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Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 1 (Beilage) / Wochenendbeilage
Datenkraken

»Clouds sind wie der Kapitalismus: Sie wachsen grenzenlos«

Lärm, Landraub und Wasserknappheit für Meta, X, Tik Tok und Co. Datenzentren haben erhebliche Auswirkungen auf Ökosysteme und die Gesundheit von Menschen. Ein Gespräch mit Aurora Gómez
Interview: Carmela Negrete
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Erhöhter Wasserverbrauch in ohnehin schon angespannter Lage: Beinahe ausgetrocknetes Flussbett in Katalonien

Sie sind Psychologin. Wie entstand Ihr Interesse an Rechenzentren und deren Auswirkungen auf die Umwelt?

Ich habe mich schon vor etwa 20 Jahren für Themen wie freie Software und digitale Rechte interessiert. Das war lange eine sehr männlich dominierte Welt, und ich hatte das Gefühl, dass mir da etwas fehlte. Erst als ich auf andere Frauen traf, die über digitale Rechte sprachen, merkte ich: Das interessiert mich mehr als nur Technik und Code. Später kam die ökologische Perspektive hinzu. Wir gründeten das Kollektiv »Tu nube mata mi río« (auf deutsch: Deine Cloud tötet meinen Fluss), als wir bemerkten, dass in Talavera de la Reina in Kastilien-La Mancha ein großes Rechenzentrum gebaut werden sollte – mitten in einer Region, in der Wasser ohnehin knapp ist. Wir suchten Informationen über den Wasserverbrauch solcher Zentren, fanden aber fast nichts. Das Thema berührte mich persönlich: In meinem Dorf war Land für den Bau eines Flughafens enteignet worden. Die Menschen wurden mit entwerteten Häusern zurückgelassen – diese Erfahrung ließ mich verstehen, was es bedeutet, wenn große Konzerne plötzlich in Regionen eingreifen.

Vielen ist gar nicht bewusst, dass Rechenzentren sehr viel Wasser verbrauchen. Doch wie misst man das?

Es gibt grundsätzlich zwei Arten von Rechenzentren: zum einem ältere, wie sie früher in Spanien üblich waren. Da wusste man zwar, dass sie Wasser verbrauchen, aber niemand dachte so richtig darüber nach. Und dann gibt es die sogenannten Hyperscale-Rechenzentren. Viele denken, »Hyperscale« bedeutet einfach nur größer – aber das ist es nicht allein. Es geht um Rechenleistung: Diese Zentren verarbeiten so viele Daten, dass sie enorme Energiemengen verbrauchen. Um die Systeme zu kühlen, reicht Strom nicht mehr aus – sie benötigen zusätzlich Wasser zur Kühlung. Hyperscale-Rechenzentren sind außerdem so aufgebaut, dass sie beliebig wachsen und sich miteinander verbinden können, um gemeinsam Rechenaufgaben zu erledigen. In gewisser Weise sind sie eine perfekte Metapher für den Kapitalismus: unkontrolliertes grenzenloses Wachstum.

Und das genutzte Wasser, verdunstet das einfach?

Das hängt vom System ab. Aber genau darin liegt das Problem: Es besteht eine große Intransparenz darüber, welche Kühltechnologien eingesetzt werden. Technisch wäre ein geschlossener Wasserkreislauf möglich, aber warum sollte man den nutzen, wenn es günstiger ist, möglichst viel Wasser zu verbrauchen? Man geht in ländliche Regionen, wo viele Menschen gar nicht verstehen, was da passiert. Man nimmt ihnen das Wasser weg. Und oft heißen die lokalen Behörden die Unternehmen sogar noch willkommen. In Marseille zum Beispiel bekommen die Betreiber das Wasser praktisch geschenkt. In manchen Zentren verdunstet das Wasser, in anderen wird es wieder in den Fluss geleitet, manchmal sauber, manchmal verschmutzt, manchmal einfach nur wärmer. In den Niederlanden und in Deutschland gab es dazu schon investigative Recherchen, in der niederländischen Gemeinde Hollands Kroon wurde bekannt, dass das Kühlwasser aus Rechenzentren nach der Nutzung verschmutzt und erhitzt wieder in die Flüsse eingeleitet wurde. Das Problem ist also nicht nur der Wasserverbrauch an sich, sondern auch die Veränderung des natürlichen Kreislaufs. Wenn das Wasser wärmer zurückfließt, hat das einen negativen Einfluss auf das Ökosystem. Am Ebro zum Beispiel sorgt man sich um eine bestimmte Muschelart, die ökologisch und kulturell wichtig ist. Die Muschelschalen wurden traditionell zur Herstellung von Messern verwendet – sie haben also auch eine soziale Bedeutung. In Marseille wiederum kämpft man für eine kleine Garnelenart namens Gammarus, deren Lebensraum durch die Erwärmung des Wassers gefährdet ist. Es sind kleine Tiere, aber sie stehen für viel mehr: für ökologische Balance, für kulturelle Praktiken, für das Zusammenspiel von Umwelt und Gesellschaft.

Sie haben gesagt, viele ländliche Gemeinden wissen gar nicht, wie ihnen geschieht. Aber es gab doch inzwischen Proteste in Spanien, oder?

Ja, aber noch vor zweieinhalb Jahren gab es keine einzige lokale Initiative, heute entstehen überall neue Gruppen. In Talavera, im Baskenland, in Aragón, in Valencia und in Barcelona. Diese Gemeinschaften sind noch sehr jung, viele tun sich noch schwer im Umgang mit Medien oder Öffentlichkeit. Aber sie formieren sich, und der Widerstand wächst. Teilweise haben diese Gruppen schon erste Erfolge erzielt: In Talavera wurde etwa das Design eines Rechenzentrumsprojekts geändert, es soll nun weniger Lärm verursachen, auch beim Wasser- und Energieverbrauch gibt es Anpassungen. Der Grund: Es wird hingeschaut, es gibt Druck von unten. Wir fordern zum Beispiel, dass Rechenzentren nicht automatisch Vorrang beim Wasser- oder Energieverbrauch haben dürfen, insbesondere nicht gegenüber der lokalen Bevölkerung. Es kann nicht sein, dass sie Strom oder Wasser fast geschenkt bekommen, während andere dafür zahlen. Es braucht klare Auflagen und Haftung, wenn die Umwelt verschmutzt wird. Wenn man vergleicht, wie stark andere Industrien reguliert sind, ist das hier ein rechtsfreier Raum. Das darf so nicht bleiben.

Liegt das daran, dass das Thema so neu ist?

Teilweise, ja. Die Hyperscale-Rechenzentren sind relativ neu, sie unterscheiden sich stark von den älteren, kleineren Rechenzentren, die es schon länger gibt. Die waren auch problematisch, aber in einem viel geringeren Maß. Die Europäische Union beschäftigt sich übrigens schon seit rund 15 Jahren mit dem Thema. Aber das Problem ist: Die Betreiberfirmen sind extrem mächtig – zu mächtig, als dass sich wirksame Gesetzgebungen durchsetzen ließen. Trotzdem haben lokale Gemeinschaften in verschiedenen Ländern Erfolge erzielt. In Chile zum Beispiel wurde ein geplantes Google-Rechenzentrum in Cerrillos gestoppt. In den Niederlanden hat die Gemeinde Zeewolde verhindert, dass Meta dort baut – das Projekt tauchte später in Talavera in Spanien wieder auf. Auch in Irland und in Teilen der Niederlande wurden sogenannte Moratorien erlassen – also Stopps, um erst einmal nachzudenken, wie viele Rechenzentren man eigentlich zulassen will, unter welchen Bedingungen und mit welchen Gesetzen.

Welche Probleme erzeugt ein Rechenzentrum für die jeweilige Region? Letztlich verbrauchen ja fast alle Unternehmen Wasser und Ressourcen. Aber im Vergleich zur Waffenindustrie wirkt das doch weniger problematisch.

Zunächst würde ich zwischen lokalen und globalen Auswirkungen unterscheiden. Rechenzentren sind Teil einer digitalen Infrastruktur, die sich über den gesamten Planeten erstreckt. Wenn wir sagen, dass sie Wasser verbrauchen, dann meinen wir das Wasser an dem Ort, wo das Rechenzentrum steht. Aber verbraucht wird Wasser entlang der ganzen Lieferkette. Das ist die Lieferkette der künstlichen Intelligenz. Das bedeutet: Wenn Mineralien in Ciudad Real, Cáceres, im Kongo oder in Grönland abgebaut werden, ist das bereits ein enormer Eingriff ins Gebiet. Im Kongo gibt es sogar Kriege deswegen. Dann kommt die Chipfertigung. Die Chipproduktion im gesamten südostasiatischen Raum wirft sowohl arbeitsrechtlich als auch ökologisch enorme Probleme auf – und natürlich wird dabei viel Wasser verbraucht. Zum Beispiel bei Foxconn in China gibt es arbeitsrechtliche Probleme und einen großen Wasserverbrauch. Die Rechenzentren beanspruchen zunächst eine riesige Landfläche, die Hallen sind gigantisch. Allein in der Region Aragón sind etwa 20 solche Rechenzentren geplant. Irgendwann stellt man fest, dass die Stromrechnung in dem Gebiet stark ansteigt. Das betrifft alle, die dort wohnen. Denn plötzlich saugen diese Rechenzentren den gesamten Strom ab, so dass es sogar zu Stromausfällen kommen kann. Die lokalen Gemeinschaften und Industrien leiden unter den Stromausfällen, weil die Rechenzentren Vorrang beim Stromverbrauch haben – sie müssen immer versorgt werden. Das beeinträchtigt bereits ganze Gemeinden. In London sind in manchen Bezirken keine neuen Wohnungen mehr gebaut worden, weil die Rechenzentren bereits die gesamte Netzkapazität beanspruchten. Dieses Phänomen ist auch in Teilen Spaniens zu beobachten – das Netz ist stark überlastet, weshalb neue Bauprojekte blockiert werden. Viele Rechenzentren verfügen zusätzlich über dieselbetriebene Notstromgeneratoren, die im Sommer auch im Dauerbetrieb laufen. Diese Generatoren verpesten die Luft.

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Von Mitsprache der ansässigen Bevölkerung kann trotz solcher Auswirkungen vermutlich nicht die Rede sein.

Ja, auch der demokratische Aspekt ist zu berücksichtigen. Hyperscale-Rechenzentren werden von lediglich fünf großen Konzernen betrieben: Google, Amazon, Meta und den chinesischen Riesen Tik Tok und Alibaba. Sie alle verfügen über starke Lobbymacht und können Regierungen enorm unter Druck setzen. Ein eindrucksvolles Beispiel ist Irland: Dort verschlingen Rechenzentren bereits mehr als 30 Prozent des gesamten Stroms. Der Anteil von Google am Bruttoinlandsprodukt Irlands ist inzwischen so hoch, dass sich die Regierung kaum noch traut, nein zu sagen. Viele Bürgermeister glauben, Rechenzentren seien ein Gewinn, weil sie Arbeitsplätze bringen. Aber das stimmt nicht. Diese Anlagen sind hochautomatisiert und bieten kaum Beschäftigung. Sie verbrauchen Wasser und Strom. Die Chips kommen von externen Lieferanten. Vor Ort werden nur einfache Jobs gebraucht: ein Kältetechniker, ein Hausmeister – und das war’s. Die gutbezahlten Jobs sind ganz woanders. Außerdem wählen die Betreiber international immer Standorte, wo die rechtlichen Rahmenbedingungen Steuervermeidung ermöglichen. Auch in Spanien ist das so, zum Beispiel in Talavera und in Aragón. Dort werden bestimmte juristische Sonderregelungen ausgenutzt. Zum Beispiel hat dann das Projekt den Status »von besonderem öffentlichen Interesse«. Es handelt sich um Projekte, bei denen das Genehmigungsverfahren so stark verkürzt wird, dass praktisch kein Einspruch möglich ist. Diese Unternehmen umgehen mit diesen Sonderregelungen lokale, regionale und nationale Steuern. Sie zahlen keine Abgaben, sie schaffen keine Arbeitsplätze, sie verschmutzen die Umwelt und nehmen dir das Land weg. Im Grunde hinterlassen sie dem Gebiet gar nichts – es ist reiner Raubbau. Mehrere bezeichnen das als »Datenkolonialismus«. Es handelt sich im Kern um einen extraktivistischen Kolonialismus.

Aber alle sind fasziniert von den sozialen Netzwerken, von Tik Tok und so weiter. Die Jungen, die Alten, einfach alle sind ständig am Handy, die ganze Zeit.

Na ja, weil man uns ein bestimmtes Bedürfnis eingeredet hat. Dabei besteht ja ein echtes Bedürfnis. Nämlich mit anderen Menschen in Kontakt zu treten. Man denke einmal zurück: Wie war das Leben vor 20 Jahren? Welche sozialen Netzwerke gab es da? Auf welche Weise verständigten sich die Menschen? Damals hatte ich ein E-Mail-Konto. Meistens nutzten wir Unimailserver. Alles, was wir hochgeladen haben, lag auf Uniservern. Ich hatte eine eigene Website – schrecklich selbstgebaut in purem HTML, mit dummen GIFs. Twitter gab es noch nicht, aber Google schon. Wir hatten ein Wiki bei der Föderation Junger Wissenschaftler. Da haben wir alles hochgeladen. Fast alle Tools waren Open Source. Das war einfach normal. Heute liegt alles in den Händen von fünf Konzernen. Und alle Dienste, die wir nutzen, verlangen viel Rechenleistung. Früher kam das TV-­Signal per Satellit, Radio per Funk. Heute höre ich alles online. Ohne nachzudenken. Ich erinnere mich, wie ich das echte Radio benutzt habe – so mit Drehen und Rauschen. Fernseher? Heute über Streaming, das verbraucht mehr Daten. Und wer KI nutzt, verbraucht ex­trem viel Energie. Seit der Pandemie verbrauchen wir noch mehr Rechenleistung. Man kann aber auch auf Internetlösungen setzen, die weniger Rechenleistung brauchen. Das bedeutet keinen Verlust an Lebensqualität. Wir können digitale Krankenhäuser haben – hochwertige digitale Angebote – aber mit geringerem Datenverbrauch. Das nennt man »Computing within limits«.

Ihr fordert von der Politik, die Nutzung solch intensiver Datenverarbeitung einzuschränken?

Ja. Letztens sah ich einen jungen Typen auf der Straße, der wurde gefragt: »Was ist 20 geteilt durch 5?« Und der Typ so: »Äh, warte mal …« Ich dachte mir: Du nutzt weder deinen Kopf noch kannst du mit dem Taschenrechner auf deinem Handy umgehen, aber nutzt jetzt für diese simple Rechenoperation KI – das frisst enorm viel Energie.

Wieviel Energie verbraucht eine solche Frage bei Chat-GPT?

Das ist schwierig, weil es keine Transparenz gibt. Die Firmen verraten nichts. Es gibt externe Studien. Aber solche Chatbots werden ständig weitertrainiert. Sie hören nie auf. Entsprechend größer wird der Verbrauch.

Wie verdienen die fünf erwähnten Unternehmen ihr Geld?

Anfangs haben diese Unternehmen echte technische Produkte verkauft. Google war mal ein Suchdienst. Aber dann nahmen sie deine Daten und verkauften sie. Wozu? Um dein Verhalten zu ändern, um dir etwas zu verkaufen. Aber es geht auch um die Änderung deiner politischen Sichtweise. Beispiel: Cambridge Analytica. Facebook hat Geld damit verdient, die Daten der Nutzer zu verwenden, um Wahlergebnisse zu beeinflussen – wie beim Brexit. Eine der schlimmsten Firmen ist Palantir von Peter Thiel. Diese Firma durchsucht in den USA soziale Netzwerke nach Hinweisen, ob jemand migrantisch ist. Auf dieser Grundlage können Menschen dann abgeschoben werden. Der israelische Algorithmus »Lavanda« wird in Microsofts Rechenzentrum in Marseille trainiert und soll angeblich Terroristen erkennen können. Mit Hilfe eines weiteren Algorithmus namens »Hi Daddy« werden dann Menschen in Gaza gezielt getötet, oftmals gerade dann, wenn sie mit ihren Familien zusammen sind.

Wie kann eine gesellschaftliche Mehrheit gegen die Macht der Datenkonzerne entstehen, wenn alle in diesen sozialen Netzwerken hängen?

Ich bin faul, das ist eine meiner besten Eigenschaften. Also: Manche machen Lokalpolitik, versuchen, Bürgermeister zu beeinflussen. Ich nicht. Ich weiß, Politiker wechseln alle vier Jahre. Deshalb sind die höheren Ebenen interessanter. Wir machen Lobbyarbeit auf EU-Ebene. Ich warte gerade auf eine E-Mail mit einem Gesetzesvorschlag. Wir treffen uns in Cambridge, tauschen uns aus, machen gemeinsam Druck. Für sozialen Wandel reicht eine aktive, hartnäckige Minderheit. Wenn selbst das spanische Staatsfernsehen Witze über Rechenzentren und KI macht, dann haben wir die Debatte gewonnen.

Aurora Gómez ist Psychologin mit Schwerpunkt auf Medienkonsum, Freier Software und digitalen Rechten. Sie ist außerdem Aktivistin der Umweltgruppe »Tu nube mata mi río« (auf deutsch: »Deine Cloud tötet meinen Fluss«), die ein Bewusstsein für die Auswirkungen großer Rechenzentren schaffen möchte

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