Bis die Platte wackelt
Von Michael MerzDer Festivalsommer ist in vollem Gange, und ganz Berlin ist zugekleistert mit Werbung für das konzerngesponserte Mega-Supidupi-Event Lollapalooza im äußersten Westen der Stadt. In einer Woche soll es das Partyvolk anlocken. Zieht das nicht auch Publikum vom Orwohaus-Festival ab? Schließlich gibt es mit dem 11. und 12. Juli eine nicht unerhebliche Terminüberschneidung. Lollapapperlapapp! Wer das fragt, bekommt von den Machern dieses nicht mal so kleinen, aber feinen Stelldicheins im östlichen Randbezirk nur ein müdes Lächeln. »Justin Timberlake ist wirklich nicht das, was die Leute bei uns erleben wollen«, sagt Moritz Krumm vom Orwo-Vereinsvorstand. Die, die sich in Marzahn die Gehörgänge durchblasen lassen, sind schon von ’nem anderen Schlag.
Hier in der Frank-Zappa-Straße – mit Tram oder S-Bahn ist da schnell hin- und wegzukommen –, vor und in der »lautesten Platte Berlins«, wird das alljährliche Hochamt der Lokalmatadoren in der Hauptstadt zelebriert. Nicht im Olympiapark, wo sich die Influencer gegenseitig mit Glitzer bestäuben. Gefunkel und Konfetti wird es aber auch geben, hier kommt keiner zu kurz: Headliner am Sonnabend sind Mandelkokainschnaps. Frontfrau Wenkes und ihrer Mannen Leben ist nunmal die Show, mit allem was dazu gehört – Poppunk mit Performance und Pailletten. Und es darf gern ein wenig rumgeschubst werden. Damit haben die Vier bereits eine ansehnliche Anhängerschar um sich versammelt, und zuletzt gar die diesjährige Ausgabe von Rock am Ring aufgepäppelt. Dem Durchstart noch etwas Boost verleiht gerade das Debütalbum »Wir lieben euch am besten«. Dieser subtilen Zugneigungsbekundung kann sich das Orwo-Publikum dann wohl nicht entziehen, ist es doch ein Homecoming par excellence. Denn Mandelkokainschnaps haben in der Marzahner Platte ihre ersten Bühnenbretter gebohrt und bringen hier nach wie vor während ihrer Proben die Wände zum scheppern. Na denn, Prost!
Und die Familie ist noch um einiges größer. So viele Bands wie noch nie, die im Lineup des Festivals auftauchen, sind auch im Orwohaus zum Proben daheim. »Zu 86,67 Prozent«, hat Anne Wolf aus dem Vorstand des Orwo-Vereins errechnet. »Damit haben wir uns das Prädikat ›aus hauseigenem Anbau‹ redlich verdient.« Fast alle inhäusig sozialisiert, das gab es noch nie. Zweifellos, da kommt in 20 Jahren des offiziellen Bestehens schon was zusammen an kreativer Masse und vor allem Klasse: 180 Bands hatten sich für einen Auftritt beworben, doch es musste ausgesiebt werden. Wer nicht spielen kann, der steht immerhin auf der Gästeliste. Anne selbst wird auch auftreten, mit der Band Tante Anne haut sie während dem Livekaraoke in die Basssaiten. Die Anmeldung für die, die hemmungslos dazu schmettern wollen, ist bis zum Festivalfreitag möglich. Nicht die einzige musikalische Kuriosität: Laisor werden einen atemberaubenden Marathon hinlegen, ihr Medley von 60 Songs in 60 Minuten aufführen. Da bleibt kein Auge trocken.
Draußen und zu späterer Stunde drinnen gibt es ein proppevolles, handverlesenes Programm, die Genres sind breit: Von Metal über Pop bis Rockabilly. Oder den fetten Stonerrock von Android Empire, die den Freitagabend weit nach Mitternacht beschließen. Und damit es auch weiterhin genügend Ausstoß auf der musikalischen Geburtsstation gibt, ist da das Jugendprogramm »Me Pro«, das den Nachwuchs fördert, mit Mentoren unterstützt und künstlerisch-kreativ unter die Arme greifend den Weg Richtung Bühne weist.
»Uns ist Wohlfühlatmosphäre wichtig, hier gucken alle aufeinander«, schwärmt Anne. Für die, die beim Festival mit anpacken, hieße das, enger Zeitplan – »aber bloß keinen Stress«. Die Eintrittspreise, egal ob für einen Tag oder beide, sind moderat – es sei denn einer leistet sich das Full-Festival-Ticket und übernimmt die Gesamtkosten von 20.730 Euro und zehn Cent. Dafür gibt’s dann auch ein Freigetränk – Werbefläche ist für die zahlungskräftigere Klientel trotzdem nicht vorgesehen, da ist das Orwo rigoros.
Noch müssen ein bisschen Rasen gemäht, Kunst und Deko liebevoll übers Gelände verstreut, nicht zuletzt Stände und Bühnen aufgebaut wie ausgestattet werden. Dann steht der 18. Ausgabe dieser Livesause nichts mehr im Weg. Schon jetzt ist klar, worauf es hinausläuft: Zwei Tage und vor allem Nächte lang Musik aller Couleur – bis schließlich dieses wohlige Grundrauschen im Ohr dem letzten Musikact folgt.
Orwohaus-Festival, 11./12.7.2025, Frank-Zappa-Straße 19, 12681 Berlin
www.orwohaus-festival.de
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