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Aus: Ausgabe vom 04.07.2025, Seite 11 / Feuilleton
Fotografie

Kunst auf Rädern

»Merci Maman«: Straßenfotografie aus Mali im Münchner Museum Fünf Kontinente
Von Sabine Matthes
Abdoul Karim Diallo: Straßenszene mit Sotrama (Bamako 2024)
Monique Dena: Sotrama-Bus mit Bob-Marley-Bemalung von Drissa Konaté (Bamako 2024)
Sidiki Haidara: Auf dem Sotrama-Kleinbus-Bahnhof (Bamako 2024)
Abdoul Karim Diallo: Straßenszene mit Sotrama (Bamako 2024)

Was die Sapeurs in Kinshasa sind, sind die Sotramas in Bamako. Schrille, übermütige Selbstinszenierung. Sie trotzen Chaos, Armut und Staub in den pulsierenden Straßen der Großstadt. Sotramas sind private Mercedes-Kleinbusse im öffentlichen Personennahverkehr. Mit diesen fahrenden, exzentrischen Kunstwerken wetteifern die Chauffeure in Malis Hauptstadt um Kunden. Busmaler dekorieren sie grellbunt mit Bildern und Botschaften, die die Persönlichkeiten der Eigentümer spiegeln und den aktuellen Zeitgeist in Bamako. Sie gleichen rollenden Cafés, wo Wildfremde ins Gespräch kommen. Das malische Fotokollektiv »Yamarou« hat das Phänomen für die Ausstellung »Merci Maman. Straßenfotografie in Mali« über ein Jahr dokumentiert. Im Münchner Museum Fünf Kontinente werden etwa 60 Arbeiten von fünf Mitgliedern der Gruppe gezeigt – atmosphärisch inszeniert wie auf einem Marktplatz, mit dem Sound malischer Songs. Auf dem Vorplatz hat Bamakos berühmter Busmaler Drissa Konaté auf einem Wohnmobil die bayerisch-malische Freundschaft mit den Porträts der beiden kunstsinnigen Könige Ludwig II. und Mansa Musa verewigt.

Angestoßen wurde die Ausstellung von dem Kulturjournalisten, DJ und Künstler Jonathan Fischer. In München geboren, in Tansania aufgewachsen, folgt er seiner Passion für Schwarze Musik, die Fotografie und das Boxen von New Orleans bis Kapstadt. Die Idee für die Ausstellung kam ihm bei seinem ersten Besuch in Mali 2012. Der Norden des Landes war gerade von Dschihadisten besetzt, Bamako aber empfing ihn friedlich und herzlich. Ein Bus mit einem riesigen Bild von Sylvester Stallone fuhr an ihm vorbei. Wie hypnotisiert folgte er ihm mit dem Taxi. Bamako ist für ihn nicht nur ein Lebensgefühl, sondern »auch eine Bühne für Alltagskunst«.

Auf den Minibussen stehen scheinbar unvereinbare Motive aus Pop, Politik und Religion nebeneinander – das Schwert des Islam neben der US-Flagge, Ghaddafi, Bob Marley, islamische Prediger, die Rolling-Stones-Zunge und Putin. Bamakos bekanntester Busmaler Drissa Konaté erklärt das so: »Wir Malier leben eine Philosophie der Toleranz. Und so halten wir es auch mit unseren Idolen: Man muss nicht einer strikten Logik folgen, sondern dem eigenen Herzen.« Das weiße Pferd steht für Glück und Wohlstand, Leopard, Löwe und Adler sind Symbole der Stärke. Ghaddafi ist hier ein antikolonialer Freiheitsheld, der viel in die Infrastruktur Malis investiert hat und auch das jetzige Regierungsviertel erbauen ließ – seine Ermordung führte zu Chaos und Krieg in Libyen und im Norden von Mali. Der westafrikanische Popstar DJ Arafat ist ein beliebtes Motiv, er bekam seinen Namen von libanesischen Freunden in der Elfenbeinküste, weil er »hardcore« sei. Solidaritätsbekundungen mit Gaza sind auf den Sotramas nicht zu finden, auch der Krieg im eigenen Norden ist nicht präsent. Es wird »Limaniya« beschworen, also »Gleichmut«.

Neben der US-Flagge ist auch die deutsche oft zu sehen – ebenso ­Logos deutscher Firmen wie Adidas und Mercedes sowie der Bundesadler, der angeblich zum Wappentier der malischen Fußballnationalmannschaft wurde. Deutschland ist in Mali beliebt – der FC Bayern und Mercedes-Busse »sind super«, der Stoff für die raffinierten Kostüme der malischen Frauen kommt aus der BRD, die Deutsche ­Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) ist hier aktiv, auch das Goethe-Institut. Seit dem Wegfall von USAID zahlt die Bundesrepublik die meiste Entwicklungshilfe an Mali, sie war auch das erste Land, das 1960 völkerrechtlich Malis Unabhängigkeit von Frankreich anerkannte.

Als die ehemalige Kolonialmacht 2012 auf seiten der Regierung im Krieg gegen die Separatisten und Dschihadisten im Norden intervenierte, sah man François Hollandes Porträt auf den Sotramas. Inzwischen ist er übermalt mit Putin. Flammende Herzen, Sinnsprüche und Danksagungen rahmen die Bilder. Man ehrt die Sponsoren, dankt Gott und seiner Mutter: »Merci Maman.«

Um seiner früh entdeckten Leidenschaft fürs Malen nachzugehen, musste Drissa Konaté gegen seine streng islamische Familie rebellieren. Der galt das Zeichnen von Gesichtern als Gotteslästerung, höchstens Fische waren erlaubt. Als Koranschüler suchte er lieber nach Kinoplakaten in der Stadt, schlich sich in Western und Bruce-Lee-Filme, zeichnete seine Leinwandhelden. 1997 malte er sein erstes großes Wandbild, ein Porträt eines Rapstars. Seine Werke verursachten sogar Verkehrsunfälle – warum dann nicht gleich Busse bemalen? Die sind, wie er sagt, »nicht nur ein Transportmittel, sondern eine große Galerie des täglichen Lebens«.

Ein ähnliches Kunstverständnis hat der Fotograf Seydou Camara, der 2015 das Fotokollektiv »Yamarou« gründete. Auch er will die Fotografie raus auf die Straße bringen, an Mauern und Hauswände. Sie soll für alle sein, die Alten und Kranken, »ja selbst die Verrückten sollen unsere Bilder sehen«. Fotografie als Mittel der Emanzipation. Die Yamaristen haben ein Programm für Straßenkinder, sehen sich als Afro-Optimisten. Ganz ähnlich wie der »Kamoinge Workshop«, ein Kollektiv Schwarzer Fotografen, das sich 1963 in New York gründete. Es verstand sich als Teil einer globalen panafrikanischen Bewegung, ihre Fotografie sollte das Selbstbewusstsein der Schwarzen heben. Auch Seydou Camara, der aus einer Juristenfamilie stammt, musste seine Eltern austricksen. Seine erste große Ausstellung hatte er mit Fotos von Albinos. Als die Dschihadisten die Oasenstadt Timbuktu überfielen und die berühmte dortige Sammlung ­historischer ­Handschriften nach Bamako gerettet wurde, fotografierte Camara sie. Die Aufnahmen waren auf der Documenta 15 zu sehen.

Bamako gilt als afrikanische Hauptstadt der Fotografie, hat eine reiche Tradition klassischer Schwarz-weiß-Porträts wie von Seydou Keïta und Malick Sidibé. Aber es waren zwei Franzosen, die 1994 die Fotobiennale »Rencontres de Bamako« ins Leben riefen. Der Besuch von Kunstausstellungen gehöre nicht zur traditionellen malischen Kultur, meint Seydou Camara. Fotografen seien Dienstleister, etwa bei Hochzeiten, und über Kunst zu sprechen gelte eher als »verrückt«. Die Yamaristen wollen auch das ändern. »Yamarou« bedeutet »Schöpfer«. Der Name bezieht sich auf den Erfindungsreichtum des legendären Mandé Boukary, den Bruder des Königs Sundiata Keïta, der 1235 das Königreich Mali gründete. Die zeitgenössische Fotografie der Yamaristen gehört zur Street Art, wie die Sotramas zur Alltagskunst. Sie oszilliert zwischen High und Low, ganz im Sinne der Pop Art. Andy Warhol hätte seine Freude an ihnen gehabt.

»Merci Maman. Straßenfotografie in Mali«, Museum Fünf Kontinente in München, bis 16. November 2025

museum-fuenf-kontinente.de

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