Stinkefinger für Orbán
Von Nick Brauns
Hunderttausende Menschen sind am Sonnabend in der ungarischen Hauptstadt Budapest für die Rechte von Homosexuellen, queeren Menschen und anderen sexuellen Minderheiten auf die Straße gegangen – trotz staatlicher Drohungen mit Strafen von bis zu 500 Euro für Teilnehmer und mit Haft für die Organisatoren. Der 30. bislang größten ungarischen Pride-Parade hatten sich auch zahlreiche Gegner des autoritär regierenden rechtskonservativen Ministerpräsidenten Viktor Orbán angeschlossen, die selbst keiner diskriminierten Gruppe angehören.
Angesichts schwindender Popularitätswerte setzt Orbán auf eine Verschärfung seines homophoben Kulturkampfes unter dem Vorwand des »Kinderschutzes«, um traditionalistische und konservative Bevölkerungsgruppen hinter sich zu scharen. Noch im Februar hatte der Ministerpräsident versprochen, es werde in diesem Jahr keine Pride-Parade mehr geben. Mitte März hatte das Parlament ein Gesetz aus dem Jahr 2021, das Darstellungen von Homosexualität vor Minderjährigen verbietet, so verschärft, so dass auch Versammlungen unter das Verbot fallen können. Entsprechend verbot die Polizei die Pride-Parade; doch der liberale Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony suchte die Machtprobe mit der Regierung und erklärte den Umzug zur offiziellen Feier der Stadt. »Euch sieht man nicht an, dass man euch verboten hätte«, erklärte Karácsony, der zusammen mit anderen Oppositionspolitikern an der Spitze des Umzugs mitgelaufen war, vor den laut Veranstaltern bis zu 200.000 Teilnehmern. »Ihr habt der aufgeblasenen, hasserfüllten Regierungsmacht den Stinkefinger gezeigt.«
Auch rund 70 Abgeordnete aus dem EU-Parlament und nationalen Parlamenten der EU-Staaten insbesondere von linken, »grünen« und liberalen Parteien – darunter der Partei Die Linke – sowie eine Reihe von Bürgermeistern ausländischer Städte und die EU-Kommissarin für Gleichberechtigung, Hadja Lahbib, beteiligten sich an dem Umzug. Neben Regenbogenfahnen waren dort insbesondere EU-Fahnen zu sehen. Regierungssprecher Zoltán Kovács sprach daher am Sonnabend abend von einer Demonstration »auf Brüssels Befehl«. Mit der Pride-Parade habe die »Opposition gegen Gesetze aufgewiegelt, die ihr nicht gefallen, Ungarns Souveränität verhöhnt und – mit ausländischer Unterstützung – versucht, uns die woke Kultur aufzuzwingen«, so Kovács.
Die Polizei, die zuvor angedroht hatte, Technologie zur Gesichtserkennung einzusetzen, hielt sich währende des Marsches im Hintergrund. Einige Dutzend Mitglieder der faschistischen Partei »Unsere Heimat« und der »Jugendbewegung 64 Komitate« versuchten den Pride-Marsch auf einer Fahrspur der Szabadság-Brücke zu blockieren. Auf einem Banner der Jungfaschisten hieß es »This is Sparta« – offensichtlich in Unkenntnis, dass unter den hier als rechtes Vorbild dienenden antiken Spartanern homosexuelle Beziehungen unter Soldaten sogar als vorteilhaft für die Kampfmoral der Truppe angesehen wurden.
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