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Aus: Ausgabe vom 10.07.2025, Seite 1 / Titel
Ukraine-Krieg

Russland rückt vor

Bisher größte Angriffswelle mit Drohnen und Raketen auf Ukraine. Bundeskanzler sieht diplomatische Optionen »erschöpft«
Von Reinhard Lauterbach
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Ziel war ein Militärflughafen, doch der Drohnenbeschuss trifft regelmäßig auch zivile Infrastruktur (Schitomir, 9.7.2025)

Russland hat in der Nacht zum Mittwoch den bisher größten Drohnenangriff des Krieges in der Ukraine geflogen. Nach Angaben der ukrainischen Luftwaffe wurden 728 Drohnen und elf ballistische Raketen abgefeuert, von ihnen seien 296 abgeschossen und weitere 415 »fehlgeleitet« worden. Der Unterschied ist nicht ganz unbedeutend: Fehlgeleitete Drohnen werden nicht unschädlich gemacht, sondern gehen unkontrolliert irgendwo nieder. Auf solche elektronischen Störmaßnahmen entfallen vermutlich viele der aus militärischer Sicht sinnlosen Einschläge in Garagenanlagen, Einzelhandelsgeschäfte und dergleichen.

Nach russischen Angaben waren Hauptziele der nächtlichen Angriffswelle eine Fabrik zur Reparatur von Flugzeugtriebwerken im westukrainischen Luzk sowie ein Militärflugplatz südlich von Schitomir in der Zentralukraine. Auf letzterem seien umfangreiche Treibstoff- und Munitionsdepots zerstört worden. Angaben über Tote und Verletzte machte keine der beiden Seiten. Moskau meldete dagegen eine ukrainische Drohnenattacke auf den städtischen Badestrand von Kursk und 83 weitere abgeschossene Drohnen des Gegners. Bei dem Beschuss wurden nach Angaben des örtlichen Gouverneurs am Dienstag drei Besucher getötet und sechs verletzt, darunter ein fünfjähriger Junge. Ob es sich um einen gezielten Angriff handelte oder auch hier eine vom Kurs abgebrachte ukrainische Drohne auf den Strand stürzte und explodierte, geht aus den Meldungen nicht hervor.

Derweil haben die russischen Truppen in der Südukraine offenbar einen größeren Vorstoß im Gebiet Saporischschja begonnen. Russische und ukrainische Quellen berichten von intensiven Kämpfen zwischen der Ortschaft Kamjanske am ehemaligen Ufer des Stausees von Kachowka bis etwa 50 Kilometer weit nach Osten südlich von Orichiw. Ukrainische Offiziere vor Ort berichteten in sozialen Netzwerken von einem »seit Kriegsbeginn nicht erlebten« russischen Beschuss. Ziel der Operation scheint zu sein, eine wichtige Versorgungsroute für die ukrainischen Truppen im Süden des Donbass zu unterbrechen. Weiter nordöstlich setzen die russischen Truppen ihre Operation zur weiträumigen Einkreisung des Ballungsraums von Pokrowsk und Konstantinowka langsam, aber stetig fort. Auch hier klagen ukrainische Soldaten darüber, dass sie praktisch keinen Schritt tun könnten, ohne von Drohnen angegriffen zu werden.

Angesichts der immer intensiveren Luftangriffe auf Ziele in der Ukraine prüft US-Präsident Donald Trump offenbar, ob er dem Land entgegen früheren Erklärungen doch wieder »Patriot«-Luftabwehrsysteme liefern könne. Zuvor hatte es geheißen, das sei wegen stark dezimierter Vorräte in den USA bis auf weiteres nicht möglich. Auch die Bundesregierung will offenbar der Ukraine eine weitere ihrer »Patriot«-Batterien überlassen. Mit drei Batterien hat die Bundesrepublik der Ukraine bereits ebenso viele dieser Systeme geliefert wie die USA selbst. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sprach am Mittwoch im Bundestag davon, dass die diplomatischen Möglichkeiten für ein Ende des Krieges derzeit »erschöpft« seien. Das deckt sich mit der Parole, die der frühere ukrainische Verteidigungsminister Olexij Resnikow am Montag im Gespräch mit der Londoner Times ausgab: Es sei jetzt nicht der Moment für Kompromisse. Die Ukraine müsse sich auf einen langen Krieg einstellen.

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