Im Bombenhagel
Von Gerhard FeldbauerVon 1967 bis 1970 arbeiteten meine Frau Irene als Fotoreporterin und ich als Wortberichterstatter für die Nachrichten- und Bildagentur der DDR ADN und für das Neue Deutschland in der Demokratischen Republik Vietnam. Davon zeugen Hunderte von Fotos für den ADN, von denen viele von den US-Agenturen UPI und AP übernommen wurden, da sie keine Korrespondenten nach Nordvietnam schickten. Augenscheinlicher als es Worte können, belegen diese Fotos unsere Arbeit unter dem Hagel US-amerikanischer Bomben, zeigen zerbombte Wohnviertel mit Schulen und Krankenhäusern, Betrieben, Kirchen und Pagoden. Wir weilten in Flak- und Raketenstellungen, bei den Kämpfern, die Straßen und Brücken instand hielten, bei in den Bergen evakuierten Schulkindern und anderen, die in unterirdischen Bunkern lernten. Wir sahen Kinder fassungslos vor Bombenkratern stehen, wo vorher ihre Hütten standen, und immer wieder das Leid der Menschen, die vielen, vielen Toten, Opfer der Zivilbevölkerung, vor allem immer wieder Frauen, Kinder, alte Menschen. Ein Leid, das man kaum beschreiben konnte. Wir sahen aber auch den unbeugsamen Willen von Menschen, die ihre unter unsagbaren Opfern errungene Freiheit und Unabhängigkeit verteidigten.
In Vinh, der Stadt am Fluss Lam, wo wir die Flakartilleristen trafen, gingen wir durch die Ruinen einer gemordeten Stadt. Die Gassen waren einst von Häusern flankiert – jetzt nur noch von Schutthaufen. Hier hatten sich Wohnungen mit Möbeln und Licht befunden, hier wohnten und arbeiteten Menschen, hier lachten und spielten Kinder, lebte eine Stadt ihr friedliches Leben. Vergebens suchten wir nach Spuren militärischer Anlagen, strategischen Objekten. Aus einem riesigen Schutthaufen im Marktviertel ragte eine Mauer mit einer Inschrift. Vier Kriegsjahre hatten die Buchstaben verwittert, doch wir konnten sie noch erkennen: »Unter den amerikanischen Bomben starb hier am 4. April 1965 unsere ganze Familie, Großmutter und Großvater, Mutter und Vater, meine fünf Geschwister. Unsere kleine Ngyen Thi Anh war erst drei Monate alt. Ich bin der einzige Überlebende. Morgen werde ich zur Armee gehen. Ich bin erst 17, aber sie müssen mich nehmen. Tod den amerikanischen Piraten und Aggressoren!«
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