Krieg treibt Drohnenboom
Von Jörg Kronauer
Die deutsche Drohnenindustrie boomt, und der Boom wird von Drohnen mit militärischer Verwendung getrieben: Das bestätigt ein aktueller Branchenüberblick des Bundesverbandes der Deutschen Luft- und Raumfahrtindustrie (BDLI). Abschließende Zahlen seien in der wild wuchernden Branche zur Zeit schwer zu bekommen, räumt der Verband in einer am Donnerstag veröffentlichten Stellungnahme ein. Doch bereits in einem auf nur 30 Unternehmen fokussierten Monitor stellt der BDLI ein Jahreswachstum von neun Prozent und ein Personalwachstum um 24 Prozent auf gut 7.700 Beschäftigte fest. Besonders der militärische Sektor, dem rund 70 Prozent der Branchenfirmen angehören, treibt die Umsätze: »Deutsche Hersteller unbemannter Flugsysteme« erlebten bei Aufklärungs- und Kampfdrohnen aller Art »derzeit eine rasante Nachfrage«, teilt BDLI-Hauptgeschäftsführerin Marie-Christine von Hahn mit. Dabei seien die »Innovationszyklen geradezu schwindelerregend«: »Was gestern noch ein Garagenstartup war, geht morgen schon in Serienproduktion.« Dabei hat der Boom bei den Militärdrohnen gerade erst begonnen.
Längst hat die Branche ihre ersten Starunternehmen hervorgebracht: Quantum Systems zum Beispiel, schon 2015 von Ex-Bundeswehr-Offizier Florian Seibel gegründet, stellt vor allem Aufklärungsdrohnen her, darunter mit Vector AI solche, die künstliche Intelligenz (KI/AI) nutzen. Das Unternehmen, im Mai zum ersten deutschen »Einhorn« des Jahres aufgestiegen – »Einhörner« sind Startups mit einem Wert von über einer Milliarde Euro –, beliefert seit 2022 die Ukraine und hat dort derzeit mehr als 1.000 Drohnen im Einsatz. Das ist wichtig, denn dort werden praktische Erfahrungen gesammelt, rückgemeldet und verarbeitet: »Innovationen passieren an der Front«, erläuterte der Kovorsitzende der Firma, Sven Kruck, kürzlich im Handelsblatt. Das »Epizentrum Drohne« sei »nicht mehr Israel«, sondern »heute die Ukraine«. Während Quantum Systems inzwischen sogar in der Ukraine produziert, die Bundeswehr beliefert und eine enge Kooperation mit Airbus Defence initiiert hat, baut sein Gründer Seibel seit 2024 ein weiteres Startup auf: Stark Defence. Das Unternehmen produziert Kamikazedrohnen, die sich mit einer Sprengladung auf ihr Ziel stürzen. Das jüngste Modell wird gegenwärtig in der Ukraine getestet.
Branchenprimus ist heute das 2021 gegründete Münchner Startup Helsing, das im Juni mit einer neuen Finanzierungsrunde seinen Wert auf mehr als zwölf Milliarden Euro in die Höhe geschraubt hat und damit nun das wertvollste deutsche Startup überhaupt ist. Ursprünglich mit der Anwendung von KI in Waffensystemen befasst, ist es bald in die Drohnenproduktion eingestiegen und stellt mit HX-2 ebenfalls eine Kamikazedrohne her. Das Modell nutzt KI und ist damit weniger anfällig für elektronische Störmaßnahmen. Helsing, von Ex-McKinsey-Mitarbeiter Gundbert Scherf mit aufgebaut, der von 2014 bis 2016 für McKinsey als »Beauftragter strategische Steuerung Rüstung« im Verteidigungsministerium unter Ursula von der Leyen tätig war, will einen »Drohnenwall« mit 100.000 Drohnen an der NATO-Ostflanke errichten und entwickelt Software zur Steuerung von Kampfjets. Diese könnten wohl noch vor Ende des Jahrzehnts autonom eingesetzt werden, sagte eine Firmenvertreterin der Financial Times.
Es gab eine Zeit, da wurde in Deutschland noch kritisch über den Einsatz von Kampfdrohnen diskutiert. Die Zeit ist vorbei. In der Ukraine zeige sich, dass Krieg heute »Techkrieg« sei, ließ sich Denys Gurak, Kogründer der US-amerikanisch-ukrainischen Investmentfirma MITS Capital, kürzlich zitieren: »Bis zu 90 Prozent der Schäden an der Front entstehen heute durch Drohnen.« Entsprechend beschafft auch die Bundeswehr Drohnen aller Art. Dabei wird sie, wie der Chef von Airbus Defence, Michael Schöllhorn, Ende Juni im Handelsblatt vermutete, künftig »immer weniger« von den USA abhängig sein. Helsing etwa legt Wert darauf, zu 80 Prozent im Besitz europäischer Finanziers zu sein. Das Startup Stark Defence wiederum produziert laut eigenen Angaben ausschließlich mit Bauteilen deutscher Zulieferer. Der Aufbau der Drohnenindustrie bietet Deutschland laut Schöllhorn eine »Chance«, eine eigene »Hightechindustrie aus der Verteidigungsbranche heraus aufzubauen, wie es sie im Silicon Valley und in Israel seit vielen Jahren gibt«.
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Leserbrief von Fred Buttkewitz aus Ulan - Ude (12. Juli 2025 um 13:17 Uhr)Leider weiß ich nicht mehr, wo ich vor kurzem einen Artikel folgenden Inhalts gelesen habe (wahrscheinlich in den NDS): Ein deutsches Startup-Unternehmen hat versuchsweise vorerst 6000 Drohnen an die Ukraine geliefert, die autonom untereinander agieren können, die ohne menschlichen Eingriff im Schwarm Abschussentscheidungen treffen, bzw. eine solche Aufgabe blitzschnell an eine andere Drohne weiterleiten, die eine günstigere Position hat. Diese Drohnen lernen ständig hinzu und verständigen sich gegenseitig. Zwar sollen sie wohl per Programmierung einen Krankenwagen oder ein ziviles Fahrzeug von militärischem Einsatzgerät unterscheiden können, einen kampfunfähigen, verwundeten Soldaten von einem einsatzfähigen. In dem Artikel wurden jedoch erhebliche Zweifel geäußert, ob das so durch die Ukraine umgesetzt wird bei Tausenden toten Zivilisten im Donbass selbst vor 2022. Im Prospekt des Drohnenherstellers hieße es, die menschliche Entscheidung hätte auch hier immer die Oberhand vor der autonomen Entscheidung der Drohnenschwärme, was ebenfalls zweifelhaft scheint, weil bei der Masse die Kontrolle verloren geht. Vor wenigen Wochen hörte ich hier eine Meldung in den Nachrichten, die Ukraine hätte eine Spezialeinheit für eine völlig neue Waffengattung geschaffen ( autonome Drohnensysteme) mit einer Besetzungsstärke von vorerst nur 30 (!) Mitgliedern. Mehr sind offensichtlich nicht mehr nötig. Wenn das stimmt, dann bewahrheitet sich die Sage vom Golem in der Altstadt Prags. In dem Artikel wurde bemängelt, dass überhaupt nicht im Bundestag debattiert wurde, ob gerade Deutschland mit solchen Neuerungen diesen Geist als erstes Land aus der Flasche lassen möchte. Nicht die Anzahl der produzierten Drohnen ist das Hauptproblem, solange der Mensch per Einzelsteuerung noch die letzte Entscheidung trifft, sondern die Delegierung der Entscheidung an die Drohnen. Hier handelt es sich um eine völlig neue Qualität.
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