Wieder ein blutiger 25. Juni
Von Sven Kurz, Nairobi
Mindestens 15 Tote und mehr als 300 weitere Verletzte. Das ist das Resultat der schwersten Proteste seit Jahren in Kenia am Mittwoch. Landesweit ging schätzungsweise über eine Million Menschen auf die Straße, um der Opfer der Proteste von vor einem Jahr zu gedenken und gegen die Regierung von Präsident William Ruto zu demonstrieren. Diese reagierte mit einem Großaufgebot: Zum zweiten Mal binnen zwei Jahren rollten Truppentransporter und gepanzerte Fahrzeuge des Militärs durch Nairobi, um ein Eindringen der Demonstranten in das Parlament zu verhindern. Wichtige Regierungseinrichtungen wurden mit Stacheldraht abgeriegelt. Wie zuvor schon gab es Berichte über von der Polizei organisierte Schlägertrupps.
Am Tag der Proteste ließ die Regierung mehrere Fernsehsender vom Netz nehmen. Einsatzkräfte kappten Übertragungsanlagen, um die Liveberichterstattung zu stoppen, während die Regierung die Blockade sozialer Netzwerke wie Telegram anordnete. Die betroffenen Sender verlagerten ihre Berichterstattung ins Internet und kündigten rechtliche Schritte an. Journalistenverbände und Rechtsexperten sprachen von einem verfassungswidrigen Angriff auf die Pressefreiheit – zumal ein Gericht bereits im Mai entschieden hatte, dass die Behörden zu solchen Maßnahmen nicht befugt sind.
Die Protestierenden griffen neun Polizeistationen an, von denen fünf niedergebrannt wurden. Laut Regierungsangaben wurden 88 Polizeifahrzeuge zerstört, 27 Fahrzeuge der National- und Countyregierungen sowie 65 zivile Fahrzeuge, die bei Polizeistationen geparkt waren, einschließlich eines Schulbusses. Geschäfte und Supermärkte wurden geplündert. Den vor allem jungen Demonstranten geht es um eine bessere Regierung und niedrigere Lebenshaltungskosten. Sie beklagen Polizeigewalt, Klientelismus und gebrochene Versprechen – etwa, dass entlassene Regierungsmitglieder wiedereingesetzt oder Steuererhöhungen doch durchgebracht wurden.
Trotz Versprechungen zur Ausgabenkürzung sind die Staatsausgaben um 176 Milliarden Schilling (etwa 1,23 Milliarden Euro) gestiegen, während der Schuldendienst in den ersten drei Monaten des Jahres zehnmal mehr Mittel verschlang, als Entwicklungsprojekte erhielten. Diese prekäre Haushaltslage verschärft sich durch die Auflagen des Programms des Internationalen Währungsfonds. Dieses läuft seit 2021 und fordert »beträchtliche Haushaltsanpassungen« von der kenianischen Regierung – faktisch eine neoliberale Sparpolitik, die die sozialen Spannungen weiter anheizt.
So schätzt der bekannte Journalist Mutuma Mathiu, dass die anhaltenden Probleme die Protestbewegung stärken und die Regierung noch mehr in Bedrängnis bringen könnten. Korruption, illegale Geschäfte und wiederholte Gesetzesbrüche würden zunehmend das Vertrauen in staatliche Institutionen untergraben. Hinzu kommen Vorwürfe des Waffenschmuggels in den Sudan und die Einstufung Kenias als Geldwäschehotspot durch die EU. Die Ankündigung der Protestbewegung, die politische Auseinandersetzung von der Straße in die Wahlkabinen zu verlagern, könnte die Wahlen 2027 zu einem entscheidenden Test für Kenias Demokratie machen. Schon mehren sich Spekulationen über mögliche Versuche, diese Wahlen zu verhindern oder zu manipulieren. Die Frage bleibt, ob die Regierung unter Präsident Ruto die nötigen Reformen einleiten wird, um das Vertrauen der Jugend zurückzugewinnen, oder ob die Gewalt vom Juni 2025 als der Moment in die Geschichte eingehen wird, an dem sich Kenias politische Landschaft unwiderruflich veränderte.
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