»Wir haben das Schwefeldioxid unmittelbar eingeatmet«
Interview: Christian Selz, KapstadtIhr Heimatort Marikana erlangte 2012 international traurige Berühmtheit durch ein Polizeimassaker an streikenden Bergarbeitern. 34 Kumpel wurden erschossen. Damals ging es um höhere Löhne und bessere Lebensbedingungen. Was hat sich nach dem Streik geändert?
Nichts hat sich geändert, aber heute sehen wir jede Menge Probleme. Es wird schlimmer. Es geht nicht mehr nur um Löhne und Lebensbedingungen, sondern um Verstöße gegen Sicherheits- und Umweltregularien. Und obwohl wir versuchen, diese Probleme anzusprechen, werden wir ignoriert oder bekommen eine vorgefertigte Antwort.
Der damalige Mineneigner Lonmin wurde zwischenzeitlich vom Bergbaukonzern Sibanye-Stillwater übernommen. Welche Folgen hatte das für die Beschäftigten und für die Menschen in Marikana?
Der Vertrag mit Lonmin legt klar fest, dass derjenige, der das Unternehmen kauft, die Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten übernimmt. Aber die Realität ist: Die Leute haben zu kämpfen. Menschen, die jahrelang für die Mine gearbeitet haben, sollen jetzt aus ihren Häusern gejagt werden. Die Beschwerdemechanismen sind nicht ausreichend. Die Leute haben Angst zu reden, denn wenn man zuviel redet, macht man sich zur Zielscheibe. Andere werden kooptiert, um sie von der Gemeinschaft zu isolieren.
Wie werden denn die Menschen aus ihren Häusern getrieben?
Nehmen wir den Fall einer alten Frau hier. Sie hat lange Zeit für Sibanye gearbeitet, aber jetzt wollen sie, dass sie sich für eine Unterkunft über das staatliche Wohnungsbauprogramm bewirbt (was jahrelange Wartezeiten bedeuten würde, jW). Die Behörde sagt aber, sie dürfe sich gar nicht für eine Wohnung bewerben, denn sie hat ja eine Unterkunft bei der Mine. Trotzdem wollen die sie jetzt rauswerfen.
Warum?
Weil sie nicht mehr dort arbeitet. Die meisten, die das betrifft, sind Rentner. Und der Konzern will dort neue Beschäftigte unterbringen. Wir haben viele Probleme aufgrund des Mangels an Unterkünften hier. Früher waren das hier Sammelunterkünfte, mit bis zu 20 Männern in einem Zimmer, in Doppelstockbetten, einer über dem anderen. Die wurden dann in Familieneinheiten umgebaut (nach dem Ende der Apartheid 1994, jW). Nun lebt aber nur noch ein Arbeiter in einem Haus, wo vorher 20 untergebracht waren. Was ist mit den anderen, wo sind die hin? Wenn Sie hierherkommen, sehen Sie, dass diese Stadt heute immer noch eine informelle Siedlung ist, weil das Unternehmen seine Pflicht nicht erfüllt, Wohneinheiten für seine Beschäftigten zu schaffen.
Diese Pflichten sind in Südafrikas Bergbauindustrie in Sozial- und Beschäftigtenplänen festgeschrieben. Was wird dem Unternehmen darin vorgeschrieben, und wie sieht die Realität aus?
Wir sind immer noch im Rückstand. Seit 2023 warten wir auf die Fertigstellung des Sozial- und Beschäftigtenplans. Aber bis heute, zwei Jahre später, gibt es keinen neuen Plan. Statt dessen versuchen sie sich abzusichern, indem sie kooptierte Nichtregierungsorganisationen hierherbringen, die dann gut über Sibanye reden. Aber wir wissen, dass sie unsere tatsächlichen Beschwerden ignorieren. Deshalb wollen wir eine Organisation aufbauen, um unsere eigenen Überprüfungen durchzuführen.
Aber welche Rolle spielt denn der Staat? Warum wird das geltende Recht nicht durchgesetzt und sichergestellt, dass es einen Sozial- und Beschäftigtenplan gibt und Regularien eingehalten werden?
Folgendes Beispiel: Momentan sollen wir uns mit der Behörde für Wasser und Abwasser auseinandersetzen, um dafür zu sorgen, dass die Rückhaltebecken für Abraumschlamm den Vorschriften entsprechen. Die will sich aber nicht kümmern. Gleichzeitig weist auch das Bergbauministerium die Verantwortung von sich, indem es sagt, es kümmere sich nur um Rohstoffförderung. Aber eigentlich ist das Rückhaltebecken ja eine Folge des Bergbaus, sein Inhalt ein Produkt der Mine. Sie will aber die Verantwortung wiederum an die Wasser- und Abwasserbehörde weiterschieben. Ich habe viele, viele E-Mails geschrieben; der Prozess ist letztendlich eine riesige Herausforderung, weil er zeigt, dass das Unternehmen die Regularien nicht einhalten will. Wir haben dem Minenbetreiber die Umweltverstöße aufgezeigt. Am 20. Juli 2023 haben wir ein Meeting mit Minenverantwortlichen gehabt und ihnen erklärt, welche Risiken und Bedrohungen die Rückhaltebecken für uns bedeuten. Tragischerweise ist dort nur einen Tag später ein Kind zu Tode gekommen.
Und trotzdem tut sich nichts?
Nehmen wir die Schwefeldioxidemission der Schmelze. Wir wissen einfach nicht, was da passiert, was die Konsequenzen sind, was die Gesundheitsfolgen, die Langzeitfolgen. Die Leute in der Gemeinde werden komplett im Dunkeln gelassen. Und die Schmelze steht 500 Meter von der Siedlung entfernt. Da gibt es zwar Messinstrumente, aber die zeigen angeblich immer, dass die Luftqualität gut ist. Glaubt man denen, dann ist alles im Lot. Was wir dann gemacht haben: Es gibt seitens der Mine eine Messanlage in Wonderkop (dem Ortsteil von Marikana, neben dem die Schmelze angesiedelt ist, jW) und eine staatliche in Marikana (dem Zentrum der Ortsgemeinschaft, acht Kilometer entfernt, jW). Also haben wir die Werte beider Stationen verglichen. In Marikana wurden starke Belastungsspitzen registriert. Immer wenn es in Marikana stark erhöhte Schwefeldioxidwerte gab, mussten die Leute Masken tragen oder in Gebäuden bleiben.
Wie ist das zu erklären?
Als wir anfingen, diese Fragen aufzuwerfen, als wir der Gemeindeverwaltung sagten, dass sie sich das Luftqualitätsmanagement ansehen soll – da wurden die Messgeräte in Marikana abgeschaltet. Sie sind jetzt außer Betrieb. Also gibt es nur noch die Messstation von Sibanye, deren Werte wir nicht kontrollieren können. Es zeigt einfach, dass sie machen können, was sie wollen. Bei Sibanye soll immer alles im grünen Bereich sein. Aber warum gab es diese Höchstwerte in Marikana, aber nicht in Wonderkop? Wo doch die Quelle des Schadstoffausstoßes in Wonderkop steht. Und warum wird die Station in Marikana abgestellt, wenn wir diese Frage aufwerfen? Das ist doch nicht normal! Wir wollen wissen, was hier vor sich geht. Wir haben auch verlangt, dass die Menschen in der Gemeinde auf die Gefahren hingewiesen werden. Auch deshalb gründen wir unsere eigene Organisation, um das zu tun, was eigentlich Aufgabe des Minenbetreibers wäre: Wir werden die Gefahrenwarnung für sie übernehmen, denn die machen es ja nicht.
Die Überwachung der Luftqualität ist in Südafrika doch Aufgabe des Staats. Insbesondere für Orte mit potentiell hoher Verschmutzung, wie eben nahe Schmelzen, ist das vorgeschrieben. Welche Maßnahmen ergreifen die Behörden denn jetzt?
Momentan keine, denn die Station in Marikana läuft ja nicht. Ich habe mich deshalb bereits an die Südafrikanische Menschenrechtskommission gewendet. Und was haben die gemacht? Sie haben einen Messbericht von Sibanye genommen, mir den geschickt und gesagt, ich solle dazu antworten, sonst würden sie den Fall schließen. Ich habe dann gefragt, ob sie diese Werte überprüft haben, ob sie entsprechende Kontrollen getätigt haben, eine zweite Meinung eingeholt haben. Haben sie natürlich nicht. Aber sie haben die Akte geschlossen.
Was sind denn die Folgen der Verschmutzung für Mensch und Natur?
Die Folgen dieser Verschmutzung – und deswegen richtete sich mein Anliegen ja an die Südafrikanische Menschenrechtskommission – sind zum Beispiel folgende: Wir sind einmal zu einer Inspektion für ein Bohrvorhaben gefahren. Auf dem Rückweg sahen wir eine Rauchwolke. Wir haben angehalten, ungefähr 50 Meter von der Schmelze entfernt. Während wir dort gehalten haben, hat sich dieser Rauch gelegt. Unmittelbar haben wir dieses Schwefeldioxid eingeatmet, mit seinem stechenden Gestank. Und dann bekamen wir das Gefühl, als hätten wir eine Atemwegsinfektion. Drei Wochen lang waren wir krank, mit Atemwegsbeschwerden und Problemen, Luft zu bekommen. Ich bin gleich am ersten Tag zum Arzt gegangen und habe eine Überweisung zum Röntgen bekommen, bei dem die chemische Reaktion in der Lunge zu sehen war. Manche denken vielleicht, es ist eine Grippe, weil die Symptome ähnlich sind. Aber ich habe auch mit den beiden gesprochen, die an dem Tag mit mir unterwegs waren: einem Mitglied des Beirats der traditionellen Autorität und einem Beschäftigten von Sibanye. Die hatten dieselben Beschwerden. Der Mann vom Beirat ist auch zum Arzt gegangen, der Sibanye-Beschäftigte hat Angst, darüber zu reden, weil er fürchtet, entlassen zu werden. Aber er war auch mehr als zwei Wochen nicht bei der Arbeit, weil er krank war. Und ich frage mich: Wie viele Leute atmen diesen Rauch ein, wenn sie an der Schmelze vorbeikommen – ohne zu wissen, was mit ihnen passiert? Denn da führt eine öffentliche Straße vorbei, da gehen Leute zur Arbeit, in der Nähe hüten Kleinbauern ihr Vieh. Und dann sind da die Menschen, die in der Nähe der Schmelze wohnen. Viele von ihnen denken, sie hätten eine Erkältung, aber in Wirklichkeit ist es eine chemische Reaktion in ihrem Körper.
Die Folgen für die Umwelt sind dann vermutlich ähnlich gravierend?
Ein Beispiel: Als ich aufgewachsen bin, haben wir hier Amaranth gesammelt. Das ist eine Pflanze, die eigentlich überall wuchs, und wir haben das gern gegessen. Heute findet man das nicht mehr, wegen der Umweltverschmutzung. Es gab Buschtomaten, kostenloses Essen, auch alles weg.
Und wie überlebt das Vieh?
Die Leute haben noch Kühe, Schafe und Ziegen, aber die trinken alle aus Bächen, die durch die Abraumbecken kontaminiert sind. Manche fangen darin sogar Fische. Ich bin inzwischen einfach müde, denn man wird doch verrückt. Das Minenunternehmen weiß genau, was es tun müsste, aber es tut es einfach nicht.
Mit Ihrer neuen Organisation wollen Sie ja nun auf Gefahren aufmerksam machen und die Verschmutzung durch eigene Messungen belegen. Welche Veränderungen erhoffen Sie sich dadurch?
Die Minenbetreiber müssen zugeben, wie sehr sie unser Leben beeinträchtigen. Das wäre zumindest ein Anfang. Nach dem südafrikanischen Umweltgesetz von 1998 ist klar festgelegt, dass jeder hier das Recht hat, in einer Umgebung zu leben, die nicht gesundheitsschädlich ist. Das steht schon in der Präambel. Das Gesetz legt auch fest: Ja, man darf verschmutzen, aber innerhalb von Grenzwerten. Und es sagt auch: Man muss eine Gegenleistung für die Verschmutzung erbringen, etwa durch sozioökonomische Entwicklung. Aber das tun sie auch nicht. Es passiert einfach nichts. Und deshalb hinken wir immer noch hinterher und haben noch nicht einmal einen Sozial- und Beschäftigungsplan.
Wichtigster Käufer des Platins, das in Marikana gefördert wird, ist der deutsche Chemiekonzern BASF. Gemäß dem Lieferkettengesetz steht er in der Verantwortung, sicherzustellen, dass diese Rechte erfüllt werden. Welche Rolle spielt die BASF denn in Marikana?
Ich bin im vergangenen Jahr in Deutschland gewesen. Aber das Treffen, das wir dort hatten, wirkte auf mich wie bei der Mafia: Man setzt sich zusammen, aber man darf nicht über das Treffen reden. Man darf nicht berichten, wer was gesagt hat. Ich sitze da bei der BASF als Repräsentant meiner Gemeinde, von mir wird zu Hause ein Feedback erwartet, aber ich darf nichts sagen. Wenn das nicht Mafiastyle ist, dann weiß ich es auch nicht. Ich habe den BASF-Mitarbeitern dann eine Frage gestellt: Wenn ihr Platin von Sibanye kauft, welche Maßnahmen trefft ihr dann, um zu garantieren, dass die Regularien eingehalten werden, dass Menschenrechtsverstöße verhindert werden? Denn dieser Schwefeldioxidrauch verletzt unsere Rechte. Sie halten sich also nicht an die Vorgaben.
Wie könnte das Unternehmen denn dazu gezwungen werden?
Ich möchte hier wirklich um Unterstützung bitten. Bitte bringen Sie die Menschen dazu, uns in dieser Sache zu helfen, denn wir haben wirklich Probleme. Wir müssen Aufmerksamkeit generieren und auf die Situation hier hinweisen. Da müssen viele mithelfen, denn alleine schaffe ich das nicht. Ich suche wirklich Hilfe, um hier die Lebensbedingungen zu verbessern. Ich selbst bin ein Produkt dieser Mine. Es ist frustrierend, hier aufzuwachsen und nie etwas anderes zu sehen. Das Bergwerk gibt es seit 1963, da war ich noch nicht geboren. Ich bin jetzt 36 Jahre alt, und für uns gibt es hier immer noch nichts. Im Gegenteil, es wird immer schlimmer.
Brown Matloko (36) arbeitet als Fachkraft für Arbeitsschutz und Umweltsicherheit in Bergwerken rund um die südafrikanische Stadt Marikana. Als Gemeindeaktivist setzt er sich für die Belange der insbesondere vom Platinbergbau und seinen Folgen betroffenen lokalen Gemeinden ein
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