Auf verlorenem Posten
Von Volker Hermsdorf
Seit der Ankunft kenianischer Truppen Ende Juni vergangenen Jahres hat sich die Situation in Haiti nicht verbessert, sondern weiter zugespitzt. Gewalt beherrscht den Alltag, Korruption, wirtschaftliche Not und politische Instabilität verschärfen sich. Die von der UNO und den USA finanzierte, von den Soldaten aus Ostafrika geführte und von US-Söldnern unterstützte Multinationale Sicherheitsmission (MSS) ist gescheitert. Nach UN-Angaben wurden von Januar bis Mai dieses Jahres fast 2.700 Menschen getötet, mehr als eine Million sind im Land auf der Flucht. Trotz der Eskalation hat das US-Heimatschutzministerium am Freitag (Ortszeit) den derzeitigen Schutzstatus für eine halbe Million Haitianer zum 2. September aufgehoben und droht ihnen mit Abschiebung.
US-Heimatschutzministerin Kristi Noem erklärte, die Entscheidung beruhe auf »einer umfassenden Prüfung« der Einwanderungsbehörde (USCIS) und des Außenministeriums. Danach habe sich die Lage in dem Karibikstaat so verbessert, dass eine sichere Rückkehr möglich sei. Zum gleichen Zeitpunkt warnte das State Departement US-Bürger allerdings vor Reisen nach Haiti – wegen »Entführungen, Kriminalität, Unruhen und begrenzter Gesundheitsversorgung«. Kriminelle Gangs kontrollierten Teile des Landes und den Großteil der Hauptstadt Port-au-Prince, hieß es. Trotzdem endet der Schutzstatus, der Haitianern erstmals nach dem verheerenden Erdbeben von 2010 gewährt worden war.
Noch im März hatte der UN-Experte für die Menschenrechtslage in Haiti, William O’Neill, gefordert, Geflüchtete nicht dorthin auszuweisen, da die Gewalt durch kriminelle Banden zunehme. »Sie töten, vergewaltigen, terrorisieren, zünden Häuser, Kinderheime, Schulen, Krankenhäuser, religiöse Orte an, rekrutieren Kinder und infiltrieren alle Ebenen der Gesellschaft«, behauptete er. Daran anknüpfend, warnte die in New York erscheinende Haitian Times am Freitag: »Sollte Trumps Vorgabe umgesetzt werden, könnten auch Kinder, die in den USA von haitianischen Eltern ohne Papiere geboren wurden, ihr verfassungsmäßiges Recht auf Staatsbürgerschaft verlieren, das seit über 125 Jahren durch den 14. Zusatzartikel der Verfassung garantiert ist.«
Unterdessen hat Kenia den UN-Sicherheitsrat – angesichts der am 2. Oktober auslaufenden Genehmigung für die Eingreiftruppe – zur Einrichtung eines UN-Unterstützungsbüros in Haiti aufgefordert, das logistische und operative Unterstützung für die MSS leisten soll. Kenia stelle derzeit 991 Soldaten und damit 39,6 Pro-zent der ursprünglich geplanten 2.500 Kräfte für die Mission, »die unzureichend ausgerüstet sind und nicht über die Fähigkeiten verfügen, um ihre Aufgaben zu erfüllen«, so die kenianische Onlinezeitung The Eastleigh Voice am Freitag. Ohne zusätzliche Unterstützung ergebe sich »eine ernste Lage, die das Land möglicherweise dazu zwingt, sein Engagement in Haiti zu überdenken«.
Das Portal verweist zudem auf Spannungen mit den USA. So habe US-Außenminister Marco Rubio nach einem Staatsbesuch von Präsident William Ruto in China seine für April geplante Reise nach Nairobi abgesagt. Dort ähnelt die Lage mittlerweile der in Haiti. Bei den seit Jahren schwersten Antiregierungsprotesten gab es am Mittwoch mindestens 15 Tote und mehr als 300 Verletzte. In Kombination mit der sich verschlechternden Lage in Haiti deuteten mehrere Faktoren darauf hin, dass die dortige kenianische Mission sich dem Ende zuneige, so eine kürzlich veröffentlichte Analyse der Global Initiative Against Transnational Organized Crime (GI – TOC).
In Haiti selbst nimmt die Skepsis gegenüber der MSS indes weiter zu. Die Unsicherheit lasse sich »nicht durch ausländische Söldner bekämpfen, die nur die öffentliche Meinung täuschen sollen«, kommentierte die linke Wochenzeitung Haïti Liberté. Eine Hauptursache der Gewalt sei die tiefverwurzelte soziale Unsicherheit. Während ausländische Regierungen und Medien die Aktionen der Gangs als »bloßen Banditismus« darstellten, handele es sich »in Wirklichkeit um eine echte Revolte der Ausgegrenzten, die auf die unmenschlichen sozialen Lebensbedingungen in den Armenvierteln aufmerksam machen wollen«.
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