Allein Milliarden verbrannt
Von Kristian Stemmler
Enquetekommissionen werden oft ins Leben gerufen, um politisch heikle Angelegenheiten auf die lange Bank zu schieben. Dieser Aspekt dürfte auch bei der neuen Enquetekommission zum staatlichen Handeln während der Coronapandemie eine Rolle spielen. Mit ihrer Einsetzung hat sich am Mittwoch der Bundestag auf Antrag von Union und SPD nach jW-Redaktionsschluss befasst. Zu einem Untersuchungsausschuss, der wesentlich mehr Rechte und größeres politisches Gewicht hätte, kommt es damit voraussichtlich nicht mehr. Die Kommission wird nun unter dem Titel »Aufarbeitung der Coronapandemie und Lehren für zukünftige pandemische Ereignisse« tagen. Ihr sollen 14 Mitglieder des Bundestages sowie 14 Sachverständige angehören.
Am Mittwoch trafen sich zudem jeweils der Haushalts- und der Gesundheitsausschuss des Parlaments, um sich mit der Beschaffung von Schutzmasken durch den damaligen Gesundheitsminister und jetzigen Unionsfraktionsvorsitzenden Jens Spahn (CDU) zu befassen. Spahn sollte sich am frühen Nachmittag im nichtöffentlich tagenden Haushaltsausschuss dazu äußern – ebenso wie Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU). Warken hatte am Vormittag im Gesundheitsausschuss Stellung genommen. Die Maskenbeschaffung sollte auch Thema einer Aktuellen Stunde im Plenum sein, die von der Linke-Fraktion beantragt wurde.
In den Ausschüssen ging es um den Bericht der Sonderermittlerin Margaretha Sudhof, die 2024 von Warkens Vorgänger Karl Lauterbach (SPD) eingesetzt worden war. Laut dem Bericht war Spahn damals gegen den ausdrücklichen »Rat seiner Fachabteilungen« in großem Umfang in die Maskenbeschaffung eingestiegen. Spahns Entscheidung, die Beschaffung allein regeln zu wollen, ziehe bis heute »erhebliche Kosten und Risiken« nach sich, heißt es weiter. Das Gesundheitsministerium hat sich von dem Papier distanziert. Dem Haushaltsausschuss wurde es nur stark geschwärzt übersandt.
Vor diesem Hintergrund warf Grünen-Fraktionsvize Andreas Audretsch Spahn und Warken mangelnden Aufklärungswillen vor. Sie scheuten »Transparenz und Aufklärung wie der Teufel das Weihwasser«, sagte Audretsch den Zeitungen der Funke-Mediengruppe vom Mittwoch. Mit Blick auf den Bericht der Sonderbeauftragten kritisierte er, dass fünf Seiten »vollständig geschwärzt, sieben weitere nur zur Hälfte lesbar« seien; Fußnoten seien »auf einem Großteil der Seiten komplett unkenntlich gemacht«.
»Aus dieser Nummer kommt Jens Spahn nicht mehr raus. Egal, was er heute im Ausschuss behauptet: Die Indizien sprechen gegen ihn und seine halbgaren Ausflüchte«, erklärte Ines Schwerdtner, Abgeordnete und Vorsitzende der Partei Die Linke, am Mittwoch in einer Mitteilung. Spahn habe »gegen den Rat seiner Experten windige Milliardendeals eingefädelt, die uns alle teuer zu stehen kommen«. Wer so leichtfertig wie er »unsere Steuergelder aus dem Fenster wirft«, dürfe »kein wichtiges politisches Amt mehr ausüben«. Da Spahn damals Verträge an Firmen aus seinem Wahlkreis vergeben habe, liege der Verdacht nahe, »dass sich hier ein CDU-Filz eingeschlichen hat«, hatte die Linke-Vorsitzende zuvor im ZDF gesagt. Die Linke fordert einen Untersuchungsausschuss.
Der Sudhof-Bericht zeichne »ein katastrophales Bild von der Vergabepraxis im Gesundheitsministerium«, erklärte auch Aurel Eschmann von der Organisation Lobbycontrol in einer Mitteilung und forderte den Rücktritt Spahns als Unionsfraktionschef. Das Papier stelle »unmissverständlich klar, dass Spahns persönliche Alleingänge die Ursache für die Verschwendung von Steuergeldern in Milliardenhöhe sind«.
Mit der Einrichtung einer Enquetekommission zur Coronapolitik zeigte sich unterdessen BSW-Chefin Sahra Wagenknecht unzufrieden. Gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sprach sie am Mittwoch von »schlechter Schaufensterpolitik«, die nicht ansatzweise ausreiche, um die Coronazeit aufzuarbeiten. Es gehe nicht nur um Spahns »Maskenmauschelei«. Vielmehr seien weitaus schwerwiegendere Fehler gemacht worden. So seien die sogenannten Lockdowns in vielen Bereichen »maßlos übertrieben« gewesen. Das Brandenburger Verfassungsgericht teilte über drei Jahre nach dem Ende der Pandemiemaßnahmen am Mittwoch mit, die Einschränkung von Versammlungen während der Coronapandemie sei nicht mit der Landesverfassung vereinbar gewesen; entsprechende Regelungen in der Eindämmungsverordnung seien nichtig.
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Leserbrief von Reinhard Hopp aus Berlin (25. Juni 2025 um 20:31 Uhr)Es bedarf daher nicht allzu viel Phantasie, sich bereits jetzt »auszumalen«, welche horrenden Summen an »Sondervermögen« im Verlauf der gigantischen »Kriegsertüchtigung« auf »Sonderwegen« abhandenkommen und in »Sondertaschen« wohl noch verschwinden werden. Frau von der Leyen hat es einst vorgemacht, Jens Spahn diese Methode (in seinem Sinne) erfolgreich weiterentwickelt und andere werden sie gewiss schon bald zur wahren Meisterschaft zu führen verstehen. Da soll noch einer sagen, Politiker*innen seien nicht lernfähig!
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