer im Juli desselben Jahres verabschiedeten Absichtserklärung vorgelegt worden war. »Als die Anlage in den 60er Jahren gebaut wurde, wurde nicht berücksichtigt, dass es sich um eine Hochrisikoanlage handelt, die zudem in der Nähe von bebautem Gebiet liegt«, sagt Stefano Sarti von der Umweltorganisation Legambiente La Spezia. »Wir fordern seit Jahren die Stillegung. Die Anlage gilt als strategisch wichtig, aber nur, weil sie sich auf dem Festland befindet. Die Geschichte von der Wichtigkeit von Flüssigerdgas, die nach dem Krieg in der Ukraine entstanden ist, ist nicht stichhaltig.«

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Auch eine Methan­pipeline verläuft hier

Der 2002 verabschiedete und noch gültige Stadtentwicklungsplan – die Anlage befindet sich auf einem Privatgrundstück – besagt, dass »die Umgestaltung« des Geländes als »wünschenswerte Maßnahme« zu verstehen ist, »die umgesetzt werden soll, wenn das nationale öffentliche Interesse an der Bucht von Panigaglia aufgegeben wird«. Soll heißen: Solange der Staat die Anlage als wichtig erachtet, wird sich nichts ändern. So ähnlich formuliert es auch die derzeitige Bürgermeisterin des nahegelegenen Portovenere, Francesca Sturlese: »Angesichts der internationalen Lage halte ich es derzeit nicht für möglich, andere Szenarien als die im Stadtentwicklungsplan beschriebenen vorzustellen, auch unter Berücksichtigung der Tatsache, dass es sich um eine Angelegenheit von nationalem Interesse handelt, bei der die lokale Behörde kaum Handlungsmöglichkeiten hat.« Und weiter: »Obwohl der Plan veraltet ist, sieht die von mir vertretene Verwaltung keine Notwendigkeit, ihn zu ändern.«

»Aus ökologischer Sicht«, so die ligurische Umweltbehörde ARPAL, »haben wir nie besondere Probleme festgestellt.« Doch eine weitere Sorge, die die Anwohner des Golfs von La Spezia umtreibt, ist die Möglichkeit eines Anschlags, da der angenommene »Unfallradius« zumindest für die Regasifizierungsanlage in Livorno ein Waffenlager, Militärgebiete und eine Methanpipeline umfasst. Das Risiko hat zugenommen, nachdem es am 14. und 15. Februar dieses Jahres auf dem Öltanker »Sea Jewel« vor der Küste der nahegelegenen Stadt Savona Explosionen gegeben hat. Taucher der italienischen Marine und Bombenentschärfungskommandos fanden in dem Gebiet, in dem das Schiff vor Anker lag, Sprengstofffragmente.

»Jeder Unfall in der Regasifizierungsanlage von Panigaglia hätte auch negative Auswirkungen auf die Nachbarländer«, kommentiert Leo Bartolini, Physiker und Anwohner. »Im Vergleich zu anderen Staaten gibt es hier keinerlei Schutzmaßnahmen. Nehmen wir zum Beispiel die US-amerikanischen Vorschriften: Sie sind extrem restriktiv. Hier kommt das Schiff an und der Verkehr wird nicht gestoppt. Jeder Verrückte mit einem kleinen Boot könnte einen LNG-Tanker mit Tausenden Kubikmetern Gas angreifen. Wir gehören zu den gefährlichsten Standorten der Welt, und jetzt wird das Risiko durch das Hin und Her von Lastkähnen und Schleppbooten, die mit Tankern voller flüssigem Methan beladen sind, noch vergrößert. Eine Kollision ist möglich. Oder ein terroristischer Anschlag, der die Stadt auslöschen würde.«

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