Erdoğans nächster Schlag
Von Nick Brauns
Nun ist İzmir an der Reihe. In den frühen Morgenstunden des Dienstags wurden in der Ägäismetropole zahlreiche frühere und derzeitige Mitarbeiter der Stadtverwaltung unter Korruptionsvorwürfen festgenommen. Die drittgrößte Stadt der Türkei gilt als Hochburg der kemalistischen Oppositionspartei CHP. Unter den Festgenommenen befinden sich der frühere Oberbürgermeister Tunç Soyer sowie der CHP-Provinzvorsitzende Şenol Aslanoğlu. Laut Staatsanwaltschaft ergingen Haftbefehle gegen 157 Verdächtige, von denen 109 vollstreckt wurden.
Die Vorwürfe seien seit langem bekannt, und es habe keine Fluchtgefahr bestanden, kritisierte der stellvertretende CHP-Vorsitzende Murat Bakan auf X die »Festnahmen im Morgengrauen« als »politisches Manöver«. Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan habe selbst vor wenigen Tagen mit den Worten »Nicht nur Istanbul, auch andere Provinzen sind eine Katastrophe« den Startschuss für die neuerliche Operation gegen die Opposition gegeben. Die Razzien in İzmir erfolgten exakt am 100. Tag der Verhaftung des Istanbuler Oberbürgermeisters und CHP-Präsidentschaftskandidaten Ekrem İmamoğlu, für dessen Freilassung die CHP am Abend zu einer Großkundgebung aufgerufen hatte.
Derweil droht der stärksten Oppositionspartei die Kontrollübernahme durch den Staat. So begann zu Wochenbeginn in Ankara ein Prozess, bei dem über die Zulässigkeit des 38. CHP-Parteitages im Jahr 2023 geurteilt werden soll. Damals war der bei Wahlen chronisch erfolglose Langzeitvorsitzende Kemal Kılıçdaroğlu vom stärker sozialdemokratisch orientierten heutigen Parteichef Özgür Özel, einem Verbündeten İmamoğlus, abgelöst worden. Damit unzufriedene Parteimitglieder hatten daraufhin den Vorwurf des Stimmenkaufs erhoben und Klage eingereicht.
Er sei bereit, die Partei erneut zu führen, damit sie nicht von einem Treuhänder übernommen wird, hatte der 76jährige farblose Bürokrat Kılıçdaroğlu vor dem Prozess angekündigt. Das Verfahren wurde am Montag auf den 8. September vertagt. So bleiben der CHP, in der ein heftiger Streit zwischen den Unterstützern Özels und Kılıçdaroğlus ausgebrochen ist, noch mehr als zwei Monate, um sich weiter selbst zu zerfleischen – ganz nach dem Plan Erdoğans als lachendem Dritten.
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