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Aus: Ausgabe vom 01.07.2025, Seite 6 / Ausland
Polen

Bürgerwehr auf Menschenjagd

Polen: Rechte Bewegung demonstriert an Grenzübergängen gegen Abschiebungen aus Deutschland
Von Reinhard Lauterbach, Poznań
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Leicht zu überwachendes Nadelöhr: Die Oderbrücke zwischen Frankfurt (Oder) und Słubice (8.7.2021)

An mehreren deutsch-polnischen Grenzübergängen haben am Sonntag rechte Aktivisten für den »Schutz der polnischen Grenzen« demonstriert. Die Veranstalter der »Bewegung für den Schutz der Grenzen« sprachen von einigen tausend Teilnehmern, unabhängige Medien nannten Zahlen im oberen dreistelligen Bereich. Ein Schwerpunkt war der Übergang zwischen Görlitz und dem polnischen Zgorzelec. Dort blockierten einige hundert meist männliche Demonstranten eine Neißebrücke und riefen Parolen wie »Keine Migration, weder legale noch illegale«, »Neger raus« und »Sicherheit zuerst für Polen«. Auch T-Shirts mit Aufschriften wie »White Power« waren zu sehen. Die Demonstranten versuchten, auf deutsches Gebiet vorzudringen, wurden aber von einem Spalier der Bundespolizei daran gehindert. Nachdem sie die polnische Nationalhymne mehr gegrölt als gesungen hatten, zogen sie sich auf das polnische Ufer zurück. Der Verkehr war zeitweise unterbrochen.

Ähnliche Aktionen gab es auch auf der Brücke zwischen Słubice und Frankfurt (Oder) und an einem Übergang in der Nähe von Szczecin. Auf der Oderbrücke in Słubice versuchten die Demonstranten, die Passage von drei mutmaßlichen Afghanen auf polnisches Gebiet zu verhindern, die von zwei Beamten des polnischen Grenzschutzes eskortiert wurden. Ein Reporter lieferte sich mit den polnischen Beamten einen längeren Wortwechsel darüber, wie sie es fertigbrächten, »Migranten auf polnisches Gebiet zu begleiten«, anstatt sie gleich abzuweisen. »Deutsche, behaltet eure Migranten«, skandierte dazu die Menge.

Wie eine Sprecherin des polnischen Grenzschutzes dem mit den Protesten sympathisierenden rechten Fernsehsender TV Republika (TVR) erklärte, seien die Männer beim Versuch, ohne Dokumente auf die deutsche Seite zu gelangen, dort gestoppt und zurückgeschickt worden. TVR berichtete unter Berufung auf Teilnehmer an den Aktionen auch, dass in der Nacht zum Sonntag vier Eritreer daran gehindert worden seien, über eine Eisenbahnbrücke auf polnisches Gebiet zu kommen. Eine »Festnahme« der vier »auf frischer Tat« durch eine »Bürgerpatrouille« habe dies aber verhindert. Die Männer seien anschließend der polnischen Polizei übergeben worden.

Gegner der Aktionen ist die aktuelle polnische Regierung. Ihr werfen die Rechten vor, angesichts eines »hybriden deutschen Krieges gegen Polen« untätig zu bleiben. In Zgorzelec sagte einer der Redner, Polen werde heute »von Migranten überrannt wie 1939 von der Wehrmacht«. TV Republika, das den ganzen Tag live von den Protesten berichtete, blendete über längere Zeit eine Schrifttafel am unteren Bildschirmrand ein mit der Parole: »Polen im Zweifrontenkrieg: Der Iwan überschwemmt uns von Osten mit Migranten, der Deutsche von Westen.« Polens Innenminister Tomasz Siemoniak reagierte defensiv: Er verwies darauf, dass bei der Grenzbehörde – die an der Westgrenze angesichts der Zugehörigkeit Polens zur Schengenzone personell ausgedünnt ist und deren Kräfte heute an der Grenze zu Belarus konzentriert sind – 1.500 neue Stellen ausgeschrieben worden seien. Das Ministerium verwies gegenüber der Gazeta Wyborcza darauf, dass im ersten Halbjahr 2025 die Gesamtzahl der aus Deutschland nach Polen abgeschobenen Menschen 300 betragen habe – von einer »Flut« könne also keine Rede sein. Auch der Anteil von Migranten an der Kriminalität liege bei nur zwei Prozent, darunter überwiegend Alkoholfahrten von Ukrainern und Georgiern – die sich wiederum in der Regel legal in Polen aufhalten.

Die Rechten haben in den von deutscher Seite eingeführten Grenzkontrollen und den tatsächlich zunehmenden Zurückweisungen ein gefundenes Fressen entdeckt, Ängste der polnischen Bevölkerung zu schüren. Dabei spielen Gerüchte eine große Rolle. Etwa Meldungen, dass in einer westpolnischen Stadt zwei »Äthiopier« oder auch »Eritreer« splitterfasernackt durch die Stadt gelaufen seien. Wo sich dies zugetragen habe, wurde verschieden kolportiert: Mal soll es in Zielona Góra gewesen sein, mal in Legnica. Andere derartige Zeitungsenten besagen, dass angeblich Migranten, die vorübergehend in einem Kinderheim untergebracht worden seien, von den dort lebenden polnischen Mädchen verlangt hätten, sich islamisch zu kleiden. Wo dies geschehen sein soll, wird nicht gesagt. Dennoch wird es regelmäßig als Tatsache dargestellt.

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