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Aus: Ausgabe vom 03.07.2025, Seite 8 / Ausland
Pride-Demonstration in Budapest

»Auch die Macht dieses Staates ist begrenzt«

Delegation queerer Aktivisten aus der BRD unterstützt große Demonstration in Budapest. Ein Gespräch mit Toni X.
Interview: Sofia Willer
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Tausende Menschen haben sich am Sonnabend an der »Pride for Freedom«-Demonstration in Budapest beteiligt

Bei »Pride Rebellion« handelt es sich um eine junge, antikapitalistische LGBTQI+- Organisation aus Deutschland. Warum sind Sie am zurückliegenden Wochenende zur verbotenen Pride-Demonstration in Budapest gefahren?

Neben dem Verbot durch die faschistische ungarische Regierung war die Reaktion der Veranstalter:innen darauf Anlass für uns, hinzufahren. Sie wollten die diesjährige Pride zur größten jemals machen. Diesen Aufruf wollten wir unterstützen und darüber hinaus durch Treffen, gegenseitigen Austausch und Berichterstattung die Verbindung zwischen LGBTQI+ und Antifaschist:innen in Deutschland und Ungarn stärken.

Wir sehen das Verbot (durch die Polizei in Budapest, jW) in einem größeren Kontext: Die Entrechtung von Menschen der LGBTQI+-Community ist ein internationales Phänomen, bei dem nicht selten die Entscheidung eines Staates, wie der imperialistischen USA, zu einer Kettenreaktion führt. Leider erfahren queere Menschen nicht in gleichem Maß internationale Solidarität, wenn in einem Land unsere Geschwister angegriffen werden. Unsere Delegation war ein Versuch, das aufzubrechen und internationale Solidarität in die Praxis umzusetzen. Dabei ist es uns wichtig zu zeigen, dass LGBTQI+ eine gesellschaftliche Kraft im Kampf gegen den Faschismus sind.

Maja T. sitzt seit einem Jahr in Budapest in Gefangenschaft wegen mutmaßlicher Beteiligung an Angriffen auf Neonazis am Rande des »Tags der Ehre«. T. befindet sich sogar im Hungerstreik. Wie wird das in der antifaschistischen und Queerbewegung in Ungarn diskutiert?

Für uns war Majas Gefangenschaft während unseres Aufenthalts in Budapest allgegenwärtig. Wir haben bei jeder Möglichkeit mit Passant:innen auf der Straße, Aktivist:innen, jungen LGBTQI+ und Journalist:innen über Maja gesprochen. Vielen konnten wir den Schock über die Situation im Gefängnis ansehen. Leider wissen in Ungarn nur sehr wenige Menschen überhaupt, dass Maja hier inhaftiert ist. In der kleinen, aber entschlossenen antifaschistischen Bewegung zeigt man sich solidarisch. Auf der Pride spiegelte sich das in Parolen und Transparenten wider, am eindrücklichsten aber durch einen riesigen rosafarbenen Winkel, der entrollt wurde, darauf die Forderung nach Majas Freiheit.

Was haben Sie aus den Gesprächen über die Situation queerer Menschen in Ungarn erfahren?

In Ungarn bietet Budapest noch die besten Lebensbedingungen für LGBTQI+. Dennoch schilderten viele die Einschränkung und Gewalt, die sie erfahren. Es ist beinahe unmöglich geworden, Hormonersatztherapien weiterzuführen, ohne auf illegale Wege oder das Ausland zurückgreifen zu müssen. Viele LGBTQI+, insbesondere Transpersonen, sagten uns, dass sie Ungarn verlassen wollen.

Überwiegt diese Haltung, oder formiert sich auch eine politische Gegenkraft?

Es regt sich auch Widerstand. Als wir am Abend vor der Pride eine größere Veranstaltung besucht haben, war die Stimmung eindeutig. Egal, wie besorgt oder eingeschüchtert viele während unserer Gespräche über die Situation waren, für fast alle stand fest, dass ihre Beteiligung an der Pride nicht zur Debatte steht.

Letztlich verlief die Demonstration relativ ruhig. Wie hat sich die Staatsgewalt verhalten?

Die meisten werden die Aufnahmen gesehen haben: Zehntausende, die die Straßen fluteten. Die schiere Menge von mindestens 200.000 Menschen hat dazu geführt, dass der ungarische Staat kaum die Möglichkeit hatte, die Pride zu verhindern. Das kollektive Hinwegsetzen über das Verbot hat gezeigt, dass auch die Macht dieses Staates begrenzt ist. Selbstverständlich hätte er mit enormer Gewalt dafür sorgen können, dass der Demozug aufgehalten und zerstreut wird. Hier hat die große mediale und internationale Aufmerksamkeit ihren Teil beigetragen, dass zusätzlicher Druck auf die Regierung ausgeübt wurde. Auch das werten wir als Erfolg.

Toni X. spricht für den Zusammenschluss »Pride Rebellion«, der sich als antikapitalistische LGBTQI+-Organisation versteht

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