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Aus: Ausgabe vom 28.06.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Chinesische Panzer in Berlin

Von Arnold Schölzel
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Der niederländische Admiral Rob Bauer war von 2021 bis Januar 2025 Vorsitzender des NATO-Militärausschusses. Das Gremium der militärischen Oberbefehlshaber aller 32 NATO-Staaten berät die politische Führung der Allianz. Am Dienstag, dem ersten Tag des NATO-Gipfels in Den Haag, erschien das Buch »Wenn du Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor. Eine Blaupause zur Abschreckung«, das er zusammen mit der Kommunikationsberaterin Eleonora Russell verfasst hat. Am selben Tag interviewte ihn das Handelsblatt und setzte über den Text: »Ich will nicht Russisch lernen müssen«.

Der Satz zeugt von einem größeren Sprung in der Schüssel, der dem »Lieber tot als rot« aus dem Kalten Krieg mit der Sowjetunion gleichkommt. Bauer meint das auch so. Sein Buch und das Interview dienen vor allem dazu, die auf dem NATO-Gipfel beschlossene Erhöhung der Militärausgaben auf fünf Prozent vom Bruttoinlandsprodukt (BIP) zu rechtfertigen. Eine seiner Antworten auf die Handelsblatt-Frage, ob dann die Sozialausgaben gekürzt werden müssen, lautet: »Ein Politiker in den Niederlanden sagte neulich: ›Wir können mit den fünf Prozent leben, aber es darf nichts beeinträchtigen, was uns wichtig ist.‹ Damit meinte er Dinge wie Gesundheit und Bildung. Dazu kann ich nur sagen, dass es ohne Freiheit gar nichts anderes gibt. Die Freiheit zu entscheiden, wie wir regiert werden, ist sehr, sehr wichtig. Und ich will nicht Russisch lernen müssen.« Im übrigen hätten »wir« im damaligen Kalten Krieg bis zu sechs Prozent der Wirtschaftsleistung für Rüstung ausgegeben, das sei also »keine außergewöhnliche Größe«. Und die Ukraine wende gerade 35 Prozent vom BIP für den Krieg auf, »wir« könnten mit den fünf Prozent Krieg verhindern.

Voraussetzung des Bauerschen Fünfprozentrausches ist zum einen die These: Russland ist im Gegensatz etwa zu Israel oder den USA in bezug auf Völkerrecht ein Verbrecherstaat. Zum anderen: Hinter allem steckt China. Der lügende Holländer gewährt insofern einen Blick in die Oberstübchen nicht nur des militärischen Personals der NATO. Motto: Was wir tun, ist immer gut, weil »wir« ja entscheiden, wer und wie regiert. Freie Wahlen für Milliardäre, ist Bauers Maxime. Alles andere ist kriminell.

Daher fragt zwar das Handelsblatt, ob die »regelbasierte Weltordnung« vorbei sei, da Russland, Israel und USA militärische Mittel für ihre jeweiligen Ziele einsetzen, bekommt aber von Bauer den NATO-Bescheid, die sei nicht vorbei, »aber das Völkerrecht steht unter Druck«. Was Israel im Iran mache, sei »aber nicht mit dem Vorgehen Russlands in der Ukraine zu vergleichen. Es ist keine Invasion. Ich würde von Vorwärtsverteidigung sprechen, denn Irans erklärtes Ziel ist es, Israel zu zerstören.« Bauer kennt demnach nicht den Unterschied zwischen vergleichen und gleichsetzen und erst recht nicht die NATO-Ostausdehnung, die – wie auf dem Gipfel in Den Haag bekräftigt – von Anfang an auf die Zerstörung Russlands zielt.

Das wiederum ist für Bauer nicht das Hauptproblem, vielmehr: »Ohne China könnte Russland diesen Krieg nicht fortführen.« Beijing unterstütze »den Kreml auf fast jede Weise«. Und Bauer denkt weiter: »Ich würde nicht ausschließen, dass China auch einen Angriff Russlands auf die NATO unterstützen würde. Vielleicht nicht offen, chinesische Panzer würden nicht durch Berlin rollen.«

So hat die NATO auch tröstliche Auskünfte. Im übrigen hat sie längst selbst Krieg geplant. Bauer: Das 3,5-Prozent-Ziel plus 1,5 Prozent für militärische Infrastruktur »basiert auf jahrelanger militärischer Planung. Dieser Prozess startete bereits 2017.«

Ach herrje, erst vor acht Jahren? Bauer, da war doch alles längst zu spät.

Das 3,5-Prozent-Ziel plus 1,5 Prozent für militärische Infrastruktur »basiert auf jahrelanger militärischer Planung. Dieser Prozess startete bereits 2017. Ach herrje, erst vor acht Jahren? Bauer, da war doch alles längst zu spät

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