»Konzentration des Bodens ist Konzentration der Macht«
Interview: Thorben Austen, Quetzaltenango
Sie dokumentieren seit 20 Jahren mit Ihrer Kamera Konflikte um Land und Bodenschätze in Guatemala sowie ganz Mittelamerika. Welcher war der für Sie eindrucksvollste?
Das war sicher der Konflikt um die Nickelmine Fénix im Landkreis El Estor im Departamento Izabal im Norden Guatemalas. Damals habe ich angefangen, die Kämpfe um den Boden zu dokumentieren. 2005 wurde die Lizenz für den Nickelabbau durch die Regierung von Óscar Berger erneuert. Bereits 1965 hatte die International Nickel Company of Canada, kurz Inco, (heute Vale Canada Limited, jW) riesige Landflächen, ganze Berge, rund um den Izabalsee – Guatemalas größten See –, erworben. Inco gründete schließlich das Tochterunternehmen Explotadora y Exploradora Minera de Izabal S. A.
Das geht meist mit langfristigen Genehmigungen einher. Für wie viele Jahre wurde dem Unternehmen die Ausbeutung dort überlassen?
Die Konzession wurde 1965 für 40 Jahre erworben, wegen des Bürgerkrieges (1960–1996, jW) lag der Abbau aber Jahre brach. Mit der Erneuerung der Lizenz für weitere 25 Jahre durch die Skye Resources de Canadá, an der auch viele Anteilseigner der aufgelösten Inco beteiligt waren, und die Gründung der Tochterfirma Compañía Guatemalteca de Níquel verschärfte sich der Konflikt für die Anwohner. 2006 und 2007 gab es erste großangelegte Vertreibungen, Häuser von bekannten Gegnern der Mine wurden in Brand gesteckt. Verantwortlich waren damals rund 1.000 Einsatzkräfte von Polizei und Armee. Das widersprach dem Friedensabkommen, das 1996 den Bürgerkrieg beendet hatte und den Einsatz der Armee im Inland verbot. Das Bergbauunternehmen versuchte, die Einwohner zu spalten und bezahlte Nachbarn für Gewalttaten gegen Gegner des Bergbaus. Es kam auch zu Vergewaltigungen.
Wie hat das Ihre Arbeit geprägt?
2009 gab es den Mord an Adolfo Ich, ein lokaler Repräsentant des Widerstands, der vom Chef des Sicherheitsdiensts des Unternehmens ermordet wurde. Dieser war ein ehemaliger Oberst der Armee. Das zeigt sehr gut die Kontinuität der Machtstrukturen vom Bürgerkrieg zur Nachkriegsphase, der sogenannten Friedenszeit in Guatemala. Ich möchte in meiner Arbeit beides dokumentieren, die Auswirkungen des Bürgerkriegs und die Landkonflikte nach 1996. Wichtig war mir auch der Widerstand gegen die Gold- und Silbermine Marlin in San Marcos, da habe ich nicht so viele Fotos in den Ausstellungen, war aber auch oft vor Ort.
Ein eindrucksvolles Erlebnis aus den vergangenen Jahren war nach dem Ausbruch des Vulkans Fuego am 3. Juni 2018. Da besuchte ich eine Gemeinde, die durch den Ausbruch alles verloren hatte. Das waren Menschen, die im Bürgerkrieg nach Mexiko geflohen waren und nach dem Ende des Krieges Land am Vulkan erhalten hatten. Obwohl sie nochmals alles verloren hatten, machten sie sich gleich wieder daran, ihr Leben neu zu organisieren. Mein Schwerpunkt ist zwar Guatemala – wo ich seit 2006 lebe –, aber ich habe auch Landkonflikte zum Beispiel in Honduras dokumentiert.
Aus den Fotos sind mehrere Ausstellungen entstanden, und Sie haben vergangenes Jahr ein Buch veröffentlicht. Wie waren die Reaktionen in Guatemala?
Die Ausstellungen waren ursprünglich nie mein Plan gewesen. Ich wollte dokumentieren, für ein Buch oder online. Ich sehe mich als Dokumentarfotograf, aber nicht als Künstler. Nun gut … Es gibt interessante Reaktionen, gerade jüngere Guatemalteken kommen und sagen, sie wussten nichts von den Ereignissen, die die Ausstellung dokumentiert. Wir zeigen sie an verschiedenen Orten Guatemalas, vor allem in solchen, die irgendwie zu einer alternativen Infrastruktur zählen, die die Erinnerung wachhalten wollen. Das ist mir wichtig, auch unter dem Aspekt der Bildung. Ich habe viele Jahre als Lehrer gearbeitet.
Die Menschen haben ein gutes, ein soziales Wesen, aber vielfach wissen sie das nicht. Die Erinnerungsarbeit ist in Guatemala schwer – viele Leute haben ihre klare Position, auch geprägt durch den langen Bürgerkrieg. Entweder sie wissen ohnehin Bescheid über die tägliche strukturelle Gewalt, die den Menschen vor allem auf dem Land begegnet, oder sie streiten es kategorisch ab oder wollen es nicht wissen. Ehrlich gesagt hat mich aber die Reaktion auf das Buch überrascht.
Kam es also besonders gut an?
Es fand trotz des relativ hohen Preises große Verbreitung und ich bekam positive Reaktionen. Daher denke ich: Meine Arbeit ist wichtig. Gerade an den Landkonflikten lässt sich exemplarisch zeigen, dass das Friedensabkommen nicht genügend umgesetzt wurde. Das ist auch außerhalb Guatemalas wichtig … Wie kann ein Land nach 36 Jahren Bürgerkrieg wieder zum Frieden finden oder wie eben nicht. Das Beispiel Guatemala zeigt sehr gut: Nur durch die Unterschrift unter einen Vertrag kommt kein Frieden zustande. Tatsächlich war es so, dass ich am Anfang meiner Arbeit aber eher daran dachte, die Situation für das Ausland zu dokumentieren.
Und wie waren die Reaktionen im Ausland?
Ich bin mit der Ausstellung vor allem in den USA, in Kanada, Europa und manchmal Mexiko unterwegs. In den USA sind viele Menschen überrascht, wenn sie zum Beispiel hören, dass die CIA den Putsch von 1954 gegen Jacobo Árbenz organisiert hat, der die Ursache für den Bürgerkrieg war. Besonders interessant sind die Reaktionen aber in Kanada. Dazu muss man wissen, fast alle Bergbauunternehmen in Guatemala und die Mehrzahl in Mittelamerika sind im kanadischen Besitz, auch wenn sie aus rechtlichen Gründen lokale Tochterfirmen gründen. Gleichzeitig hat Kanada aber den Ruf als liberales Land, als Land des Friedens, das die Menschenrechte respektiert. Dies ist eine riesige Lüge und Heuchelei. Kanada ist ein Bergbauland, sein Reichtum basiert auf dem Bergbau, neben Australien das Land, das am meisten am Bergbau verdient.
Während es in Australien oder Kanada riesige menschenleere Flächen gibt, wo der Bergbau sich also anders darstellt, gibt es das in Guatemala nicht. Guatemala ist klein und dicht besiedelt, selbst in entlegensten Gebieten leben noch Menschen, deren Lebensgrundlage der Bergbau dann zerstört. Dazu kommt, dass die Unternehmen vielleicht im eigenen Land Umweltschutzbestimmungen und Arbeitsrechte achten. Hier arbeiten sie aber mit Abbaumethoden, die in Kanada oder Australien gar nicht erlaubt sind.
Haben sich offizielle Vertreter beispielsweise aus Kanada zu Ihrer Arbeit, zu Ihrer Ausstellung geäußert?
2007 gab es eine Anzeige von Seiten des kanadischen Botschafters Kenneth Cook. Steven Schnoor, Videofilmer und Student, hatte in einer kurzen Youtube-Dokumentation über die Räumung auch Fotos von mir verwendet. Cook behauptete, Betroffene hätten gegen Geld falsche Aussagen in der Dokumentation gemacht und die Fotos wären Archivfotos aus dem Bürgerkrieg. Wir konnten alles beweisen und haben vor Gericht Recht bekommen, daraufhin wurde Cook als Botschafter abgezogen. Interessant ist aber, wie der kanadische Botschafter hier reagierte, um kanadische Unternehmen vor Kritik zu schützen. Soweit die Reaktion von staatlicher Seite. Von kanadischen Menschenrechts- und Umweltschutzgruppen, auch von Amnesty International Kanada, bekomme ich aber viel Unterstützung für die Ausstellungen. Und viele Bürger Kanadas sind entsetzt, wenn sie hören, mit welchen Methoden kanadische Unternehmen vorgehen.

Auf welcher rechtlichen Grundlage läuft der Bergbau in Guatemala?
In den 1990er Jahren haben die Nachbarländer Honduras und El Salvador Bergbaugesetze erlassen, nach denen 98 Prozent der Gewinne an die Unternehmen gehen und nur zwei Prozent im Land bleiben. Guatemala zog dann 1997 nach und machte ein Gesetz, in dem 99 Prozent der Gewinne an die Unternehmen gingen und gerade mal ein Prozent an den Staat. Interessant ist: An diesem Gesetz hatten Anwälte mitgeschrieben, die auch für Bergbauunternehmen tätig waren, unter anderem für das kanadische Bergbauunternehmen Montana Exploradora in San Marcos. Das ist eine der guatemaltekischen Tochterfirmen des kanadischen Unternehmens Coldcorp S. A.
Wie muss man sich das denn vorstellen? Kommen die Unternehmen an Grundstücke tatsächlich durch Gewalt und Vertreibungen – oder kaufen Sie einfach das Land?
Selbstverständlich versuchen sie im Endeffekt Land zu kaufen, aber sie nutzen verschiedene Methoden der Einschüchterung bis hin zu Morden an Aktivisten. Dann kaufen sie zum Beispiel Grundstücke am Rande eines Bergbaugebietes für einen relativ hohen Preis und beginnen mit der Arbeit. Grundstücke, die sich in der Mitte befinden, können dann nicht mehr für die gewohnte landwirtschaftliche Arbeit genutzt werden; ihre Besitzer sind gezwungen, ebenfalls zu verkaufen – weit unter Wert. Gewalt geht auch von staatlicher Seite gegen Gemeinden im Widerstand aus. Im Fall El Estor oder der Gold- und Silbermine Marlin in San Marcos gibt es Bilder von Armeeeinsätzen, das wirkt wie im Krieg. Immer wieder wurde sowohl in San Marcos als auch in El Estor und in anderen Regionen der Ausnahmezustand verhängt, der den Sicherheitskräften deutlich mehr Befugnisse gab.
Mein Eindruck ist, die Bergbauaktivitäten gehen im Land zurück. Täusche ich mich da?
Es gibt Projekte, wie die genannte Mine Marlin in San Marcos, die ihre Arbeit einstellte, weil schlicht und einfach die vorhandenen Bodenschätze ausgeschöpft waren. Viele dieser Minen sind für eine Ausbeutungsdauer von zehn bis zwanzig Jahren angelegt. Zurück blieben immense Umweltschäden, ganze Berge wurden abgebaut und heute sind dort statt der Berge Gruben zu finden. Die Umwelt und die Landwirtschaft wurden auch stark durch den extremen Wasserverbrauch belastet – das wirkt sich bis heute aus.
In welchen Dimensionen wurde Wasser entnommen?
Die besagte Mine verbrauchte pro Stunde 250.000 Liter. Das entspricht dem Wasserverbrauch einer durchschnittlichen Bauernfamilie in Guatemala in 22 Jahren. Für diesen extrem hohen Verbrauch gibt es aber keine gesetzlichen Grundlagen, die ihn einschränken oder einen Ausgleich der Umweltschäden regeln. Dazu kommen die zerstörten Sozialstrukturen der Gemeinden. Im Grunde alle Arbeitskräfte der höheren Ebenen, Ingenieure etc., kamen aus anderen lateinamerikanischen Ländern. Dies führte zur Etablierung von Dingen wie Prostitution und »Vergnügungsbars«, die es früher so in den Gemeinden nicht gab. Andere Minen wie Fénix arbeiten weiter, obwohl sie das im Grunde juristisch gar nicht dürfte. (Das Unternehmen wurde 2011 an die Solway Investment Group mit Sitz in der Schweiz verkauft. Weil in den etwas undurchsichtigen Besitzverhältnissen auch russisches Kapital beteiligt sein soll, fiel das Unternehmen unter US-Sanktionen im Kontext des Ukraine-Krieges und stellte im Februar 2023 ihre Arbeit offiziell ein, jW).
Andere, wie die Silbermine Escobal in San Rafael las Flores im Südosten des Landes, sind in einer Warteposition, denn es läuft eine Klage wegen der Nichteinhaltung des Artikels 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Dieses Abkommen, auch von Guatemala unterschrieben, sieht vor, dass indigene Völker vor Beginn der Arbeiten verbindlich über Großprojekte befragt werden müssen. Dies geschah in Guatemala so im Grunde nie. In manchen Fällen konnten allerdings, nachdem die Mine bereits oft Jahre arbeitete, Volksbefragungen durchgesetzt werden.
So konnte der Bergbau vor Ort gestoppt werden?
Bis zur endgültigen juristischen Klärung ist die Arbeit erst mal eingestellt, ja. Es gibt heute viel juristischen Widerstand gegen den Bergbau. Das ist sicher etwas anders als noch in den 1990er und Anfang der 2000er Jahre. Zutreffend ist auch: Es gibt auch viel Vertreibungen und Landraub, zum Beispiel wegen des gestiegenen Bedarfs an Anbauflächen für die Ölpalme Palma Afrikana. Daher blicken auch viele der Landarbeiterorganisationen eher auf die Situation um diese Pflanzensorte. Jetzt, Mitte Juni, gab es aber Straßenblockaden, Proteste und Polizeigewalt gegen drohende neue Bergbaulizenzen im Landkreis Livingston und benachbarten Landkreisen. Gemeindeaktivisten haben Dokumente vorliegen, aus denen hervorgeht, dass bereits 2022 und 2023 in der Regierung von Alejandro Giammattei – möglicherweise durch Bestechung – zehn neue Lizenzen für Nickelabbau ausgestellt wurden.
Zwar sagt das aktuelle Ministerium für Energie und Bergbau, es prüfe die Lizenzen noch, die Anwohner trauen dem aber nicht und protestieren. Es kam bereits am 18. Juni zu Polizeigewalt mit Verletzten, unter anderem wurde ein Journalist ins Krankenhaus eingeliefert. Ich würde das Konfliktpotential und die Gefahr des Bergbaus weiterhin nicht unterschätzen.
Guatemala gehört zu den Ländern mit der weltweit ungerechtesten Landverteilung. Wie könnte hier eine Lösung aussehen?
Die Konzentration des Bodens ist die Konzentration der Macht und des Eigentums. So gesehen ist das, was in Guatemala passiert, auch nur das, was unter kapitalistischen Bedingungen weltweit passiert. Es gibt aber in Guatemala einen wichtigen Aspekt neben den Klassenwidersprüchen, und das ist der Rassismus als Herrschaftsinstrument. Guatemala ist neben Bolivien das Land mit dem höchsten Anteil Indigener. Aber die Macht im Land hatte nach der Eroberung durch die Spanier immer die weiße, an Europa orientierte Oberschicht. Damit einher geht ein Nichtwissen über und ein Nichtinteresse an der ländlichen Bevölkerung. Die natürlichen Ressourcen werden genau als dies angesehen, nämlich als Ressourcen in kapitalistischen Maßstäben und nicht zum Beispiel als Teil des Lebens, wie es der Kosmovision der Maya entspricht. Das ist ein sehr komplexes Problem und eine Lösung zu finden wird, so es sie überhaupt gibt, noch viele Jahrzehnte dauern.
Nun ist seit 18 Monaten in Guatemala, erstmals seit dem Putsch von 1954, eine Regierung im Amt, die man im weiteren Sinne als progressiv bezeichnen kann. Sehen Sie hier Veränderungen bei der Frage der Landverteilung?
Ich glaube nicht, dass sich die historischen Probleme Guatemalas in einer Legislaturperiode ändern können. Aber schon gar nicht in einer Regierung wie der von Bernardo Arévalo, die so unter Druck der Rechten steht: die Generalstaatsanwaltschaft in der Hand ihrer Gegner, interne Korruption und viele Probleme mehr. Für schnelle Veränderungen wären radikale Maßnahmen nötig. Die sehe ich bei Arévalo nicht, habe ich aber auch nicht erwartet.
James Rodríguez, geboren in Mexiko, ist ein mexikanisch-US-amerikanischer Dokumentarfotograf. Er lebt seit 2006 in Guatemala. Seine Arbeit konzentriert sich auf Langzeitprojekte zur Nachkriegszeit, zur Territorialverteidigung, Migration und Menschenrechten in Guatemala, Mexiko und der Region. Seine Arbeiten wurden unter anderem in Le Monde, der New York Times, der Los Angeles Times, National Geographic und The Guardian veröffentlicht. 2024 veröffentlichte Rodríguez sein Buch »Tierra de árboles« (Land der Bäume), in dem er fast 20 Jahre sozialer Konflikte aufgrund des Kampfes um Territorien in Guatemala im Kontext der Suche nach Erinnerung und Gerechtigkeit in der Zeit nach dem guatemaltekischen Bürgerkrieg (1960–1996) dokumentiert.
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