Fortsetzung im Jahrhundertfall
Von Knut Mellenthin
In Argentinien soll demnächst ein Prozess in Abwesenheit gegen sieben Iraner und drei mit der libanesischen Hisbollah verbundene Personen stattfinden. Das kündigte ein Bundesrichter namens Daniel Rafecas am Donnerstag voriger Woche an. Ihnen wird Beteiligung am schwersten Sprengstoffanschlag der argentinischen Geschichte vorgeworfen. Dabei waren am 18. Juli 1994 in Buenos Aires der mutmaßliche Attentäter und 85 Menschen getötet worden, die sich im Gebäude der Versicherungsgesellschaft AMIA aufhielten, das auch als Zentrum für vielfache Aktivitäten der jüdischen Community des Landes, der größten Südamerikas, diente. 300 weitere Menschen wurden verletzt.
Prozesse in besonders schweren Fällen wie Genozid, Folter und Terrorismus dürfen in Argentinien erst aufgrund einer Gesetzesänderung im Februar in Abwesenheit von flüchtigen Angeklagten stattfinden. Die Änderung geht maßgeblich auf Javier Milei zurück, der seit Dezember 2023 als Präsident amtiert. Er bezeichnet sich als »Libertärer«, was zwar nicht dasselbe wie wirtschaftsliberal bedeutet, aber sich davon auch nicht total unterscheidet. Milei ist einer der engsten internationalen Verbündeten des israelischen Regierungschefs Benjamin Netanjahu und unterstützt die Ukraine gegen Russland.
Im Oktober 2006 hatte der damalige argentinische Generalstaatsanwalt Alberto Nisman die Hisbollah angeklagt, den AMIA-Anschlag mit Unterstützung Irans durchgeführt zu haben. Zwei der zwölf damals Angeklagten, darunter Akbar Haschemi Rafsandschani, Präsident in den Jahren 1989 bis 1997, sind inzwischen verstorben. Nisman wurde im Januar 2015 tot, mutmaßlich ermordet, in seiner Wohnung aufgefunden, wenige Tage, nachdem er einen langen Ermittlungsbericht abgeliefert hatte.
Zuvor hatte Nisman 2013 auch Anklage gegen die damalige Präsidentin Cristina Fernández erhoben. Er warf ihr vor, eine Vereinbarung mit Teheran, die im Zusammenhang mit dem AMIA-Attentat Vernehmungen iranischer Bürger im eigenen Land durch argentinische Staatsanwälte erlaubte, laufe auf Behinderung der Ermittlungen und einen »Straflosigkeitspakt« hinaus. Ein Freispruch von dieser Anklage im Oktober 2021 wurde vom Obersten Gericht Argentiniens im Dezember 2024 aufgehoben. Eine Neuverhandlung gegen die Expräsidentin steht damit an.
Zu den zehn Personen, die demnächst in Abwesenheit angeklagt werden sollen, gehört der gegenwärtige Oberbefehlshaber der iranischen »Revolutionsgarden«, Generalmajor Ahmad Vahidi, der im Kabinett von Präsident Ebrahim Raisi (August 2021 bis Mai 2024) als Innenminister fungierte. 1994 war Vahidi angeblich Kommandeur der Kuds-Truppe, die für Auslandseinsätze der »Revolutionsgarden« zuständig ist. Die Anklage wirft ihm vor, »Drahtzieher« des Anschlags gewesen zu sein.
Ein plausibles und eindeutiges Tatmotiv existiert nicht. Die Anklagen behaupteten zunächst, Iran habe sich dafür rächen wollen, dass Argentinien unter Druck der USA die Lieferung von Brennstäben für den Versuchsreaktor in Teheran – ein Geschenk Washingtons an den Schah, dessen Bau die deutsche Kraftwerk-Union 1975 begonnen hatte – nicht fortsetzen wollte. Aber das war nichts Besonderes, denn nach der »Islamischen Revolution« 1979 verabschiedeten sich fast alle internationalen Partner aus Irans zivilem Atomprogramm.
Schwach war auch die Beweislage für die Erhebung der ersten Anklagen. Die Haftbefehle stützten sich zunächst fast ausschließlich auf die fragwürdigen und widersprüchlichen Aussagen eines iranischen Informanten des Bundesnachrichtendienstes, Abdolghasem Mesbaschi. Dieser behauptete, der Anschlag sei am 14. August 1993 in einer Sitzung der gesamten Führungsspitze der Islamischen Republik beschlossen worden. Das habe er von einem Geheimdienstkollegen gehört, der aber schon tot war, als Mesbaschi mit seinen Erzählungen begann. Der V-Mann widerrief später viele seiner Aussagen, einschließlich des Vorwurfs, der frühere argentinische Präsident Carlos Menem sei in die Vertuschung, wenn nicht gar Vorbereitung des AMIA-Anschlags verstrickt gewesen.
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