»Wir erleben derzeit eine autoritäre Wende«
Interview: Marc Bebenroth
Die Linkspartei schreibt ihren deutlichen Stimmenzuwachs bei der zurückliegenden Bundestagswahl auch der demokratischen Zivilgesellschaft zu. Zu deren (Selbst-)Verteidigung lädt Ihre Fraktion für Freitag zu einer Konferenz ins Paul-Löbe-Haus ein. Inwiefern ist Zivilgesellschaft ein Begriff der politischen Linken?
Eine Motivation, diese Konferenz zu veranstalten, war die noch vor der Bundestagswahl gestellte Anfrage der Unionsfraktion mit 551 Fragen zu zivilgesellschaftlichen Organisationen wie zum Beispiel die »Omas gegen Rechts«, ATTAC und andere Organisationen, die einen wichtigen Beitrag in unserer Gesellschaft leisten, um Grund- und Menschenrechte zu verteidigen. Ich denke besonders an Vereine und Bündnisse, die sich im ländlichen Raum gegen rechte Gewalt oder für Geflüchtete engagieren. Sie sind häufig die Einzigen, die vor Ort überhaupt aktiv werden, um dem Druck von Rechts Einhalt zu gebieten sowie Schutzräume für Betroffene zu schaffen. Das sind die, die wir meinen. Zunehmend wird diese Zivilgesellschaft auch selbst Ziel von Repression.
Auf der bundespolitischen Ebene hatte die nach eigener Darstellung demokratische Unionsfraktion mit ihrer Anfrage offenbart, welche Organisationen ihr ein Dorn im Auge sind. Waren Sie von dem Vorgehen überrascht?
In der Union tobt ein Flügelkampf, bei dem sich Radikalkonservative wohl durchsetzen. Es gibt Stimmen in der Union, die sprechen sich für eine Normalisierung der AfD aus. Teil des rechten Kulturkampfes ist es, NGOs als elitäre Minderheit darzustellen, die einen vermeintlichen »Volkswillen« torpediert. Diese umfassende Anfrage war insofern folgerichtig. Das macht es nicht weniger zu einem Alarmsignal für uns und für die Zivilgesellschaft, deren Organisationen teilweise auf öffentliche Fördermittel angewiesen sind und nun politische Repression zu erwarten haben. Hier muss Resilienz aufgebaut werden.
Ist das mit Selbstverteidigung gemeint?
Wir wollen mit der Konferenz nach Wegen suchen, wie wir eine wirksame Opposition von unten gegen die gesellschaftliche Rechtsentwicklung aufbauen können. Wir dürfen nicht dabei stehen bleiben, den Status quo in der BRD zu verteidigen. Wir erleben derzeit eine autoritäre Wende, der wir das Ziel einer demokratischen Gesellschaft entgegensetzen.
Sie werden einen der Workshops moderieren. Worin zeichnet sich die dort thematisierte Asylwende aus und was ist das Autoritäre daran?
Das Asylsystem hatte schon immer eine repressive Seite. Diese beinhaltet Lager, Residenzpflicht, Abschiebungen. In den vergangenen Jahren hat sich das aber drastisch zugespitzt, mit der GEAS-Reform und etlichen Verschärfungen auf nationaler Ebene. Aktuell sehen wir, wie die Situation an der deutsch-polnischen Grenze aufgrund von Dobrindts Zurückweisungspolitik eskaliert. Zustände, die wir bisher von den Außengrenzen kannten – Haftlager, gewaltsame Pushbacks –, rücken zunehmend ins Zentrum der EU.
Wie erklären Sie sich die Härte gegen Geflüchtete durch die Bundesregierung parallel zu Bemühungen um ausländische Arbeitskräfte?
Die Abschottung gegenüber Geflüchteten und die Anwerbung von leicht ausbeutbaren Arbeitskräften schließen sich nicht aus. Die Ampel hat in den letzten Jahren Migrationsabkommen mit etlichen Staaten von Indien über Kenia bis Kolumbien abgeschlossen, um auf Arbeitskräfte aus diesen Ländern zugreifen zu können. Gleichzeitig hat sie die Grenzen für Schutzsuchende dichtgemacht. Ich gehe davon aus, dass diese Politik unter der neuen Regierung im Großen und Ganzen fortgesetzt wird.
Die Linke-Fraktion will mit der Konferenz auch Mut machen. Welchen Silberstreif sehen Sie am Horizont?
Viele Menschen wünschen sich einen Gegenentwurf zu der rechten Entwicklung. Die Linke muss dazu klare Worte finden. Wir dürfen uns mit unseren verschiedenen politischen Kämpfen nicht spalten lassen. Die Versuche, politisch Unliebsame auszugrenzen, passieren auf verschiedenen Ebenen, auch bei der Solidarität mit den Palästinensern. Es geht um grundlegende Rechte, die wir gemeinsam verteidigen müssen. Sonst haben wir sie irgendwann nicht mehr.
Clara Bünger ist Sprecherin für Innen- sowie für Fluchtpolitik der Fraktion Die Linke im Bundestag
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