Epochaler Sieg
Von Jörg Tiedjen 
					Die Bilder von der Befreiung Saigons im April 1975 waren eindeutig. Während die Truppen Nordvietnams und der Nationalen Front für die Befreiung Südvietnams die Kontrolle über die Stadt übernahmen, drängten sich auf dem Dach der US-Botschaft die letzten US-Amerikaner über einen schmalen Aufstieg himmelwärts in Armeehubschrauber. Deutlicher konnte eine Niederlage nicht sein. Nach Jahrzehnten eines Krieges, der Vietnam bis heute nicht überwundene Opfer abverlangt hatte, war die größte militärische Supermacht geschlagen.
Der Vietnamkrieg war ein Krieg von Reich gegen Arm. Washington wollte an Vietnam ein Exempel statuieren, um nach dem Verlust Kubas Befreiungsbewegungen und die Linke in aller Welt einzuschüchtern, nicht zuletzt auch im eigenen Land. Doch die US-Amerikaner hatten die Widerstandskraft der kleinen südostasiatischen Nation unterschätzt, die zuvor bereits mit der Schlacht bei Dien Bien Phu die Kolonialmacht Frankreich besiegt hatte.
Man kann sich heute kaum mehr vorstellen, welche Bedeutung das Thema Vietnam gerade auch im kapitalistischen Westen hatte. 1966 stellt Ernesto Che Guevara auf der Trikontinentalen Konferenz in Havanna die berühmte Forderung auf: »Schafft ein, zwei, viele Vietnams …« Das darauffolgende Jahr wurde von den kubanischen Revolutionären zum »Jahr Vietnams« erklärt. In Washington gingen in jenem Jahr Hunderttausende gegen den Krieg auf die Straße, in Frankreich rebellierten die Regisseure der gefeierten »Nouvelle Vague« und schufen das Filmdokument »Fern von Vietnam«, eine Kollektivarbeit. In der DDR entstanden hervorragende Reportagen und Filme über Vietnam, genau wie dort selbst. Das Engagement gegen den Krieg war einer der entscheidenden Momente, die zum »Mai 68« führten, der von der Pariser Vorstadt Nanterre ausging.
Wenn heute (nicht allein) in der westlichen Hemisphäre Hollywoods Bild vom Vietnamkrieg bestimmend ist, so ist das nicht zuletzt auf die gewaltigen Mittel zurückzuführen, die von den USA aufgewandt wurden, um sich selbst reinzuwaschen und die Erinnerung an den Vietnamkrieg zu verfälschen. Damit beschäftigt sich in der vorliegenden Beilage Hellmut Kapfenberger, der aus dem Vietnamkrieg für ADN und Neues Deutschland Bericht erstattete. Susann Witt-Stahl zeichnet zudem nach, welch mächtige Lobbys von Anfang an hinter dem antikommunistischen Unternehmen der USA in Vietnam standen. Sie spielen bis heute eine wichtige Rolle – sowohl bei der Unterstützung der ukrainischen als auch der israelischen Ultrarechten.
In Frankreich ist der Geschichtsrevisionismus ebenfalls im Aufwind. Davon schreibt Bernard Schmid, der die Geschichte des Indochinakriegs anreißt, der mit der Niederlage von Dien Bien Phu endete, an den sich unmittelbar die US-amerikanische Aggression anschloss. Daran knüpft Kai Köhler mit seinem Artikel über die Befreiung Saigons an. Das Gespräch mit seiner Exzellenz, dem vietnamesischen Botschafter Vu Quang Minh, bietet Grundlegendes über das südostasiatische Land, den Krieg und seine Folgen, nicht zuletzt die selbstbewusste und fortschrittliche Positionierung Vietnams heute.
Jürgen Heiser widmet sich dem Beitrag der US-Bürgerrechtsbewegung zum Widerstand gegen den Vietnamkrieg, Irene und Gerhard Feldbauer erinnern sich an ihre Zeit als DDR-Kriegsberichterstatter, und Jan Pehrke berichtet von einem der dunkelsten Kapitel des Vietnamkriegs, in das auch die BRD verwickelt war, dem Einsatz des Herbizids Agent Orange und dessen fatalen Folgen. »Saigon ist frei!« hieß ein Lied des Oktoberklubs – eine Botschaft, die angesichts des Fortbestehens kolonialer Konflikte etwa im Nahen Osten um so wichtiger ist.
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