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Aus: Ausgabe vom 21.06.2025, Seite 3 (Beilage) / Wochenendbeilage

Teilung der Welt

Am 22. Juni 1941 überfiel das faschistische Deutschland die UdSSR. Der Historiker Dietrich Eichholtz (1930–2016) untersuchte 2011 in jW die deutsche Kriegswirtschaft
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Verbrecherische Wehrmacht. Deutsche Truppen im Dezember 1941 in der Sowjetunion

Die wirtschaftlichen Ressourcen halb Europas, so heißt es häufig, hätten den deutschen Eroberern zur Verfügung gestanden. Mag eine solche Aufrechnung – von Zahlen aus der Friedensperiode – richtig sein, so hat sie doch keinerlei Beweiskraft. Im Gegenteil, seit den Siegen im Frühjahr/Sommer 1940 erwiesen sich die eroberten Potentiale fast alle als notleidende, als am Tropf hängende Volkswirtschaften. Vor allem infolge der britischen Seeblockade fehlten den besetzten Staaten plötzlich ihre Öl-, Kohle-, Getreide- und Futtermittelimporte, da die Abriegelung deren Kolonialreiche (Frankreich, Niederlande, Belgien) unzugänglich machte.

Der deutsche Imperialismus hatte nicht die Absicht, die Bedürftigen – abgesehen vom Verbündeten Italien – zu alimentieren. Er hatte selbst große Probleme, besonders auf dem Treibstoff-, Eisenerz-, Aluminium-, Kupfer- und Ernährungsgebiet. In der Sowjetunion wollte man sich »gesundstoßen«, wie sich Goebbels und Göring hören ließen, während Hitler vor allem rassistische und antibolschewistische Kriegsgründe hervorhob. Doch auch für ihn war die Vorstellung ein Schreckgespenst gewesen, dass Deutschland – während des Nichtangriffsvertrags – in wirtschaftliche Abhängigkeit von der UdSSR geraten könnte.

Wenn der »NS-Generalbevollmächtigte für das Kraftfahrwesen«, General Adolf von Schell, Ende Mai 1941 über den Treibstoffmangel nachdachte und vorschlug, man müsse vielleicht an eine »gewisse Entmotorisierung der Wehrmacht« denken, so rührte er in der Tat an den neuralgischsten Punkt der Kriegführung im Osten: das Versorgungssystem und die Beweglichkeit der gesamten deutschen Militärmaschine. Wenig Klarheit gibt es heute noch über die Schwächen des deutschen Versorgungssystems in den weiten Räumen der Sowjetunion. Drang aber die Wehrmacht weiter als auch nur wenige hundert Kilometer in das Land ein, so blieb bei dem schwachen, weitspurigen Eisenbahnnetz lediglich der Lkw-Transport, um mittels gestaffelter Umschlagstützpunkte in erster Linie für den Nachschub der 33 motorisierten schnellen Divisionen zu sorgen. Die übrigen 100 Divisionen marschierten zu Fuß in Russland ein, mit 15.000 langsam zockelnden Panjewagen. Die 600.000 bis 750.000 mit der Armee mitgeführten Pferde hatten Geschütze und Karren mit Munition und Versorgung zu ziehen. Deshalb hing alles davon ab, dass die Rote Armee unter den ersten entscheidenden Schlägen zusammenbräche, bevor Herbstschlamm und Winterkälte die Angreifer in größere Bedrängnis brächten.

Die verbreitete These, dass 1940/41 in Deutschland eine »friedensmäßige Kriegswirtschaft« einsetzte, ist ein Mythos. Von Rücksicht auf die eigene Bevölkerung kann keine Rede sein. Größere Reserven an arbeits- bzw. kampffähigen Männern gab es in der Heimat keine mehr. Von den 20- bis 30jährigen waren im Sommer 1941 schon 85 Prozent unter den Soldaten. Es herrschte schwerer Arbeitskräftemangel, so dass Hunderttausende ausländische Zwangsarbeiter – Polen, Tschechen, französische Kriegsgefangene – schon vor dem Überfall in Landwirtschaft und Industrie eingesetzt waren.

Die Kriegsindustrie arbeitete auf vollen Touren, wenn auch von einem undurchsichtigen Behördendschungel mehr schlecht als recht dirigiert. Das Schwergewicht der industriellen Rüstung lag auf der Verdoppelung und Modernisierung der Panzerwaffe und auf der Ausrüstung für die zehn motorisierten Infanteriedivisionen. Neue Kapazitäten und Firmen traten dem Kartell der Panzerproduzenten bei (MAN, Alkett, Daimler-Benz und andere), die unter Walter Rohland (Vereinigte Stahlwerke) im »Hauptausschuss Panzerwagen und Zugmaschinen« vereinigt waren. Das hielt man für das Nötigste, zumal in den höchsten Kreisen die Rede davon war, dass die russische Tankwaffe »respektabel« und zahlenmäßig die »stärkste der Welt«, aber in der »Masse alt« sei (Hitler). In die Flugzeugproduktion wurden Unsummen an Investitionen gesteckt; mit der nach Plan vierfach zu vergrößernden Flugzeugarmada rechnete man aber erst nach »Barbarossa« für den zukünftigen »Kampf gegen Kontinente« (Hitler), in erster Linie gegen die US-amerikanische Rüstungsmacht.

Aus diesen Tatsachen ist zu schließen, dass die Rüstungsanstrengungen den militärischen Planungen für »Barbarossa« und für Nach-»Barbarossa« durchaus entsprachen und die gegebenen Möglichkeiten annähernd ausschöpften. Für Hitlers Großplanungen würden sich, so die Kalkulation, nach dem »schnellen« Sieg wirtschaftliche Ressourcen in unbegrenzter Fülle auftun, die voraussichtlich Großbritannien zum Einlenken, das heißt zu einer »Teilung der Welt« unter deutscher Führung, nötigen und den USA die Lust zum Kriegseintritt nehmen würden.

Dietrich Eichholtz: Der Überfall auf die UdSSR. Das unlösbare Problem der deutschen Weltherrschaftskrieger. In: jW, 22. Juni 2011

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