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Radio und Musik als Kraft der Befreiung Kolumne von Mumia Abu-Jamal

Von Mumia Abu-Jamal
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In meiner Zeit als Journalist vor meiner Haft habe ich viele Menschen aus allen Gesellschaftsschichten kennengelernt und hatte immer ein offenes Ohr für Kulturschaffende, Musiker und Aktivisten der schwarzen Befreiungsbewegung. Ich traf Bob Marley, Peter Tosh und Bunny Wailer, große Reggae-Musiker ihrer Zeit. Auch die Pointer Sisters und Steel Pulse, eine Reggae-Band aus England. Aber als ich in der Todeszelle im Staatsgefängnis Greene eine Dissertation von Rickey Vincent (US-Radiomoderator und Unidozent; jW) über The Lumpen, die Band der Black Panther Party, und über James Brown zusammen mit Rickeys Buch über Funk-Musik erhielt, war ich völlig baff. Ich änderte meine Meinung über James Brown und kam zu dem Schluss, dass er einer der einflussreichsten Musiker des 20. Jahrhunderts war. Ohne James Brown gäbe es keinen Afrobeat. Fela Kuti, der als Student aus Afrika in den USA ein James-Brown-Konzert besuchte, war begeistert und wurde danach zum Motor der Afrobeat-Bewegung in Nigeria.

Was Rickey über James Brown schrieb, machte mir klar, dass Brown ein musikalischer Revolutionär war. Welche Macht er hatte, zeigte sich, als Martin Luther King ermordet wurde. In über hundert US-Städten loderten plötzlich Flammen der Angst, Verzweiflung, Wut und Empörung auf. Nur zwei Städte brannten in dieser Nacht nicht. Eine davon war Oakland in Kalifornien, weil junge Panther den Leuten sagten, Aufruhr sei noch keine Revolution und dass Revolutionen organisiert werden müssten. Sie sollten am nächsten Tag zum Panther-Büro kommen, aber nicht auf die Straße gehen, weil sie sonst von der Polizei verletzt oder getötet würden. Der zweite Ort war Boston, Massachusetts, weil die Stadtväter klugerweise ein James-Brown-Konzert angesetzt hatten. Die Leute sagten sich: Unruhen oder James Brown? Und sie entschieden sich für Brown, der auf dem Konzert eine Rede an sie hielt. Es war die Kraft seiner Musik, weshalb die Leute zu seinem Konzert gingen, und so blieb Boston am 4. April 1968 cool.

Kreative Menschen schaffen Inhalte, weil ihre künstlerischen Schöpfungen aus dem Herzen kommen und nicht aus dem Geldbeutel. Sie haben den Wunsch, mit anderen zu teilen, etwas zu schaffen und Menschen in ihren dunkelsten Stunden Freude zu bereiten. Und Musik tut genau das. Es gab in den USA noch nie eine bedeutende Bewegung ohne Musik. Es hätte keine Bürgerrechtsbewegung gegeben ohne Gospellieder, die W. E. B. DuBois »Trauerlieder« nannte und die sich in diesen Bewegungen zu Freiheitsliedern wandelten. Musik ist eine Form von kultureller Macht. James Brown wusste das, und Fela lernte es. Konzerte von Bob Marley oder Peter Tosh waren eine höllisch gute Erfahrung. Man teilte mit anderen einen Vorgeschmack auf ein neues Leben.

Das Radio begann nicht als Mainstreamprojekt, sondern als Randerscheinung. Früher war das AM-Radio der Ort, an dem etwas passierte. Dort wurden die Nachrichten gesendet, dort begann sogar das Black Radio, so etwas wie der Sender What. FM-Radio kam als eine Art experimentelles Radio, in dem man fast alles hören konnte. Als ich aufwuchs, hörte ich Malcolm X auf FM-Sendern. Die DJs in diesen kleinen Sendern bekamen Kopien seiner Reden und spielten sie. Malcolm X predigte über FM-Sender zu den Massen und erreichte so ganze Städte mit seinen klugen Ansichten. Heute geht das nicht mehr, weil der Staat es nicht mehr zulässt.

Aber früher hörte man die Leute im Radio, verspürte den Drang nach Freiheit im Herzschlag der Gemeinschaften und Bewegungen. Deshalb wurde die Musik genau wie das Radio kommerzialisiert, entschärft, verwässert und trivialisiert, durfte nicht komplex bleiben. Heute hämmern sie einem nur den Beat in den Kopf, aber die Botschaft verkümmert. Es geht nur noch darum, Geld zu machen. Radio kann in seiner besten Form befreiend sein, genauso wie Musik. Die Leute fühlen sich freier als zuvor. Das macht Musik so wertvoll und machte das Radio früher zu einer machtvollen Quelle befreiender Energie.

Übersetzung: Jürgen Heiser

Der im Original auf Prison Radio veröffentlichte Beitrag wurde für die Veröffentlichung hier leicht gekürzt und bearbeitet.

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