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Aus: Ausgabe vom 02.07.2025, Seite 2 / Ausland
Mercosur-Abkommen

»Es gibt dort viel prekäre Arbeit«

Kritiker warnen vor negativen Folgen des geplanten EU-Handelsabkommens mit den Mercosur-Staaten für Südamerika. Ein Gespräch mit Bettina Müller
Interview: Gitta Düperthal
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Trecker ohne Ende: Baskische Bauern demonstrieren gegen das EU-Handelsabkommen mit den Mercosur-Ländern (10.2.2025)

Die EU-Kommission drückt aufs Tempo, um das Handelsabkommen mit den Mercosur-Ländern Brasilien, Argentinien, Uruguay, Bolivien und Paraguay abzuschließen. Knapp 400 Organisationen aus Europa und Lateinamerika bezeichnen den Deal aber als »toxisch«. Wie begründen Sie das?

Dieses Handelsabkommen würde die Ungleichheit im Handel zwischen den Ländern der EU und denen des Mercosur – spanisch für »Gemeinsamer Markt des Südens« – weiter vertiefen. Die Europäische Union importiert von dort über 80 Prozent landwirtschaftliche Produkte und Rohstoffe. Die Exporte sind fast ausschließlich verarbeitete Industrieprodukte. Dieser ungerechte Handel hat seinen Ursprung in der Kolonialzeit. In den Mercosur-Ländern wirkt sich das auf die Wirtschaftsstrukturen aus: Es gibt dort viel prekäre Arbeit und wenig besser bezahlte Arbeitsplätze in der Industrie.

Auch für die Gesundheit und die Umwelt hat das Abkommen gravierende Auswirkungen. Das Monokulturmodell wird befördert, Ressourcen werden weiter aufgebraucht und Pestizide bei Agrargütern vermehrt eingesetzt. Der Deal würde deren Export weiter anheizen, wovon Großkonzerne profitieren. Zugleich würden Importkontrollen von Landwirtschaftsprodukten an den Grenzen der EU abgebaut. Die Folge ist, dass Lebensmittel mit Rückständen von in der EU gar nicht zugelassenen Pestiziden auf unserem Teller landen.

Auf welchem Stand sind die Verhandlungen?

Der Text des Abkommens soll in diesen Tagen an die Regierungen der EU übermittelt werden. Danach kommt es voraussichtlich im September zur Abstimmung im Rat der Europäischen Union; wenn der Rat zustimmt, dann folgt Anfang 2026 das finale Votum im EU-Parlament. Erst im Dezember 2024 wurden die Verhandlungen des umstrittenen Handelsabkommens nach 25 Jahren für beendet erklärt. Länder wie Frankreich, Polen und Italien sind allerdings skeptisch. Frankreich will etwa seine Landwirte bei Rindfleisch oder Geflügel vor billigerer Konkurrenz aus Südamerika schützen. Deutschland dagegen drängt seit Jahren auf den Abschluss. So steht es im Koalitionsvertrag. Bundeskanzler Friedrich Merz von der CDU ist Befürworter, die SPD will das Abkommen auch – genauso wie die Grünen, wobei es dort Kritik an der Basis gibt.

Wer könnte am meisten unter dem Abkommen leiden?

Die Beschäftigten in den Industriebetrieben im Mercosur. Durch den Abbau von Zöllen würden europäische Industrieprodukte wie Textilien, Autoteile oder pharmazeutische Produkte günstiger, wodurch Beschäftigte zum Beispiel in Brasilien ihre heute noch relativ gut bezahlte Arbeit verlieren würden. Ausgebaut würde die Agrarwirtschaft, wo gegenwärtig schon großflächig abgeholzt und Regenwald zerstört wird. Die indigene Landbevölkerung wird weiterhin und gar verstärkt vertrieben, Kleinbäuerinnen und -bauern verlieren ihre Existenz. Die Gesundheit der Menschen dort würde noch mehr durch die unter anderem per Flugzeug ausgebrachten Pestizide leiden. Schon jetzt gibt es wegen der Giftstoffe eine hohe Rate von Krebserkrankungen und Fehlgeburten in ländlichen Regionen.

Deutsche Regierungspolitiker drängen auf das Abkommen, weil man unbedingt neue Handelspartner benötige. Russland falle wegen Sanktionen weg, die USA fielen unter Präsident Donald Trump wegen Unzuverlässigkeit aus.

Schon jetzt findet doch Handel statt, es geht nur darum, unter welchen Bedingungen. Die EU-Kommission rechtfertigt das geplante Abkommen damit, dass es europäischen Unternehmen jährliche Einsparungen von rund vier Milliarden Euro bringen könnte – hauptsächlich durch den Wegfall von Zöllen. Große Konzerne profitieren, während soziale und Umweltfragen ins Hintertreffen geraten. Bis das Abkommen in Kraft treten würde, ist Trump vermutlich nicht mehr US-Präsident. Insofern eignet es sich nicht, den Verlust des US-Marktes kurzfristig auszugleichen.

Wie sieht Ihre Strategie aus?

Wir haben vor zwei Wochen eine EU-weite Kampagne gestartet und werden in den kommenden Monaten Aktionen durchführen. Dazu haben wir viele Möglichkeiten zum Mitmachen entwickelt. Wir sind zuversichtlich, das Abkommen zu stoppen und eine Wende in der Handelspolitik einzuläuten.

Bettina Müller ist Referentin für Handels- und Investitionspolitik bei Power-Shift e. V., Verein für eine ökologisch-solidarische Energie- u. Weltwirtschaft

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