Schengen – wo liegt das?
Von Reinhard Lauterbach
Ab heute wird an der deutsch-polnischen Grenze auch auf der polnischen Seite wieder kontrolliert. Mit dieser Entscheidung hat Ministerpräsident Donald Tusk formal nur reagiert auf das, was die frühere Innenministerin Nancy Faeser (SPD) 2023 begonnen und was ihr Amtsnachfolger Alexander Dobrindt (CSU) verstärkt fortgesetzt hat: Kontrollen auf der deutschen Seite. Polen hatte seitdem mehrfach seinen Unmut darüber zum Ausdruck gebracht – überraschend ist die Entscheidung Tusks also nach dieser Seite nicht. Es ist ein Krach mit Ansage zu einer Zeit, in der sich Donald Tusk sowieso schon dem Vorwurf ausgesetzt sieht, ein heimlicher Vollstrecker der deutschen Agenda zu sein. Das stimmt freilich überhaupt nicht. Tusk möchte nur dasselbe wie die BRD: unerwünschte Migranten beim lieben Nachbarn abladen können. Dabei dürfte sich die Zahl derer, die, wenn sie es schon nach Deutschland geschafft haben, nach Polen weiterziehen, wo alle Sozialleistungen schlechter sind als in der BRD, in äußerst engen Grenzen halten.
So wird der ungehinderte Grenzverkehr im Schengen-Raum – eine der wenigen im Alltag spürbaren positiven Folgen der EU für den normalen Menschen – zum Spielball der Auseinandersetzung mit rechten Populisten. Ausgang unbekannt, aber eine Gewissheit gibt es: Die EU-Verdrossenheit wird auf allen Seiten zunehmen. Das kümmert offensichtlich niemanden mehr. So wie Faeser die Sache in der vergeblichen Hoffnung losgetreten hatte, der AfD Punkte zu nehmen, hat Tusk das jetzt nachgemacht in seinem Kampf gegen die »illegale Migration«. Die polnische Rechte hat das Thema semantisch besetzt. Sie will am liebsten gar keine Migration mehr haben, daher ist jeder Fall davon gleich ein »illegaler«. Dabei hat sie noch unter der PiS-Regierung Zehntausende Visa an Saisonarbeiter aus Afrika und Asien verteilt, von denen niemand weiß, ob sie nach Ablauf der Verträge wirklich wieder in ihre Heimatländer ausgereist sind. Genau jene PiS war das, die jetzt die Bürgerwehren polnischer Faschisten anfeuert, die sich an der Grenze als Hilfspolizei aufspielen und sogar schon Personenkontrollen durchgeführt haben sollen.
Gegenüber diesem innenpolitischen Druck in einer für seine Koalition angespannten Situation ist Donald Tusk mit der Entscheidung, die Kontrollen jetzt einzuführen, eingeknickt. Es wird ihm genauso wenig helfen wie Nancy Faeser – jeder, der öfter die deutsch-polnische Grenze zu passieren hat, kann sehen, dass die Präsenz der Bundespolizei ganz überwiegend symbolisch ist und außer Staus wenig bewirkt hat. Wenn im gesamten Jahr 2024 an der deutsch-polnischen Grenze 690 Menschen zurückgewiesen worden sind, dann waren das weniger als zwei pro Tag. Abgesehen davon, dass das nach dem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts illegal war, stellt sich die Frage, ob dieser Ertrag den Aufwand und den politischen Schaden wert ist.
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