Gegründet 1947 Montag, 7. Juli 2025, Nr. 154
Die junge Welt wird von 3019 GenossInnen herausgegeben
Aus: Ausgabe vom 07.07.2025, Seite 8 / Ansichten

Schengen – wo liegt das?

Kontrollen an deutsch-polnischer Grenze
Von Reinhard Lauterbach
imago824304893.jpg

Ab heute wird an der deutsch-polnischen Grenze auch auf der polnischen Seite wieder kontrolliert. Mit dieser Entscheidung hat Ministerpräsident Donald Tusk formal nur reagiert auf das, was die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) 2023 begonnen und was ihr Amtsnachfolger Alexander Dobrindt (CSU) verstärkt fortgesetzt hat: Kontrollen auf der deutschen Seite. Polen hatte seitdem mehrfach seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht – überraschend ist die Entscheidung Tusks also nach dieser Seite nicht. Es ist ein Krach mit Ansage zu einer Zeit, in der sich Donald Tusk sowieso schon dem Vorwurf ausgesetzt sieht, ein heimlicher Vollstrecker der deutschen Agenda zu sein. Das stimmt freilich überhaupt nicht. Tusk möchte nur dasselbe wie die BRD: unerwünschte Migranten beim lieben Nachbarn abladen können. Dabei dürfte sich die Zahl derer, die, wenn sie es schon nach Deutschland geschafft haben, nach Polen weiterziehen, wo alle Sozialleistungen schlechter sind als in der BRD, in äußerst engen Grenzen halten.

So wird der ungehinderte Grenzverkehr im Schengen-Raum – eine der wenigen im Alltag spürbaren positiven Folgen der EU für den normalen Menschen – zum Spielball der Auseinandersetzung mit rechten Populisten. Ausgang unbekannt, aber eine Gewissheit gibt es: Die EU-Verdrossenheit wird auf allen Seiten zunehmen. Das kümmert offensichtlich niemanden mehr. So wie Faeser die Sache in der vergeblichen Hoffnung losgetreten hatte, der AfD Punkte zu nehmen, hat Tusk das jetzt nachgemacht in seinem Kampf gegen die »illegale Migration«. Die polnische Rechte hat das Thema semantisch besetzt. Sie will am liebsten gar keine Migration mehr haben, daher ist jeder Fall davon gleich ein »illegaler«. Dabei hat sie noch unter der PiS-Regierung Zehntausende Visa an Saisonarbeiter aus Afrika und Asien verteilt, von denen niemand weiß, ob sie nach Ablauf der Verträge wirklich wieder in ihre Heimatländer ausgereist sind. Genau jene PiS war das, die jetzt die Bürgerwehren polnischer Faschisten anfeuert, die sich an der Grenze als Hilfspolizei aufspielen und sogar schon Personenkontrollen durchgeführt haben sollen.

Gegenüber diesem innenpolitischen Druck in einer für seine Koalition angespannten Situation ist Donald Tusk mit der Entscheidung, die Kontrollen jetzt einzuführen, eingeknickt. Es wird ihm genauso wenig helfen wie Nancy Faeser – jeder, der öfter die deutsch-polnische Grenze zu passieren hat, kann sehen, dass die Präsenz der Bundespolizei ganz überwiegend symbolisch ist und außer Staus wenig bewirkt hat. Wenn im gesamten Jahr 2024 an der deutsch-polnischen Grenze 690 Menschen zurückgewiesen worden sind, dann waren das weniger als zwei pro Tag. Abgesehen davon, dass das nach dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts illegal war, stellt sich die Frage, ob dieser Ertrag den Aufwand und den politischen Schaden wert ist.

links & bündig gegen rechte Bünde

Jetzt den kostenlosen jW-Newsletter abonnieren – täglich das Beste aus der Tageszeitung junge Welt, direkt in Ihr Postfach. Ihre E-Mail-Adresse wird natürlich niemals an Dritte weitergegeben.

Ähnliche:

  • Unter den Augen der Polizei: Rechte polnische »Grenzschützer« am...
    03.07.2025

    Vor Rechten eingeknickt

    Polens Regierungschef Donald Tusk kündigt Kontrollen an Grenzen zu Deutschland und Litauen an. Reaktion auf Demos der vergangenen Tage
  • Leicht zu überwachendes Nadelöhr: Die Oderbrücke zwischen Frankf...
    01.07.2025

    Bürgerwehr auf Menschenjagd

    Polen: Rechte Bewegung demonstriert an Grenzübergängen gegen Abschiebungen aus Deutschland
  • Betont streng: Innenminister Alexander Dobrindt (CSU) am Donners...
    17.05.2025

    Mit noch härterer Hand

    Innenminister stellt im Parlament seine Agenda vor. Fokus auf Ermächtigung von Polizei und Geheimdiensten sowie Härte gegenüber Geflüchteten

Regio:

Mehr aus: Ansichten