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Zäune Wirtschaft als das Leben selbst. Von Helmut Höge

Von Helmut Höge
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Laut Rousseau beginnt das Eigentum mit dem ersten Menschen, der sagt, das ist meins – und die anderen es akzeptieren, dass er einen Zaun zieht oder Grenzpfähle setzt. Der Journalist Christian Semler begleitete einmal eine deutsche Delegation nach Moldawien. Es ging um organisatorisch-materielle Hilfe bei der Sicherung der Grenze gegen Geflüchtete, die in die EU wollten. Im Gegensatz zu der wachsenden Zahl staatlicher Grenzsperren und Zäune werden auf der anderen Seite, im Privaten, die Einzäunungen jedoch eher weniger. Das fing mit dem Verschwinden von Weidezäunen an, weil die Kühe fortan in großen Laufställen gehalten wurden.

Wenn ganze Wohnquartiere eingezäunt werden, spricht man von »Gated Communities«. Auf ihren Zaunpfählen sind mitunter Überwachungskameras montiert. Nicht wenige Sozialforscher gehen davon aus, dass dieses Elend bereits mit der Sesshaftigkeit begann: Während die Nomaden den Raum beherrschten, nahmen die Sesshaften ihn in Besitz, sie zerstückelten und markierten ihn, um ihn aufzuteilen. Anny Milovanoff schreibt in »La seconde peau du nomade« (Die zweite Haut des Nomaden): »Der Nomade hält sich an die Vorstellung seines Weges und nicht an eine Darstellung des Raumes, den er durchquert. Er überlässt den Raum dem Raum.«

Berühmt wurden die Kämpfe gegen Einzäunungen in England, als dort das Gemeindeland (die Allmende) privatisiert wurde. Diggers und Levellers nannten sich die Widerständler, die die Zäune und Hecken ausgruben und einebneten, daher ihre Namen. Nach dem Ende des DDR-Volkseigentums brachen auch in und um Berlin »Zaunkriege« aus. Der Staat hatte ganze Seen privatisiert und die neuen Besitzer sie eingezäunt, so dass die in der Nähe Wohnenden nicht mehr im See baden und angeln gehen konnten. Damit wurde ein Gewohnheitsrecht gebrochen. Nachts wurden Zäune entfernt oder Löcher in die Zäune gemacht. Am Liebenberger See, hielt die neue Besitzerin des »Seeschlosses«, die Deutsche Kreditbank (DKB), Eindringlinge durch »Securitykräfte« von der Seenutzung ab. In und um Potsdam, wo um den Zugang zu den privatisierten Seegrundstücken am heftigsten gestritten wurde, führte ein »Zaunkrieg« zur Gründung einer Bürgerinitiative gegen die Seeeinzäunung. Nachdem sie dreimal protestiert hatten, ließ die Stadt mit Baggern Hecken und Zäune auf zwei Grundstücken entfernen.

In einigen Regionen Westdeutschlands gibt es staatliche Zuschüsse, wenn die Bürger sich dort beim Einzäunen regionaltypischer Zäune bedienen – in Norddeutschland z. B. für den »Friesenzaun« und in der bayrischen Rhön für den »fränkischen Gartenzaun«.

Auf Sardinien gab es bis vor kurzem Weideland in Gemeindeeigentum – ohne Zäune. 1975 wurde jedoch ein »Reformgesetz zur Strukturentwicklung« verabschiedet, das von den Schafzüchtern (Hirten) die Sesshaftwerdung sowie privaten Grundbesitz (mindestens 30 Hektar) verlangte. Die Fördergelder und Kredite mussten sie dann u. a. dazu verwenden, ihre Weiden zu »umzäunen und innen mit Zäunen und Gattern zu unterteilen« – was einen scharfen Traditionsbruch bedeutete und gleichzeitig vielen armen Hirten die Existenzgrundlage raubte. Dies ließ das Banditentum auf Sardinien erneut aufleben.

Anders auf Korsika: Dort laufen die Schweine und Rinder halbwild herum. Viele Bauern wissen nicht einmal, wie viele sie besitzen. Die Kuhhaltung wird vom französischen Staat subventioniert, deswegen besitzt jeder mindestens ein paar – und sei es nur auf dem Papier. Es sind inzwischen so viele, dass sie alles plattmachen auf der Suche nach Futter. Deswegen fangen immer mehr Leute an, wenigstens ihre Gärten einzuzäunen. Aber die hungrigen Rinder springen selbst über hohe Zäune oder trampeln sie runter.

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